Kevin ist allein zu Haus, er packt jetzt gleich ein Messer aus: Auch daheim darf sich derzeit niemand wirklich sicher fühlen.

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Im Abwaschwasser lauern unter der schaumigen Oberfläche Messer, Gabel und Geflügelschere. Licht gibt es nur wenig. Die Lampe über dem Spülbecken hat vorige Woche das Zeitliche gesegnet. Niemand wagt sich in diese luftigen Höhen vor. Die Stehleiter wackelt und ächzt. Sie hat bessere Tage gesehen. Das trifft auch auf einen selbst zu. Man befindet sich zwar altersmäßig in Bezug auf das leidige Thema Nummer eins (nein, das andere!) von der Statistik her gesehen erst im mittleren Gefahrenbereich. Alte Leute aber sollten nicht auf Leitern steigen. Dies lehrt uns die Geschichte anhand der eigenen Familie. Hochgradige Gefährdung!

Nach zwei Wochen im Lockdown kommt man nicht nur drauf, dass die zweite Person in der Wohnung eigentlich eh ganz nett ist. Und das, obwohl man sie den ganzen Tag lang hört und sieht. Auch die Tatsache erstaunt, dass nun auf Social Media ein Paradigmenwechsel stattgefunden hat. Man sieht dort kaum noch Katzenfotos oder lustige Wackelbilder aus Lokalen, in denen man sonst der sittlichen Verwahrlosung nachgeht.

Milchsäurebakterien und Hefepilze

Dafür hat offensichtlich ein Gutteil des männlichen Bekanntenkreises damit begonnen, wie wild Brot zu backen. Sauerteig, um Himmels willen. Die Milchsäurebakterien und Hefepilze erinnern einen an den Geruch rund um Bierzelte, wenn dort die Männer Erlebnisse hatten, die der Engländer vornehm mit "Talking to God on the big white Telephone" umschreibt. "Erlebnisse", die gute alte Zeit!

Teig kneten oder am Computer Fotos von zwei Kilo schweren Bauernbroten und dazugehörige Wautschi-Kommentare, lefzende Emojis, Herzileins und "Bitte für mich auch!"-Kommentare durchscrollen, das mag zwar in einer normal funktionierenden Zivilgesellschaft als törichtes Freizeitverhalten wohlstandsverwahrloster Bobos durchgehen. Wir befinden uns allerdings gerade in einem Ausnahmezustand. Der Ausnahmezustand führt, neben der Schüssel mit dem gärenden Sauerteig, auch zu anderen Extremen häuslicher Betätigung.

Der Frühjahrsputz grassiert

Vom ebenfalls allerorten grassierenden Frühjahrsputz ist dringend abzuraten. Er führt zu gegenwärtig ohnehin vermehrt zu beklagender häuslicher Gewalt. Ebenfalls den ganzen Tag im Haushalt anwesende Personen begehen gern den Fehler, sich mit Staubsauger, Putzfetzen und diversen Bürsten provokant wichtig zu machen, während man in aller Ruhe das Netflix-Programm hinsichtlich noch nicht gesehener Serien durchsucht.

Auch der "Kannst du jetzt endlich?!"-Satz und eine mitten ins Badezimmer unter den vor Weihnachten kaputtgegangenen Luftfilter gestellte Stehleiter tragen wenig dazu bei, dass der Haussegen gerade hängen bleibt. Daneben wartet die Absaugpumpe der Waschmaschine auf ihre Reparatur. Wo die wilden Kerle wohnen, da muss man aber schon einmal Geduld walten lassen. Es müffelt halt alles ein wenig, na und?!

Glühbirne und Luftfilter

Während wir also den Barthaaren im etwas verschmierten Spiegel zusehen, wie sie nicht nur grau, sondern auch immer länger werden und teilweise unterschiedlich schnell wachsen, während aus den Achseln der herbe Duft der Pubertät heraufweht, erfahren wir aus dem letzten Bericht der Statistik Austria Zahlen, die uns Angst machen. Im Jahr 2018 wurden in Österreich insgesamt über dreihunderttausend Unfälle in der Todesfalle Haushalt verzeichnet, die im Krankenhaus behandelt werden mussten!

Das ergibt satte 78 Prozent der Unfälle in Österreich insgesamt. 1993 davon endeten tödlich. Leute, wir sprechen von 800 Unfällen pro Tag! Und angesichts dessen soll man sich jetzt wegen einer blöden Glühbirne oder eines Luftfilters in Gefahr für Leib und Leben begeben?!

Nichtstun ist jetzt oberste Pflicht

Selbstverständlich werden die Unfallzahlen im Haushalt angesichts von Corona dieses Jahr extrem in die Höhe schnellen. Da muss man erst gar nicht von den Verbrennungen reden, die man sich holt, wenn man das blöde Bauernbrot aus dem Backrohr hievt oder sich beim Flambieren einer Ente oder Dings das Hirn wegsengt.

Wir müssen auch etwaige zermerscherte Zehen beim Heimtraining mit Hanteln in Betracht ziehen. Schnittverletzungen werden Konjunktur haben, wenn sich das für Ausfahrten im Wohnzimmer aufgebockte Fahrrad selbstständig macht und in den Fernseher kracht. Man rutscht auf dem frisch eingelassenen Parkett aus, verätzt sich mit Reinigungsmitteln die Augen, trifft mit der Bohrmaschine auf eine Stromleitung, stolpert über eine leere Ginflasche.

Man bringe den Spritzwein!

Man schläft in der Badewanne ein, fängt sich eine Watsche, weil man zurückredet. Einige von uns werden sich, wenn es denn in der jetzigen Einsamkeit sein soll, auch einmal mit Sexspielzeug wehtun. Hallo, ich habe mir gestern mit einer Buchseite in den Finger geschnitten!

Liebe Leute, bitte bewahrt Ruhe. Nichtstun ist jetzt oberste Pflicht. Im Übrigen ist es gerade irgendwo auf der Welt fünf Uhr. Man bringe den Spritzwein! (27.3.2020)