Viele Alleinerziehende befinden sich angesichts der Doppel- und Mehrfachbelastung am Limit.

Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Durchhalten – es ist die Parole, die die Regierung immer wieder ausgibt. Die umfassenden Maßnahmen zur Eindämmung des Virus sollen nach dem Ostermontag schrittweise zurückgefahren werden. Im Krisenmanagement scheinen frauenpolitische Überlegungen für die Regierung bisher eine untergeordnete Rolle zu spielen. Am 19. März präsentierten Frauenministerin Susanne Raab, Justizministerin Alma Zadić und Familienministerin Christine Aschbacher bei einer gemeinsamen Pressekonferenz erste frauen- und familienpolitische Maßnahmen. So sei die Frauenhelpline gegen Gewalt aufgestockt worden, zuletzt wurde dort ein Anstieg der Anrufe um fünfzig Prozent verzeichnet. Das Familienministerium wiederum übernimmt die Kosten für einen beschleunigten Unterhaltsvorschuss, um den Kindesunterhalt angesichts drohender Zahlungsunfähigkeit zu sichern. "Positiv, aber bei weitem nicht ausreichend", kritisierte SPÖ-Frauensprecherin Gabriele Heinisch-Hosek.

Soziale Verwerfung

Die langfristigen Auswirkungen auf das Geschlechterverhältnis und die bestehende soziale Ungleichheit könnten indes drastisch ausfallen. Wie schon die Finanz- und Wirtschaftskrise gezeigt habe, stehe Frauenpolitik in Krisenzeiten nie im Fokus der Politik – sie könne als Luxusproblem beiseitegewischt werden, sagt Katharina Mader, Ökonomin an der Wirtschaftsuniversität Wien. "Dass jetzt eine Handelsangestellte nicht nur ihre Gesundheit riskiert, sondern möglicherweise auch zur Alleinverdienerin eines Haushalts geworden ist und genau deshalb einen deutlich höheren Lohn bräuchte, hat nichts mit Luxus zu tun", so Mader.

Durchhalten, das hat für die Menschen im ausgerufenen "Team Österreich" ganz unterschiedliche Bedeutungen. Während die obere Mittelschicht sich ins Homeoffice im Haus mit Garten zurückziehen kann, fahren andere weiterhin täglich mit der U-Bahn zum Arbeitsplatz und sehen sich in der Lagerhalle oder im Pflegeheim mit einem erhöhten Ansteckungsrisiko konfrontiert. Eine Trennlinie, die nicht nur entlang der Geschlechter verläuft, sondern auch Klassenunterschiede verdeutlicht. Dass Frauen – viele von ihnen mit Migrationsgeschichte – am Arbeitsmarkt unverzichtbare Systemerhalterinnen sind, erfährt durch die Corona-Krise Aufmerksamkeit wie nie zuvor. Als Fachkräfte in der Medizin und der Pflege, im Handel und der Reinigung, aber auch in den Schulen und Kindergärten. "Nach dem zweiten Tag, an dem wir unseren Sohn zu Hause unterrichtet haben, fordere ich ein Jahresgehalt von einer Million Pfund für Lehrer*innen", twitterte ein britischer Vater. Auch Frauenministerin Raab bedankte sich bei der Pressekonferenz am Mittwoch bei den "Heldinnen des Alltags" im Lebensmittelhandel und in Gesundheitsberufen, Apotheken und Trafiken.

Zukunftsmodell Homeoffice?

Die Problematik ist indes eine strukturelle. Überall dort, wo besonders viele Frauen arbeiten, sind auch die Löhne entsprechend niedrig. "Nach der Corona-Krise müssen wir gemeinsam daran arbeiten, dass es gerade in diesen Bereichen zu massiven Verbesserungen in der Bezahlung wie auch bei den Arbeitsbedingungen kommt. Die Arbeit der Frauen darf nämlich nicht nur in Extremsituationen wertgeschätzt werden", sagt Korinna Schumann, Vizepräsidentin und Bundesfrauenvorsitzende des Österreichischen Gewerkschaftsbunds. Um mehr Chancengleichheit am Arbeitsplatz zu erreichen, sei eine "ganzjährige, qualitätsvolle Kinderbetreuung" einer der wesentlichen Schüssel, das Budget für Elementarpädagogik müsse auf mindestens ein Prozent des BIP aufgestockt werden, forderte Schumann anlässlich des Internationalen Frauentags am 8. März. Wenige Wochen später sind Schulen und Kindergärten geschlossen, nur noch rund fünf Prozent der Schüler*innen würden sich aktuell in Betreuung befinden, berichtete Sebastian Kurz.

