Zwei Landwirte in der Stadt: ein Beispiel für Market-Gardening in Saint-Denis in der Nähe von Paris.

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Es ist immer gut, ein zweites Standbein im Leben zu haben. Im Falle von Martin Grassberger, studierter Mediziner und Biologe sowie Facharzt für Gerichtsmedizin, Universitätsprofessor und Autor, könnte man da bereits von einem dritten oder vierten Standbein reden.

Nachdem er mit Das leise Sterben für viele das Wissenschaftsbuch des Jahres geschrieben hat, entschied er sich dazu, die Ausbildung zum Landwirt zu durchleben. Wie er selbst sagt, um seinen Horizont zu erweitern oder eines Tages selbst auf dem Feld stehen zu können.

Grassberger ist natürlich kein unbeschriebenes Blatt. In seinem Buch Das leise Sterben erklärt er auf über 300 Seiten, was mit der heute weitverbreiteten industriellen Lebensmittelproduktion falsch läuft und warum es wichtig ist, sich wieder die Natur als Vorbild zu nehmen.

Als Aufdecker oder der Mann mit dem erhobenen Zeigefinger drückt er aber nicht die Schulbank erneut, sagt er. "Meine Motivation war und ist, etwas zu lernen und Einsichten zu erhalten, nicht um Kritik zu üben!" Trotzdem merkt er, der Wille, etwas zu verändern, sei da.

Bodenproblematik, Artensterben, Ernährungssicherheit, Klimawandel – alles Themen, die heute auf offene Ohren stoßen, "nicht wie vielleicht noch vor zehn Jahren".

Methodenvielfalt

Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten und vor allem Institutionen, um das Handwerk der Landwirtschaft zu erlernen. Grassberger sieht in den von Schule zu Schule variierenden Lehrmethoden aber ein Problem. "Es gibt Schulen bzw. einzelne Lehrer, die setzen auf neuere Lehrinhalte, wie Förderung des Bodenlebens, Agroforstwirtschaft und diverse Methoden der regenerativen Landwirtschaft. Dann gibt es wieder andere, die lehren das, was die letzten Jahrzehnte gelehrt wurde." Über seine eigene Ausbildung spricht er ebenfalls mit gemischten Gefühlen. Es gebe gute und weniger gute Beispiele.

Grassberger kennt vor allem zwei Arten von Mitschülern: Quereinsteiger, so wie er, und junge Menschen, die einen Hof übernehmen wollen oder sollen. Und besonders denen müssten die richtigen Methoden und Werkzeuge vermittelt werden, sagt Grassberger. "Und das bedeutet nicht, dass ich einen neuen Traktor für 150.000 Euro kaufen muss."

Das wird allerdings von der älteren Generation, in deren Besitz meist noch der Hof steht, nicht immer gerne gesehen. "Ich habe mit jungen Landwirten gesprochen, die sagten, dass sie neue Methoden nur ausprobieren können, wenn ihr Vater beispielsweise auf Kur ist."

Das habe meist mit Ängsten zu tun. "Viele Väter wissen nicht, ob sie überhaupt ihre Kinder dazu bringen sollen, den Hof weiterzuführen." Viel Arbeit, wenig Geld. "Da fragen sich natürlich viele, ob das ein gutes Zukunftsszenario für ihre Kinder ist."

Direkter Kontakt

Für die anderen, die Quereinsteiger, wünscht er sich bessere Einstiegsbedingungen. "Allein heute an Boden heranzukommen ist schon schwierig." Das liege an den hohen Grundstückspreisen und oft auch am Vorkaufsrecht von Land für Großbauern. "Viele junge Leute sagen mir, dass sie gerne würden, aber nicht das Geld haben, um großflächig nachhaltige Lebensmittel zu produzieren, sondern das lediglich auf 50 Quadratmetern tun". Das falle eher unter den Begriff "Gartenbau". Ein Lichtblick sei das Market-Gardening, also die intensive Nutzung kleiner Anbauflächen ganz ohne Einsatz großer Maschinen.

In einem prominenten Kapitel schreibt Grassberger in seinem Buch vom "Bauernsterben 2.0". Denn Arbeitsdruck, das Gefühl der Sinnlosigkeit des eigenen Schaffens und Isolation führen – und das belegen Zahlen aus Frankreich – zu einer rund 20 Prozent höheren Suizidrate unter Landwirten im Gegensatz zur Durchschnittsbevölkerung.

Ein Mittel dagegen würde mittlerweile oft in Schulen gelehrt: Direktvermarktung und Ab-Hof-Verkauf. "Der direkte Kontakt mit der Bevölkerung ist wichtig", daher seien Fächer wie Rhetorik, wo Landwirte lernen, sich gegen Angriffe verbal und argumentativ zu wehren, fehlleitend.

Der Wechsel zu mehr regionalen und nachhaltigen Produkten sei aber nicht nur Aufgabe der Landwirtschaft, sondern auch der Konsumenten. "Produziert wird immer noch das, was der Kunde fordert und bezahlt."

Ob Grassberger eines Tages selber einen Hof samt Direktverkauf haben wird, bleibt abzuwarten. Sorgen, den Halt mit so vielen Standbeinen zu verlieren, muss er wahrscheinlich nicht haben. (Thorben Pollerhof, 28.3.2020)

Martin Grassberger, "Das leise Sterben". 24,– Euro / 336 Seiten. Residenz-Verlag, Salzburg 2020
Cover: Residenz Verlag