Die mit der Bekämpfung des Coronavirus einhergehenden Maßnahmen haben den Alltag vieler Menschen von einem Tag auf den anderen verändert – und dazu gehört auch das Kommunikationsverhalten. Videochat-Anwendungen erleben derzeit einen regelrechten Boom. Kaum ein Anbieter, der derzeit nicht einen riesigen Zuwachs an Nutzern verzeichnen kann.

Das Ansinnen, möglichst rasch eine Alternative zu physischen Begegnungen zu finden, führt dazu, dass viele ohne groß nachzudenken bei populären Lösungen zugreifen und Themen wie die Wahrung der Privatsphäre in den Hintergrund rücken.

Privatsphärenprobleme

Dass dies nicht ohne Konsequenzen bleibt, zeigt etwa ein Blick auf die Privacy Policy von Zoom – einer Videochat-Lösung, die sich derzeit aufgrund ihrer simplen und kostenlosen Nutzung eines besonders starken Zuspruchs erfreut. Denn was sich hier findet, sollte eigentlich alle Alarmglocken schrillen lassen. Zoom sammelt nämlich nicht nur jede Menge Daten über die Gespräche und seine Teilnehmer, es gibt auch Informationen an Dritte weiter. Von den weitreichenden Überwachungsfunktionen, die Administratoren solcher Chats zur Verfügung stehen, einmal ganz abgesehen. So können sich diese etwa warnen lassen, wenn Teilnehmer bei einer Präsentation länger als 30 Sekunden lang nicht aufpassen. Doch Zoom ist damit keine Ausnahme: Auch andere Dienste geben dem Betreiber einen weitreichenden Einblick – oder aber sie haben ein anderes Problem: Sie sind nicht kostenlos.

Open Source zur Hilfe!

Doch es gibt auch Abhilfe für jene, die auf ihre Privatsphäre etwas mehr Wert legen. Und diese kommt wie so oft aus der Welt der freien Software. Im Folgenden seien drei solche Projekte exemplarisch vorgestellt, Ergänzungen und zusätzliche Tipps sind im Forenbereich natürlich herzlich willkommen.

Jitsi Meet

Wer einen direkten Ersatz für Zoom und Co sucht, der wird schnell bei Jitsi fündig – oder genauer bei Jitsi Meet, bietet es doch weitgehend dieselben Funktionen. Das Einrichten einer neuen Videokonferenz funktioniert äußerst einfach: Es reicht, einen Namen auszuwählen, dieser dient dann auch als Basis für den Einladungs-Link, den man mit anderen teilen kann. Um zu verhindern, dass hier Unbefugte Zugriff erhalten, sollte dieser Name also möglichst kreativ gewählt werden. Zudem ist es möglich, nach dem Anlegen des Kanals auch gleich ein Passwort zum zusätzlichen Schutz zu vergeben.

Jitsi Meet erinnert an viele bekanntere Videochat-Lösung, kann aber auch selbst betrieben werden.
Foto: Proschofsky / STANDARD

Das User-Interface ist weitgehend selbsterklärend, es können also wie gewohnt Mikrofon und Kamera nach Belieben (de-)aktiviert werden. Im Hauptfenster wird die gerade sprechende Person gezeigt, man selbst ist in einem kleinen Ausschnitt zu sehen – so wie man es von so ziemlich allen anderen solchen Programmen kennt.

Features

Einmal in einer solchen Konversation, bietet Jitsi aber noch zahlreiche zusätzliche Funktionen. So können die Nutzer etwa ihren Desktop mit anderen teilen oder auch Präsentationen tätigen. Wer öffentliche Vorträge halten will, kann die Videokonferenz sogar in Richtung Youtube streamen. Umgekehrt ist es möglich, Youtube-Videos in einem Jitsi-Chat gemeinsam zu betrachten. Dokumente können kollaborativ über ein Etherpad bearbeitet werden, eine Anbindung für jene, die sich via Telefon einwählen wollen, gibt es auch.

Nett ist auch die Möglichkeit, über einen eigenen Knopf virtuell die Hand zu heben, womit man signalisieren kann, dass man gerne als Nächstes das Wort hätte. Einen integrierten Chat zum Austausch von Textmitteilungen gibt es ebenso wie eine Funktion, um die laufende Diskussion aufzuzeichnen. Wer gerade nicht aufgeräumt hat, kann zudem den Hintergrund mit einem Weichzeichner unkenntlich machen – was derzeit allerdings nicht auf allen Rechnern wirklich gut funktioniert.

Privacy

All das geht mit einem starken Privacy-Versprechen einher. Dazu gehört auch, dass es nicht notwendig ist, Accounts anzulegen: Dem Einladungs-Link folgen und dann einen Namen angeben reicht vollkommen, um einem Chat beizutreten. Größte Schwachstelle in diesem Modell bleibt, dass zwar die Datenübertragung verschlüsselt erfolgt, der Betreiber des Servers aber selbst theoretisch Einblick in die Konversation nehmen könnte – das ist allerdings bei den meisten anderen Videokonferenz-Tools auch nicht anders.

