Statt Tournee nun in Wien mit Familie: Wolfgang Muthspiel.
Foto: Laura Pleifer

Abgesagt: Bezüglich seiner ausgiebigen US-Tournee bleibt Wolfgang Muthspiel nur, die Vorfreude in Geduld zu hüllen. "Ich bin in Wien mit meiner Frau und unserer vierjährigen Tochter. Die US-Gigs wurden abgesagt, wir sind am Umplanen für 2021. Und wer weiß, ob die nächste Europatour nicht im Juni auch dem Virus zum Opfer fallen wird", so der steirische Gitarrist.

Die US-Reise hätte auch der Präsentation der neuen CD Angular Blues gegolten. In Anbetracht der Lage in Amerika ist Muthspiel womöglich aber irgendwie froh, nicht drüben zu sein. "Ich glaube, dass Österreich den Umgang mit der Pandemie bis jetzt großteils gut hinkriegt. Wir sind aber trotzdem alle in einer Situation, die wir noch nie erlebt haben, keiner weiß, wie es weitergeht."

In Amerika sehe es "noch wesentlich rauer aus. Ich mache mir Sorgen um das Land – auch wegen der sozialen Spannung, die sich angesichts des Missmanagements seitens der Regierung aufbaut. Wenn ich höre, dass Waffenkäufe rapide ansteigen, klingt das für mich bizarr, erschreckend."

Unterstützung für Musiker

Wegen dieser Eindrücke wäre es "ein seltsames Gefühl" gewesen, "mein Album auf sozialen Netzwerken zu posten und Interviews zu führen, wenn sich das Laben so einschneidend verändert. Doch nachdem ich darüber nachgedacht habe, wie wichtig für mich – selber jetzt – Musik ist, die mich auch von dieser Bedrohung wegholt, hat sich meine Sichtweise geändert."

Als einer der etablierten Jazzmusiker der internationalen Szene wird Muthspiel, der auch in Basel Jazzgitarre unterrichtet, nicht gleich in den existenziellen Abgrund blicken müssen. Insgesamt sieht er aber eine dramatische Situation für jene, die freischaffend tätig sind: "Sie trifft es jetzt hart. Der Hilfsfonds der AKM ist hier ein wichtiger Schritt für eine erste Hilfe." Man könne Künstler jetzt auch unterstützen, "indem man Musik oder Noten von ihnen kauft. Wenn möglich, am besten direkt vom Künstler selbst."

Entschließt sich jemand, Muthspiels bei ECM erschienene CD zu erstehen, taucht er in kammermusikalische Triosphären ein. Zusammen mit dem subtilen Drummer Brian Blade und dem Bassisten Scott Colley produziert der Gitarrist eine sich unaufdringlich vermittelnde Energie, die vom dynamischen Kanon in 6/8 bis zur entschleunigten Schönheit Hüttengriffe reicht.

Organische Resultate

Wenn Mutspiel den Kern der Einspielung definieren soll, die auch Standards wie I’ll Remember April enthält, spricht er vom "Klang, den ich als Gitarrist produziere und lange gesucht habe". Auch eine "unangestrengte Art der Improvisatorik, die quasi von selber kommt", ist für ihn charakteristisch, der auch das Besondere der Studiosituation hervorhebt. "Dieses Aufnehmen vom ersten bis zum letzten Ton, dieses quasi Livespielen im Studio lässt für mich ein sehr organisches Resultat entstehen. Manches nimmt man ein zweites Mal auf, aber das ist es dann." Der erste Take mit den passenden Kollegen habe "immer eine besondere Qualität".

Sie ist natürlich auch per Streaming erlebbar, was Muthspiel positiv sieht. "Generell ist es zwar so, dass bei Musikern finanziell nicht viel hängenbleibt. Mein Management hat allerdings einmal rückblickend auf die Zahlen geschaut: eine unglaubliche Zahl an Streams, das sind doch alles Hörer. Und es sind wesentlich mehr als jene, die einst Platten gekauft haben." Und gegenwärtig, in der erst beginnenden Epoche der neuen Häuslichkeit, werden es sicher nicht weniger. (Ljubiša Tošic, 27.3.2020)