Während die politische Europäisierung der meisten Westbalkanstaaten noch ungewiss bleibt, strukturiert ihre finanzielle Dimension bereits den materiellen und sozialen Alltag fast aller Haushalte in der Region. In Bosnien und Herzegowina sowie in vielen anderen südosteuropäischen Ländern wurden europäische Banken in einer Zeit dominant, in der wirtschaftliche Transformation für Bürgerinnen und Bürger das Ringen mit Krediten und Schulden bedeutete. Obwohl Haushalte dadurch besseren Zugang zu Krediten erlangten, hat es sie zeitgleich verwundbar gegenüber der finanziellen Instabilität der Eurozone und den spekulativen Dynamiken von Banken außerhalb des regulatorischen EU-Rahmens gemacht. In ihrem alltäglichen Umgang mit Banken prägt Bürgerinnen und Bürgern in Südosteuropa sowohl die Hoffnung als auch die Desillusionierung mit der EU-Integration.

Europäisierung und Euroisierung

Die finanzielle Europäisierung in Südosteuropa ist keine private Initiative kommerzieller Banken. Sie entstand als Ergebnis der staatlichen Finanzpolitik der Euroisierung (Euroizacija), also innerhalb der endlosen Transformation von heimischen Wirtschaften, die der noch ausstehenden Integration dieser Länder in die Eurozone voranging. Hauptmerkmal dieses Prozesses ist ein fixer Wechselkurs lokaler Währungen zum Euro, wie in Bosnien und Bulgarien, oder ein nur leicht fluktuierender Wechselkurs wie in Kroatien und Serbien.

Die Euroisierung sollte instabile heimische Wirtschaften nach turbulenten Jahren der geopolitischen Transformation, der Kriege und Hyperinflation, die das Vertrauen in lokale Währungen und Wirtschaften untergrub, stabilisieren. Dieser Ansatz stellte sich als sehr effektiv heraus, um ausländische Güter und ausländisches Kapital anzuziehen. EU-Banken (vor allem österreichische und italienische) waren in Euro kapitalisiert und verliehen überwiegend Kredite in dieser Währung. Diese Dynamiken kennzeichneten die Wirtschaft vieler Länder der Region von sogenannter "peripherer Finanzialisierung", die in Südosteuropa einen spezifisch europäischen Charakter annahm.

Während Wirtschaftswissenschafter die Auswirkungen von Euroisierung auf die makroökonomische Stabilität dieser Länder diskutieren, interessiert Sozialanthropologie vor allem die Auswirkung der Euroisierung und deren finanziellen Konsequenzen auf die sozialen und materiellen Umstände von Bürgerinnen und Bürger Südosteuropas. Diese Tragweite dieser "Finanzialisierung des Alltags" war beträchtlich. In der gesamten Region müssen Haushalte sowohl Sozialleistungen (Wohnen, Gesundheitsversorgung, Bildung), die zuvor vom Staat zur Verfügung gestellt wurden, als auch Konsumgüter, zuvor leistbar durch stabile Beschäftigung, über Kredite finanzieren. In dieser Situation genereller sozio-ökonomischer Abwärtsmobilität boten europäische Banken sehr oft leichten Zugang zu Krediten (und Schulden). Die Banken tendierten dazu, Euro-indizierte Darlehen mit Zinssätzen abhängig von der Schwankung des Euribor (oder des Wechselkurses zwischen heimischer Währung und Schweizer Franken) billiger anzubieten.

Unter den Umständen der Eurokrise und mangelnden Schutzes für Kreditnehmer wirkte sich die Verschuldung bei EU-Banken konkret auf die soziale Position von Haushalten aus. Krediteinschränkungen, die Forderung nach mehr Sicherheiten (Grundstücke oder Garanten), steigende Zinsen und der Grad der Verschuldung trieben Haushalte in neuerliche Armut, führten zum Verfall ihrer sozialen Netzwerke und, im schlimmsten Fall, zum Selbstmord der Schuldner oder Garanten. Diese schmerzlichen Erfahrungen sah man weitgehend als Konsequenz unvorhersehbarer und unkontrollierbarer Dynamiken, die die Eurozone mit sich bringt, an, und sie begünstigten einen Anstieg in der Selbstwahrnehmung als europäische Peripherie "am Bankschalter".