Eigenbetrieb

Da Jitsi Meet Open Source ist, ist man in dieser Hinsicht aber glücklicherweise nicht von einem einzelnen Anbieter abhängig. Eine Liste von öffentlich zugänglichen Jitsi-Instanzen gibt es auf der Projektseite. Und wem das noch nicht reicht, der kann die Software einfach auf einem eigenen Server aufzusetzen. Ein gewisses technisches Grundwissen ist dafür zwar Voraussetzung, es gibt aber gute Anleitungen, die den gesamten Prozess erläutern. Neben Tutorials für beliebte Linux-Distributionen gibt es dabei sogar Anleitungen, die erklären, wie sich eine eigene Jitsi-Instanz auf einem eigenen Raspberry Pi betreiben lässt. Ein Aufwand, der sich durchaus lohnt, hat man dann doch die gesamte Infrastruktur – und damit auch alle Daten – unter eigener Kontrolle. Bedacht sei dabei allerdings natürlich, dass sowohl die Rechenkraft des verwendeten Systems als auch die Internet-Anbindung entscheidende Faktoren dafür sind, wie viele Teilnehmer problemlos abgewickelt werden können. Doch auch so ist Jitsi eher für kleinere Gruppen als für riesige Team-Meetings von Firmen gedacht.

Als Basis verwendet Jitsi den offenen WebRTC-Standard, für gute Audioqualität soll das auf Sprache optimierte Audio-Codec Opus sorgen. Am Desktop kann Jitsi Meet schlicht über den Browser genutzt werden, es gibt aber auch Smartphone-Apps für Android und iOS. Wer sich fragt, wie das alles möglich ist, ohne dass man dafür zahlen muss: Neben dem Engagement der Open-Source-Community steckt dahinter die Firma 8x8, die Jitsi als Basis für ihre kommerziellen Produkte verwendet und sich durch die Finanzierung der Infrastruktur bei den freien Entwicklern bedankt.

Nextcloud Talk

Nextcloud Talk integriert sich direkt mit anderen Zusammenarbeitstools – alles komplett unter eigener Kontrolle.
Screenshot: Nextcloud

Geht es um die fixe Zusammenarbeit in Gruppen – oder auch kleineren und mittleren Unternehmen –, dient sich eine weitere Option an: Nextcloud Talk ist ein Bestandteil der freien Zusammenarbeits-Plattform Nextcloud Hub. Diese bietet neben einem Online-Datenspeicher – also einer Alternative zu Google Drive oder Dropbox – auch Groupware-Komponenten für Mail, Kontakte und Kalender. Nextcloud Talk fügt sich hier nahtlos ein, in Summe ist das Ganze also eher eine Alternative zu Microsoft Teams oder Slack.

Der entscheidende Unterschied zu den Konkurrenten: Nextcloud ist ebenfalls Open Source und kann auf eigenen Servern gehostet werden. Zudem legt man auch sonst viel Wert auf das Thema Privacy. So erfolgen die Gespräche hier sogar Ende-zu-Ende-verschlüsselt. Metadaten fallen dabei natürlich trotzdem an, aber dazu betreibt man den Dienst schlussendlich auch selbst auf eigenen Servern – oder greift zu einem gehosteten Angebot diverser Drittfirmen.

Möglichkeiten

Nextcloud Talk ist zwar noch ein recht junges Produkt, viele bekannte Features gibt es aber auch hier – vom Screensharing über Präsentation bis zu Chat-Funktionen und der Möglichkeit der Telefoneinwahl. Dazu kommt die direkte Integration mit anderen Komponenten des Nextcloud Hub. Als technische Basis dient auch hier WebRTC. Genutzt kann Nextcloud Talk ebenso wahlweise über einen Webclient oder Android- und iOS-Apps werden.

Signal unterstützt auch Videoanrufe.
Grafik: Signal

Die wesentliche Beschränkung der freien Version ist die Belastungsfähigkeit, auch diese Software ist also eher auf kleine Gruppen ausgelegt. Für Firmen, die das Ganze nutzen wollen, hat Nextcloud aber ein kommerzielles High-Performance-Backend im Angebot, mit dem dann zwischen 30 und 50 Teilnehmer möglich sind – und zwar auch, wenn alle gleichzeitig den Videomodus aktiviert haben.

Signal

Eher am Rande sei noch ein weiteres Open-Source-Tool erwähnt, nämlich der Messenger Signal. Immerhin geht es vielen Nutzern derzeit nicht immer gleich um Gruppenkonversationen. Für Videochats zwischen zwei Personen ist aber auch Signal bestens geeignet. Der Vorteil: Dieses ist komplett Ende-zu-Ende-verschlüsselt, auch sonst bemüht sich der Hersteller, möglichst wenige Daten über die Nutzer zu sammeln und Spionage zu verhindern. Zudem gibt es das Ganze für Android und iOS, womit es als direkter Ersatz für Facetime und Co zum Einsatz kommen kann. (Andreas Proschofsky, 27.3.2020)