Wanderratten sind sehr soziale Tiere. Sie helfen und putzen einander und teilen ihr Futter. Doch sie tun dies nicht bedingungslos. Wer anderen nicht hilft, kann auch selbst keine Hilfe erwarten. Und wer nicht bedürftig ist, muss vielleicht auch länger auf Hilfe warten.

Ratten sind intelligente und soziale Tiere.
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Dies zeigte sich in einer Studie der Universität Bern. Tenor: Ratten helfen ihren Gefährten eher an Futter zu gelangen, wenn diese hungrig sind. Genauer gesagt, wenn diese hungrig riechen. Denn das war der Hinweis, den die Wissenschafter um Studienleiter Michael Taborsky gezielt manipulierten, um das Verhalten der Ratten zu beeinflussen.

Wie du mir, so ich dir?

In den Experimenten saßen zwei Ratten in getrennten Käfigen. Sie waren darauf trainiert, mithilfe eines Hebels eine kleine Plattform zu bewegen, damit die andere Ratte Zugang zu einer Haferflocke erhielt, die auf der Plattform platziert war.

Die Ratten konnten einander allerdings nicht sehen, und auch die akustische Kommunikation wurde durch Hintergrundgeräusche einer Pumpe eingeschränkt. Die Pumpe leitete die Luft aus dem Käfig aus dem Raum, damit auch keine chemische Kommunikation möglich war.

Die Ratte im linken Käfig kann das Futter nur erreichen, wenn die Ratte im rechten Käfig den Hebel bedient.
Foto: Res Schmid

Die Ratte am Hebel bekam selbst nichts von dem Futter, musste sich also darauf verlassen, dass die Empfänger-Ratte in der umgekehrten Situation ihr ebenfalls helfen würde. Anschließend wurden die Rollen vertauscht. Einmal mehr bestätigte sich, dass Ratten einer "Quid pro quo"-Regel folgen.

Spannend wurde es, als der Versuchsaufbau um einen weiteren Faktor modifiziert wurde: Dafür wurde die Luft aus dem Käfig einer dritten Ratte zugeleitet, und diese Ratte war entweder satt oder hungrig. Handelte es sich bei Nummer drei um eine satte Ratte, zögerten die Versuchsratten länger, den Hebel zu betätigen und ihrem unschuldigen Partner zu helfen.

Der Duft des Hungers

Um herauszufinden, welche Duftstoffe dafür verantwortlich sein könnten, dass die Ratten zwischen hungrig und satt unterscheiden konnten, analysierten die Forscher die jeweilige Raumluft mit Gaschromatografie und Massenspektrometrie. Dabei konnten sie sieben flüchtige Moleküle identifizieren, die sich in ihrer Konzentration unterschieden.

Eine satte Ratte riecht anders als eine hungrige.
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Eine naheliegende Erklärung ist, dass Stoffwechselprodukte, die bei der Verdauung entstehen, in hungrigen Ratten fehlen und deshalb eine Unterscheidung der Gerüche möglich machen. Das trifft auch auf die meisten der Moleküle zu.

Ein Stoff war allerdings nur bei den hungrigen Ratten vorhanden: 3-Methylbuttersäure. Deren Geruch, der uns Menschen eher an Schweißfüße erinnert, ist Teil des weiblichen Pheromon-Cocktails bei Ratten. Weitere Forschung soll nun den Zusammenhang zwischen diesem Stoff und der Hilfsbedüftigkeit bei Ratten klären. (Friederike Schlumm, 31.5.2020)