Für jeden egoistischen Klopapier-Hamsterer gäbe es tausende Krankenpfleger und Supermarktangestellte, die rund um die Uhr arbeiten, sagt Bregman.

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Desaster und Krisen fördern das Beste in uns zutage, schrieb Rutger Bregman vor zwei Wochen im Online -Magazin The Correspondent. Für jeden egoistischen Klopapier-Hamsterer gäbe es tausende Krankenpfleger und Supermarktangestellte, die rund um die Uhr arbeiten; für jeden zynischen Kommentar in den sozialen Medien einen Aufruf zu Solidarität in den betroffenen Kreisen. Doch wir hören meist nur von Ersterem. Die Folge? Ein verklärtes Weltbild.

Der in den Niederlanden geborene Historiker und Journalist ist vielen spätestens seit seinem Auftritt beim Weltwirtschaftsforum in Davos als eloquenter Eliten kritiker bekannt. Nun ist die deutsche Version seines neuen Buches "Im Grunde gut. Eine neue Geschichte der Menschheit" (Rowohlt, 480 Seiten) erschienen. "Dies ist ein Buch über eine radikale Idee", schreibt der 31-Jährige im Vorwort. Seine These: Die meisten Menschen sollen von Grund auf gut sein.

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Alles gut?

Geht man von dieser Prämisse aus, sei es möglich, die Welt neu, also grundoptimistisch, zu denken. Bregman belegt seine Theorie etwa mit The Blitz, den Angriffen der deutschen Luftwaffe auf Großbritannien während der Luftschlacht um England 1940. Als deutsche Bomber den Kanal nach Großbritannien überquerten, hatten Psychologen den Engländern eine mentale Zerrüttung vorausgesagt. Doch diese blieb aus. Stattdessen standen nach dem Angriff Schilder vor Londoner Pubs: "Our windows are gone, but our spirits are excellent. Come in and try them." Es ist das erste von vielen Beispielen, mit denen Bregman beweisen möchte, dass Moral und Solidarität gerade in Zeiten von (egal wie großen) Krisen zu- und nicht abnehmen.

Bregmans Fragestellung nach dem Grundwesen des Menschen ist nicht neu. Thomas Hobbes, der im 17. Jahrhundert zu einem wohlbemerkt ungünstigen Zeitpunkt zwischen Pest und Englischem Bürgerkrieg lebte, ging davon aus, dass das Leben ein "Krieg eines jeden gegen jeden" sei. Sein Zeitgenosse Jean-Jacques Rousseau pflegte eine etwas romantischere Sichtweise: Der Mensch sei gut, doch die Zivilisation habe ihn verdorben.

Freundlichkeit überlebt

Bis zu einem gewissen Punkt ist Bregman wohl Rousseauianer. Was uns von anderen Arten unterscheidet und als Menschen somit erfolgreich gemacht hat, sei unsere Fähigkeit zu sozialem Lernen und Kooperation. Nicht die Stärksten, sondern die Freundlichsten haben überlebt. Doch dieser Mechanismus, der uns zur liebenswertesten Spezies gemacht hat, habe uns gleichzeitig auch zur grausamsten verwandelt: Eine starke Kameradschaft im Krieg kann, wie wir wissen, auch verheerende Folgen haben.

Wie schon sein vorhergehendes Buch Utopien für Realisten, in dem er sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen ausspricht, ist auch Bregmans neues Werk eine Ansammlung inspirierender Geschichten. Gelegentlich kann das aber auch zu viel werden: Es ist schier unmöglich, sich alle Anekdoten zu merken. Am Ende bleiben die markantesten Parabeln hängen, wie die des echten "Herrn der Fliegen". Bregman recherchierte penibel und fand, dass anders als im Original – Achtung, Spoiler! – einige auf einer Insel gestrandete Kinder friedlich und kooperativ agierten, ja sogar bis heute befreundet sind.

Bregman ist eine Art Übersetzer, der radikale Ideen und Ideale auch einem intelligenten Teenager erklären kann. Das Buch ist seine persönliche Suche nach der guten Erzählung. Man könnte es sogar als eine Art Gegenerzählung zu rezenten Büchern mit verdächtig ähnlichem Titel sehen: etwa Sapiens. Eine kurze Geschichte der Menschheit des israelischen Historikers Yuval Noah Harari.

Bregmans Beispiele sind anschaulich, die Schlussfolgerungen nicht immer überzeugend. Das zeigt sich insbesondere, wenn es um die große Frage geht, wie Macht selbst scheinbar gute Menschen korrumpieren und Hitler oder Stalin hervorbringen konnte. Was erst nach reinem Pathos klingt – vor allem da eine Definition von "gut" und "böse" ausbleibt –, bleibt am Ende ein ehrgeiziger Appell, der Solidarität mehr Gehör zu schenken und der vermeintlichen Realität den Kampf anzusagen: Denn wenn wir daran glauben, dass Egoismus und Zynismus das Rezept für Erfolg seien, dann geschehe es auch so. (Katharina Kropshofer, 29.3.2020)