Helga Beimer im Einsatz für die Familie. Marie-Luise Marjan mit ihrem Seriensohn Moritz A. Sachs einst und jetzt.

Foto: WDR

Marie-Luise Marjan war 34 Jahre lang Helga Beimer – und hätte auch gerne noch weiter gemacht.

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Die "Mutter der Nation" war von Folge eins der deutschen Serienlegende Lindenstraße an dabei. Helga Beimer, gespielt von Marie-Luise Marjan, hatte zwei Ehemänner und drei Kinder. Am Sonntag läuft in der ARD die letzte Folge der Lindenstraße.

STANDARD: Wie ging es Ihnen nach 34 Jahren am letzten Drehtag?

Marjan: Das war am 20. Dezember, ich hatte eine sehr emotionale Szene mit Anna (Irene Fischer, Anm.). Als wir nach unserem letzten Satz vom Set in die Studiohalle kamen, standen alle Abteilungen – vom technischen Team über den Fahrer bis zur Kantinenköchin – da und applaudierten. Da flossen bei uns beiden die Tränen. Wir waren dankbar und berührt von diesem Zuspruch.

STANDARD: Haben Sie mittlerweile mit der Lindenstraße abgeschlossen?

Marjan: Nein, meine Drehbücher stehen immer noch an meinem Bett, sie sind noch nicht weggeräumt. Jetzt wird es auch bewusst, dass es zu Ende ist. Aber eigentlich haben wir ja das ganze Jahr über schon Abschied genommen.

STANDARD: Konnten Sie ein Souvenir mitnehmen?

Marjan: Die Kostümbildnerin gab mir ein Outfit von Helga. Ich hatte abgenommen, und mir passte keine Hose mehr. Da kam das ganz passend.

STANDARD: Das Aus für die Lindenstraße wurde im November 2018 überraschend verkündet. Wie haben Sie damals es erfahren?

Marjan: Andrea Spatzek (die Gabi Zenker spielte, Anm.) und ich waren in Spanien, in Navarino, bei einem Eagles-Charity-Golfturnier. Da sprach mich eine Dame an und verkündete, dass über den Ticker läuft, dass die Lindenstraße beendet wird.

STANDARD: Sie waren "not amused" über die Art und Weise.

Marjan: Es war nicht angenehm, so vor die nackten Tatsachen gestellt zu werden. Es heißt, wir waren zu teuer, und die Quote sei nicht mehr erwartungsgemäß. Diese ganze Zählerei stimmt ja nicht mehr, weil die jungen Leute alle am Tablet und Handy schauen. Aber das wird nicht erfasst. Doch unsere Fans, die halten uns bis zum Schluss die Treue.

STANDARD: Manche meinen, die Serie sei nach 34 Jahren auch einfach auserzählt.

Marjan: Wieso? Das Leben ist ja auch nie auserzählt. Es gibt immer neue Themen, zum Beispiel aktuell das Coronavirus. Mutter Beimer würde Corona bekämpfen und eine Kampagne starten, wie stärke ich mein Immunsystem. Wir haben auch Darmkrebs über 30 Folgen lang ausführlich thematisiert, um zur Vorsorge zu mahnen. Die Mutter meiner Enkelin Lea, die das nicht tat, ist in der Lindenstraßen daran gestorben.

STANDARD: Mutter Beimer hätte mal Brustkrebs bekommen sollen.

Marjan: Ja, nach der Scheidung von ihrem Hansemann (Hans Beimer, gespielt von Hermann-Joachim Luger, Anm.). Aber da habe ich protestiert, man konnte Helga Beimer nicht auch noch mit Brustkrebs bestrafen. Sie sollte nach der Scheidung positiv aufgebaut werden und ihr Leben in die Hand nehmen.

STANDARD: Wen hat denn nun Helga mehr geliebt? Hans Beimer oder ihren zweiten Mann, Erich Schiller? Schon Hansemann, oder?

