Der Erfolg der Maßnahmen des Staates gegen SARS-CoV-2 hängt wesentlich davon ab, wie stark der Staat ist, sie auch durchzusetzen.
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Gegen die rasante Ausbreitung des Coronavirus und der Covid-19-Erkrankung verfolgen Staaten weltweit sehr unterschiedliche Strategien – von Grenzschließungen und Ausgangssperren über großflächige Testungen bis hin zur Standortüberwachung Erkrankter mit Mobiltelefonen (etwas, das anscheinend auch in Österreich zumindest in Überlegung stand).

Welche Maßnahmen am Ende zielführend sein werden, kann zum jetzigen Zeitpunkt noch kaum eingeschätzt werden. Klar aber ist: Welche Strategie ein Land auch immer verfolgt, ihr Erfolg wird maßgeblich davon abhängen, wie effektiv sie von staatlichen Institutionen implementiert und durchgesetzt werden kann. Die vielversprechendsten politischen Entscheidungen bleiben vollkommen wirkungslos, wenn der Staatsapparat, der sie umsetzen soll, zu ineffizient, korrupt oder ressourcenschwach ist.

In den Sozialwissenschaften firmiert dieses Konzept unter "state capacity", also staatlicher Effektivität oder "Staatskapazität". Ganz grundlegend versteht man darunter, dass ein Staat es vermag, Steuern einzuheben oder Gesetze – wenn nötig mit Zwang – durchzusetzen. Hinzu kommt aber auch die Fähigkeit der Verwaltung, sich Expertise anzueignen, Maßnahmen zu entwerfen und ihre Wirkung zu überwachen und zu evaluieren.

Im globalen Vergleich gilt: je demokratischer ein Staat, desto "stärker" ist er. Die Grafik unten zeigt anhand von Weltbank-Daten eine hohe Korrelation von Demokratie und staatlicher Effektivität (r = 0,72) – wobei es natürlich Ausreißer gibt, die hohe Staatskapazität mit bestenfalls mäßigem Demokratieniveau kombinieren.

Unter Normalbedingungen stehen Demokratie und "starker" Staat demnach nicht unbedingt im Widerspruch zueinander. Eine Pandemie hingegen verlangt nach staatlichem Handeln, das mit demokratischen Grundsätzen auf Dauer nicht vereinbar ist. So sind im virusbedingten Ausnahmezustand ansonsten undenkbare Eingriffe in Rechtsstaat und Demokratie möglich: Wahlen werden verschoben, Freiheitsrechte suspendiert, drastische Überwachungsmethoden ergriffen.

Auch wenn diese Maßnahmen zunächst nur befristet gelten, so besteht doch die Gefahr, dass irgendwann Grundrechtsbeschränkungen nicht mehr nur Mittel zum Zweck der Virusbekämpfung sind, sondern zum eigentlichen Ziel werden. In Ungarn etwa – das vor kurzem erst von einem renommierten Demokratieforschungsinstitut zum ersten nicht-demokratischen EU-Mitglied erklärt wurde – lässt sich die Regierung Orbán gerade mit Berufung auf die Covid-19-Pandemie die Lizenz zur Ausschaltung des Parlaments erteilen.

Gut möglich also, dass das Coronavirus nicht nur große gesundheitliche und ökonomische Schäden anrichten wird, sondern auch Demokratie und Rechtsstaat in Mitleidenschaft zieht. (Laurenz Ennser-Jedenastik, 26.03.2020)