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Finanzielle Peripherisierung

Europäische Währungen waren schon lang formell und informell in den Wirtschaftssystemen von südosteuropäischen Ländern präsent. In Jugoslawien zum Beispiel war der informelle Handel mit ausländischen europäischen Währungen (und des Dollar) weit verbreitet, da er Konsumentinnen und Konsumenten grenzüberschreitenden Konsum ermöglichte. Ab den späten 1970ern war es wegen der steigenden finanziellen Instabilität heimischer Währungen üblich, in ausländischen Währungen zu sparen. Diese Erfahrung begünstigte eine kulturabhängige Idee von weichen und harten Währungen, passend zur weitverbreiteten Annahme eines finanziell "stabilen" Europa und "instabilen" Südosteuropa. Bis heute strukturiert diese Idee Praktiken wie Fremdwährungseinlagen, die in Ländern wie Bosnien hauptsächlich durch Überweisungen finanziert werden. Diese Gewohnheit wurde auch durch die Einführung des Euro nicht hinterfragt, der als Nachfolger von "stabilen" europäischen Währungen der Vergangenheit (hauptsächlich deutsche Mark) gehandelt wurde. Obwohl der Euro noch immer als Wertreserve in Einlagen gesehen werden kann, hat er eine wesentlich andere Funktion im Kreditsystem. Dort stellte sich das Narrativ von "Eurostabilität", befeuert von Marketingstrategien der Banken, als trügerisch und gefährlich für südosteuropäische Kreditnehmerinnen und -nehmer heraus. Das bewiesen die steigenden Zinsen während der Eurozonen-Krise, als es zunehmend offensichtlich wurde, dass der Euro auch die Währung der Verschuldung von Bürgerinnen und Bürger und des Profits von Banken ist.

Neben dem Bewusstsein über die Abhängigkeit von finanziellen Turbulenzen der Eurozone, machte die Krise Bankkundinnen und -kunden außerhalb der EU auch klar, dass sie von Verbraucherrechten innerhalb der Eurozone ausgeschlossen oder zumindest marginalisiert werden. Obwohl auch Haushalte innerhalb der EU direkt betroffen von den Strategien der Finanzinstitute waren, die versuchten potenzielle Verluste abzuwenden, wurden diese innerhalb der EU politisch in Angriff genommen, indem man den Euribor absank und Zinsen niedrig hielt. Ethnografische Analysen zeigen, dass dies nicht immer auf Kundinnen und Kunden von EU-Banken in Bosnien und benachbarten südosteuropäischen Ländern zutraf. Marktderegulierung als Resultat von überholter sozialistischer Gesetzgebung und das Zusammenspiel von Banklobbys und lokaler Politik ließen Raum, verschiedene Strategien zur Profitmaximierung zu adaptieren.

Was, wenn Europäisierung ein Synonym für Finanzialisierung wird?

Aus bosnischer Perspektive ist Europäisierung ein Prozess der zwei Geschwindigkeiten: die beschleunigte finanzielle Inklusion der Bevölkerung und die langsame politische Steuerung dieses Phänomens. Dies schuf ideale Bedingungen für ein finanzialisiertes System, geprägt vom schwachen Engagement politischer Institutionen, zwischen Bürgerinnen und Bürgern und Markt zu vermitteln. Da lokale politische Autoritäten als Vertretung privater und oft persönlicher Interessen gesehen werden, verlassen sich viele verschuldete Bosnierinnen und Bosnier auf EU-Institutionen als letzte Instanz, um ihre Verbraucherrechte zu schützen. Gleichzeitig ist ihnen klar, dass europäische Institutionen nur wenig Kontrolle über die Risiken haben, die Menschen täglich am Kreditmarkt eingehen. Die Wiener Initiative, gestartet am Höhepunkt der globalen Wirtschaftskrise im Jänner 2009, um systemische Risiken der Eurozone vom südosteuropäischen Bankensystem abzuwenden, hatte nur wenig Einfluss auf die Mikroebene.

Euroisierung hat südosteuropäische Länder in kleine offene Volkswirtschaften verwandelt, die an einem einseitigen Güter- und Kapitalstrom beteiligt sind. Das hat eine finanzgeleitete Europäisierung begünstigt, bei der europäische Investitionen in den südosteuropäischen Ländern generell ins Kreditsystem fließen, also einen Sektor, der durch Zinsen profitiert und nicht durch die Produktion von Gütern oder einkommensschaffenden Maßnahmen. Dies widerspricht der Sehnsucht bosnischer Bürgerinnen und Bürger, als vollwertige Mitglieder in die EU inkludiert zu werden, anstatt nur als periphere Konsumentinnen und Konsumenten europäischer Finanzprodukte zu fungieren. (Zaira Tiziana Lofranco, 30.3.2020)