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Plötzlich musste alles ganz schnell gehen. "Wir haben Freitagfrüh ganz zeitig mit den Kopier-Sessions gestartet", erzählt eine Pädagogin dem STANDARD. Sonst hätten die Lehrkräfte keine Chance gehabt, nach dem eilig von der Regierung verkündeten Corona-bedingten Aussetzen des Unterrichts ihre Schülerinnen und Schülern mit Übungsaufgaben zu versorgen. Die haben nämlich keinen Drucker zu Hause, viele auch keinen Computer.

Frau K., die hier wie ihre Kollegen nicht mit vollem Namen genannt werden will, unterrichtet an einer sogenannten Brennpunktschule in Wien. Im Umkreis "ihrer" Neuen Mittelschule leben viele sozial schlechter gestellte Familien, oft bildungsfern und/oder mit Migrationshintergrund. Das ist schon im normalen Schulalltag nicht immer einfach. Und jetzt überhaupt.

Nachricht um 22 Uhr: "Hallo, wie geht's?"

Die Arbeitszeiten von Frau K. sind seit Montag der Vorwoche jedenfalls auf den Kopf gestellt. Mit acht Uhr Schulbeginn ist vorerst einmal nichts mehr: "Meine Klasse arbeitet eher spät am Abend, dafür melden sie sich erst zwischen 10 und 11 am Vormittag via Facebook-Gruppe bei mir." Viele würden stundenlang "zocken", es fehle derzeit die Struktur im Alltag. Dafür meldet sich oft noch spätnachts jemand bei ihr. Da komme um 22 Uhr noch eine Nachricht mit "Hallo Frau K., wie geht's?". Meist stecke nicht viel mehr dahinter, als dass die Jugendlichen Ansprache suchen. Also hat Frau K. die erste Woche "Home-School" auch damit verbracht, ihrer Klasse Nachrichten abseits von rein inhaltlichen Fragen zu schreiben, "damit sie wissen, ich bin da". Das sei gerade an einer Schule wie der ihren jetzt besonders wichtig. Ab heute will sie auf Nachmittagsunterricht umstellen: Vielleicht erreiche ich die Jugendlichen ab 14 Uhr besser.

Drei Kinder habe sie trotz allem "verloren". Die seien nicht mehr erreichbar, würden nicht wie gewünscht Fotos ihrer Arbeitsaufträge via Handy retourschicken, einfach nichts. Frau K. weiß um die Situation daheim: Es seien Kinder "aus extrem bildungsfernen Haushalten", die man ausschließlich über guten persönlichen Kontakt erreiche: "Die kommen wegen uns in die Schule." Ein Schüler hat jetzt immerhin auf eine Messenger-Sprachnachricht reagiert. Frau K. ist erleichtert, gleichzeitig ist da die Unsicherheit, ob die Kontaktaufnahme nachhaltig geglückt sei. "Wenn sich die Kinder bis Ostern nicht rühren, müssen wir die Eltern anrufen", sagt die Pädagogin.

"Rattenschwanz an Problemen"

Sollten die Schulen, wie zuletzt von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) angedeutet, länger auf Notbetrieb fahren, wünscht sich die Lehrkraft Klarheit und Großzügigkeit bei der Benotung. Und was jene Jugendlichen anlangt, die sich normalerweise bereits auf die Suche nach einer Lehrstelle machen würden: "Denen sollte man ganz unbürokratisch ein zehntes Schuljahr ermöglichen." Es zeige sich jedenfalls, dass der "Rattenschwanz an Problemen enorm" ist.

Frau K. kann sich vorstellen, im Abtausch für die jetzige Unterrichtspause im Sommer in der Klasse zu stehen. Noch sei nicht absehbar, wie lange man am neuen Schulalltag festhalten müsse. Die nächste Kopier-Session sei für die Zeit nach Ostern aber wohl schon absehbar: An der NMS ist geplant, einzelne Arbeitspakete zeitlich gestaffelt in der Schule zum Abholen bereitzulegen.

Anderer Standort, ähnliche Probleme

Auch für Direktor X., hier ebenfalls ein anonymisierter Gesprächspartner, hat sich der Schulalltag gehörig gewandelt. Die Eckdaten: "Brennpunktschule" in Wien, geringe Online-Erreichbarkeit – und vor allem wesentlich jüngere Schülerinnen und Schüler, handelt es sich in diesem Fall doch um eine Volksschule.

Die Lehrkräfte an seinem Standort versuchen es je nach Familie auf unterschiedlichen Wegen. Per Mail, per Telefon, per Post. Aber trotzdem: "Manche Kinder erreichen wir nicht mehr." Das beschäftigt Herrn X. natürlich sehr. Auch die Frage, was das für den weiteren Bildungsweg dieser jungen Menschen bedeutet.

Für den optimistischen Fall, dass man den Unterricht nach den Osterferien wieder aufnehmen könne, habe man zumindest bei der Beurteilung "noch kein Problem", sagt der Schulleiter. Und was, wenn das Schuljahr länger unterbrochen wird oder komplett ausfällt? "Dann sollte das nicht zulasten der Kinder gehen." Er ist dafür, "dieses Schuljahr als Ausnahme zu behandeln". Würden einzig die Leistungen im Home-Schooling als Grundlage für die Beurteilung herangezogen werden, wäre das seiner Ansicht nach "unfair", das könne bestenfalls als Mitarbeit gewertet werden. Herr X. will einen anderen Ansatz verfolgen: Es sei doch "keine Tragödie", wenn man in der Volksschule in einer solchen Situation Kinder in die nächste Schulstufe mitnehme.

Bereit für Unterricht in den Ferien

Und auch dieser Pädagoge kann sich gut vorstellen, einige Wochen Sommerferien "in die Unterstützung von Kindern zu investieren" – als Abtausch sozusagen. Es sei nur die Frage, ob das in der Lehrerschaft "mehrheitsfähig" wäre.

Eine weitere Kollegin aus Wien schildert den neuen "Schulalltag", den sie von ihrer Privatwohnung aus bestreitet. Auch bei ihrer Volksschule würde man oft von einer "Brennpunktschule" sprechen: bildungsferne Familien, sozial problematische Verhältnisse, viele Kinder, deren Eltern nicht Deutsch sprechen. "Viele können nicht einmal auf dem Smartphone einfachste Apps einstellen", berichtet die Pädagogin. Es nutze ihr also gar nichts, sollte jetzt angedacht sein, möglichst viele dieser Familien mit Laptops auszustatten.

Übungsaufgaben per Lehrer-Lieferservice

Was hat sie also in den wenigen Stunden vor der De-facto-Schulschließung getan? Kopiert, wie viele ihrer Kolleginnen und Kollegen. Die Arbeitspakete können von den Eltern im Schulgebäude abgeholt werden. Und dann gebe es noch ihre "Engel" – jene Lehrerinnen, die das vorbereitete Arbeitsmaterial direkt vor den Türen der Familien abgeliefert haben.

Auch Pädagogin Z. bereitet sich auf eine mögliche Ausweitung der schulfreien Zeit vor: Es werde dann eine Ein- und Ausgabestelle Schulaufgaben geben, geplant sind zeitliche Slots pro Klasse zum Abholen und Abgeben. Was sie sich jedenfalls wünschen würde: mehr Vorlaufzeit. Damit die neue Art des Unterrichts dann gleich nach Ostern fortgeführt werden könne. (Karin Riss, 26.3.2020)