Gegen das Coronavirus ist auch Wladimir Putin nicht gefeit – im Gegensatz zu Europa glaubt er aber, die richtige Strategie zu haben.
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Covid-19 hat nun auch offiziell Russland erreicht. Präsident Wladimir Putin hat in einer außerordentlich einberufenen Fernsehansprache ans Volk die Russen eindringlich zur Vorsicht wegen der Pandemie aufgerufen und Notmaßnahmen verkündet, um die Verbreitung einzudämmen. Wichtigste politische Maßnahme ist die Absage der für den 22. April geplanten Abstimmung über die Verfassungsänderung, die Putin das Recht geben soll, bis 2036 durchzuregieren. Auch internationale Flüge wurden eingestellt.

Russland steht zwar noch am Anfang der Epidemie, doch die Dynamik der Erkrankungen hat drastisch zugenommen: Wurden am Dienstag 57 Neuerkrankungen gemeldet, waren es am Mittwoch schon 163, am Donnerstag 182. Auch die ersten Toten gibt es nun.

Putin enthielt sich in seiner Ansprache jeglicher Vorwürfe, auch wenn er die Seuche als "Gefahr von außen" charakterisierte, vor der sich "Russland allein aufgrund seiner geografischen Lage nicht abgrenzen" könne. Lediglich in einem Halbsatz schwang eine Wertung durch: Er erklärte die kommende Woche für arbeitsfrei und bat die Russen, zu Hause zu bleiben – ansonsten werde das Szenario, das sich derzeit in Westeuropa und den USA abspiele, "zu unserer nächsten Zukunft", warnte er. Putin verortet also das Problem allein im Westen – unter Auslassung Chinas.

"Nichts von Europa lernen"

Andere Kommentatoren in Moskau sind da wesentlich härter. Allen voran die beiden Chefpropagandisten des Kremls: Margarita Simonjan und Dmitri Kisseljow – die eine ist Chefredakteurin von RT (früher als Russia Today bekannt), der andere deren Generaldirektor und zugleich Vizedirektor der staatlichen Medienholding WGTRK. Für die beiden ist klar: Der Liberalismus hat mit der Corona-Krise ausgedient.

Diese These verbreiten sie auch in aller Öffentlichkeit. So twitterte Simonjan: "Schaut auf das auf seinen romantischen Balkons eingesperrte Italien und Spanien und kapiert endlich, dass wir von diesem Modell nichts, aber auch gar nichts lernen können."

Kisseljow wertete die Grenzschließungen als "Pleite der europäischen Idee". "Der ganze Firlefanz von Solidarität, gegenseitigem Beistand, gemeinsamen Werten, Menschenrechten und Humanität war wie vom Winde verweht, als Italien – wo es mehr Tote als in China gibt – um Hilfe bat, die ihm von der EU verwehrt wurde", griff der 65-Jährige in der Nachrichtensendung "Westi Nedeli" die westlichen Regierungen an, deren Handlungen er die russischen und chinesischen Hilfslieferungen an Rom entgegenstellte.

Kisseljow attackierte wieder Homosexuelle: Diese sollten während der Krise auf Sex verzichten – schließlich sei es "allgemein bekannt", dass sie öfter ihre Sexualpartner wechselten als andere und daher zur Verbreitung des Virus stärker beitrügen, behauptete er.

China als Mythos?

Zumindest die These vom Versagen Europas und von der Effizienz Chinas bei der Bekämpfung der Krise wird auch von führenden russischen Außenpolitikern wie Konstantin Kossatschow und Alexej Puschkow vertreten. Alexander Baunow vom Carnegie-Zentrum in Moskau erklärt die Kritik am Westen mit den stärker werdenden autoritären Tendenzen in Russland. Es gehe damit um einen ähnlichen Wettstreit der Systeme, wie er schon zu Zeiten des Kalten Kriegs zwischen West- und Ostblock stattgefunden hat. "Nach Putins Entscheidung, seine Amtszeit zu verlängern, trifft er prinzipiell die Entscheidung zugunsten des Autoritarismus und demonstriert, dass er fest vom Sieg dieses Systems überzeugt ist", so Baunow.

Die Corona-Krise sei für das russische System "ein Moment der Wahrheit", fügte der Soziologe Andrej Kolesnikow hinzu. Solange Moskau demonstriere, dass es effizient die Ausbreitung der Krankheit eindämmen könne, so lange sehe es den eigenen Regierungsstil im Vorteil gegenüber westlichen Demokratien. (André Ballin aus Moskau, 26.3.2020)