Marjan: Das werde ich oft gefragt. Hans und Helga waren natürlich das Ur-Paar. Wir waren in der Serie 19 Jahre verheiratet. Aber drei Jahre nach Serienbeginn kam schon die Scheidung. Mit Erich Schiller dauerte die Ehe hingegen 22 Jahre. Helga hat sie beide gleich geliebt. Die Scheidung von Hans hat viele in der Realität sehr aufgeregt, weil man sich zunächst an der heilen Familie Beimer wie an einem Lagerfeuer wärmen konnte.

STANDARD: Wie viel Einfluss konnten Sie auf die Rolle nehmen?

Marjan: Ich wollte nicht, dass Helga bloß eine einfache Hausfrau ist und in ihrer Bürgerlichkeit und dem Wunsch nach heiler Familie stecken bleibt. Manches hat Hans Geißendörfer (der Produzent, Anm.) auch mitgetragen. Und nach ihrer Scheidung hat Helga sich ja entwickelt und ein Reisebüro eröffnet. Mit dieser Selbstständigkeit hat sie sich auch an meine eigene Person angenähert.

STANDARD: Welche Szenen fielen Ihnen schwer?

Marjan: Dramatische Szenen sind oft einfacher zu spielen als der Alltag. Da musste man authentisch sein, und auch wenn ich gerade Kartoffel schälte, das wollte ich richtig machen. Wenn Kollegen in der Realität gestorben sind und wir weiterdrehen mussten, dann ging das natürlich an die Nieren. Im wahren Leben sind 27 Kollegen und Kolleginnen gestorben, in der Serie 52.

STANDARD: Haben Sie anfangs mit einer so langen Dauer der Serie gerechnet?

Marjan: Nein. Wir wurden am Anfang von der Presse angefeindet. Man kannte in den 80er-Jahren aus Serien wie Denver Clan oder Dallas nur topgestylte Schauspieler. Und dann kamen wir mit einer Alltagsrealität, das war für die Kritiker verwirrend. Aber das Publikum hat uns sofort akzeptiert, wir hatten 13 Millionen Zuschauer. Und die Kritik von außen hat das Ensemble sehr zusammengeschweißt.

STANDARD: Und Sie wollten nie aussteigen?

Marjan: Nein. Es ergaben sich so viele Aufgaben um die Rolle herum, etwa meine sozialen Aufgaben mit Unicef und dem Kinderhilfswerk Plan International. Ich musste auch der Presse für viele Themen Rede und Antwort stehen und nach außen geradestehen. Es gab zudem viel Fanpost zu beantworten. Mir schrieben Väter und baten mich um meinen Rat, wenn ihre Söhne, so wie mein Seriensohn Klaus, auch Autos zerkratzten. Ich war die Außenministerin der Lindenstraße.

STANDARD: Was bleibt von der Lindenstraße?

Marjan: Man muss die Lindenstraße als Vermächtnis sehen. Sie hat der Gesellschaft von den 80er-Jahren bis heute den Spiegel vorgehalten, wir waren ein Teil der deutschen Geschichte. Und fast 34 Jahre auf einem Sender zu bleiben, das ist einmalig, das schaffte sonst keine Serie. Einige Dinge werden bewahrt: Die Küche der Familie Beimer kommt nach Bonn ins Haus der Geschichte, das Café Bayer und das Restaurant Akropolis kommen ins Technische Museum nach Speyer.

STANDARD: Es gibt also keine Neuauflage irgendwie, irgendwann?

Marjan: Wer weiß ... Die Welt dreht sich weiter. Es gibt andere Formate. Nachdem die letzte Folge ausgestrahlt ist, fahre ich in den Frühling, und im Herbst mache ich mit meinen Lesungen weiter. Mir wird nicht langweilig. Vielleicht habe ich jetzt ja auch mehr Zeit, um meine Freunde in Österreich zu besuchen. (Birgit Baumann, 28.3.2020)