Die Schulen dürften noch deutlich länger geschlossen bleiben, kündigte der Kanzler am Dienstag an. Diese notwendige Schließung eröffnet in der bereits vorhandenen Care-Krise eine neue Dimension, sagt Ökonomin Mader. Schon immer sei Frauen in Krisenzeiten die Rolle sozialer Airbags zugefallen. "Frauen übernehmen dann deutlich mehr unbezahlte Arbeit, gerade wenn man diese Arbeit am Markt nicht mehr leisten kann oder sie vom Staat nicht mehr angeboten wird", so Mader.

Für all jene in Hetero-Partnerschaften, die im Homeoffice arbeiten, könnte die neue Situation auch die Chance auf eine gerechtere Verteilung von Care-Arbeit bedeuten. Studien deuten allerdings in eine andere Richtung, weiß die Ökonomin. So zeigen zwei deutsche Untersuchungen aus dem Vorjahr, dass die Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten, keinen Einfluss auf das Engagement von Vätern für die Familie hat – die Zuständigkeit der Frauen für die Kindererziehung und Familienplanung erweist sich als äußerst krisensicher. Auf Basis dieser Rollenbilder haben Frauen sogar seltener Zugang zum Homeoffice, so Mader: Ihnen werde unterstellt, dass sie sich zu Hause nebenbei um Kinder und Haushalt kümmern werden, statt konzentriert zu arbeiten.

Romantisierte Kleinfamilie

Im Netz kursieren mittlerweile unzählige Tipps, wie die Zeit der unfreiwilligen Entschleunigung produktiv genutzt werden könne: Achtsamkeitsübungen, Online-Yoga mit der Familie, selbstgemachtes Brot statt Aufbackware aus dem Supermarkt. "Die Romantisierung der Quarantänemaßnahmen ist ähnlich wie die der bürgerlichen Kleinfamilie nur für einen kleinen Teil der Bevölkerung zutreffend", sagt Katharina Mader. Je stärker Menschen sich mit Existenzängsten konfrontiert sehen, umso schwieriger gestalte sich auch die Quarantäne. Viele Alleinerziehende befinden sich angesichts der Doppel- und Mehrfachbelastung jetzt schon am Limit, auch abseits der Krise gelten 44 Prozent von ihnen als armuts- und ausgrenzungsgefährdet.

Die Österreichische Armutskonferenz fordert von der Regierung daher einen "sozialen und ökonomischen Schutzschirm". "Wie die Kosten der Krise verteilt werden, entscheidet über mehr oder weniger Armut in den nächsten Jahren", schreiben die Armutsexpert*innen. Angesichts steigender Arbeitslosigkeit und fehlender Einkünfte für "prekäre Ich-AGs" könnte sich die Situation weiter verschärften, zugleich ist das Virus für einkommensarme Personen auch gesundheitlich besonders bedrohlich. 29 Prozent aller Mindestsicherungsbezieher*innen weisen einen sehr schlechten Gesundheitszustand auf, über die Hälfte ist chronisch krank, berichtet die Armutskonferenz – eine Infektion mit Covid-19 ist nicht nur für alte Menschen eine akute Bedrohung. Dass in vielen Haushalten kein oder nur ein Computer für mehrere Personen vorhanden ist und Eltern nur begrenzt bei Mathematik-Aufgaben oder Deutsch-Grammatik behilflich sein können, droht in Zeiten von E-Learning Bildungsunterschiede zusätzlich zu verschärfen. Schon jetzt werden Bildungsabschlüsse in Österreich stärker vererbt als in anderen EU-Staaten.

Durchhalten

Während die Verhandlungen für die Beschäftigten im privaten Pflege- und Sozialbereich, wo vor der Krise eine 35-Stunden-Woche gefordert wurde, pausieren, sieht Gewerkschafterin Korinna Schumann sich in ihren Forderungen bestätigt: "Dass wir mit unserer Forderung nach einer Arbeitszeitverkürzung richtig liegen, sieht man gerade jetzt am Beispiel der Beschäftigten in der Pflege- und Sozialwirtschaft. Sie sind überarbeitet in die Krise gestartet und werden danach noch ausgelaugter sein." Dass sie "durchhalten", sollte angesichts der Corona-Krise ein gesamtgesellschaftliches Anliegen sein. (Brigitte Theißl, 28.3.2020)