Vor über 80.000 Jahren lebten an der portugiesischen Küste Neandertaler, die sich von Fischen, Muscheln und Meeressäugern ernährten.
Foto: Zilhao et al. Science (2020)

Göttingen/Barcelona – Bisher waren Wissenschafter davon ausgegangen, dass sich erst der moderne Mensch aus dem Meer verköstigte. Aktuelle Untersuchungen legen nun jedoch den Schluss nahe, dass bereits der Neandertaler Fisch und Meeresfrüchte zu schätzen wusste. Wie ein Team von Universitäten in Göttingen und Barcelona im Fachjournal "Science" berichten, lässt sich dies aus Ausgrabungen in der Höhle von Figueira Brava in Portugal schließen. Der regelmäßige Fischverzehr könnte dabei auch die Entwicklung der Neandertaler beeinflusst haben.

Den Nachweis, dass auch Neandertaler Fische aßen, brachten Analysen von Kalzitablagerungen, die ähnlich wie Stalagmiten aus Tropfwasser entstehen. Diese sogenannten Sinterlagen sind zwischen 86.000 und 106.000 Jahre alt und stammen damit aus dem Zeitraum, in dem die Neandertaler Europa besiedelten.

Muscheln, Delfine und Robben auf dem Menüplan

Die Höhle, in der die Forscher arbeiteten, lag damals bis zu zwei Kilometer von der Küste entfernt. Sie fanden heraus, dass dort lebende Neandertaler routinemäßig Muscheln ernteten, fischten oder Robben jagten. Auf dem Speiseplan standen zudem Wasservögel, Delfine oder Seehunde. Nahrung aus dem Meer ist reich an diversen Fettsäuren, die die Entwicklung von Hirngewebe begünstigen.

Oben: Bruchstücke von Muschelschalen der Spezies Ruditapes decussatus. Unten: Aufgebrochene und teilweise verkohlte Scherenfragmente von Taschenkrebsen (Cancer pagurus).
Fotos: Zilhao et al. Science (2020)

Bisher wurde vermutet, dass der Konsum von Meerestieren die kognitiven Fähigkeiten der afrikanischen Populationen des Homo sapiens steigerte. Damit wurde laut den Forschern das frühe Auftreten einer symbolischen Kultur bei Homo sapiens erklärt.

Abstraktes Denken dank Fischverzehr

Ein Beispiel dafür sei die Dekoration von Behältern aus Straußeneiern mit geometrischen Motiven. "Solche Verhaltensweisen spiegeln die Fähigkeit des Menschen zum abstrakten Denken und zur Kommunikation durch Symbole wider, die auch zur Entstehung organisierterer und komplexerer Gesellschaften des modernen Menschen beitrug", erklärte der Göttinger Forscher Dirk Hoffmann.

Sollte der gewohnheitsmäßige Verzehr von Meeresbewohnern eine wichtige Rolle bei der Entwicklung kognitiver Fähigkeiten gespielt haben, gelte dies nun für den Homo sapiens und den Neandertaler. In einer früheren Studie hatten Hoffmann und weitere Forscher herausgefunden, dass Neandertaler vor 65.000 Jahren Malereien in drei Höhlen auf der Iberischen Halbinsel angefertigt hatten. Dort entdeckte bemalte und perforierte Muscheln werden ebenfalls den Neandertalern zugeordnet. (red, APA, 28.3.2020)