Die Regierung demonstriert Geschlossenheit.

Foto: APA / Helmut Fohringer

So nahe zusammengerückt ist Sebastian Kurz nicht einmal mit seinem blauen Ex-Koalitionspartner Heinz-Christian Strache: Zur Bewältigung der Corona-Krise hat der türkise Kanzler seinem nun grünen Vize Werner Kogler bei sich am Ballhausplatz sogar ein eigenes Refugium zur Verfügung gestellt, um füreinander die Wege zu verkürzen. Konkret sind Kogler und sein Mitarbeiterstab in diesen Tagen in zwei Räumen des Kanzleramts untergebracht, damit er dort ungestört seinen Amtsgeschäften nachgehen kann, die ebenfalls oft via Videokonferenzen erfolgen.

Minister Nehammer, Kanzler Kurz, sein Vize Kogler, Minister Anschober: Die Krise führt zu einer Neuaufstellung innerhalb der Regierung.
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Das gefährliche Virus schweißt die bisher ungleichen türkis-grünen Koalitionäre offensichtlich zusammen: Ständige Lagebesprechungen ab den frühen Morgenstunden zum Weltgeschehen wie zur Akkordierung mit den Sozialpartnern und den Bundesländern wechseln sich tagsüber mit penibel getakteten Pressekonferenzen der Regierungsmitglieder ab, um die Bevölkerung ständig auf dem Laufenden zu halten. Unterschiedliche Ansichten zwischen Kurz und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne), etwa dazu, wie viele Menschen in welchem Tempo getestet werden sollen, sind bei den gemeinsamen Auftritten allenfalls in Nuancen wahrnehmbar.

Ein enger Mitarbeiter von Kurz versichert: "Ich habe noch nie eine so lange Phase beim Regieren erlebt, in der die Parteifarben keinerlei Rolle gespielt haben." Meinungsverschiedenheiten würden stets am Tisch ausdiskutiert, ehe man sich mit weiteren Maßnahmen an die Öffentlichkeit wende.

Auch hinter den Kulissen ist den Regierungspartnern derzeit kaum ein böses Wort übereinander zu entlocken. Auf ÖVP-Seite wird gelobt, dass sich Kogler als Ökonom bei der Erstellung der Rettungspakete engagiert einbringe, die letztendlich der türkise Finanzminister Gernot Blümel freigeben muss. Geschätzt wird auch Koglers unkonventionelle Art als Sportminister, als der er diese Woche Tourengeher maßregelte, die sich nicht an die vorgeschriebenen kurzen Spaziergänge halten. Koglers Spontanität – böse Zungen nannten es bisher "unstrukturierter Stil" – gilt jetzt auch als perfekte Ergänzung zu Innenminister Karl Nehammer (ÖVP), dessen Polizei bei Personen, die sich nicht an die Ausgangsbeschränkungen halten, hart durchgreifen muss.

Drastische Worte

Auch Kurz selbst schreckt als Regierungschef nicht vor drastischen Worten zurück, um den Österreichern den Ernst der Lage begreiflich zu machen: Schon Mitte März sprach er davon, dass diese Krise "Krankheit, Leid und Tod für viele Menschen in unserem Land bedeuten" werde. Sein unbestrittenes Redetalent nutzte der Kanzler, um insbesondere auf die Vulnerabilität der älteren Bevölkerung aufmerksam zu machen.

Die Kommunikationsexpertin Heidi Glück, einst Sprecherin von Kanzler Wolfgang Schüssel (ebenfalls ÖVP), attestiert Türkis-Grün bisher "ein Krisenmanagement ohne Fehler". In dieser ernsten Situation seien bis dato auch "keinerlei ausgeprägten Profilierungsneurosen" innerhalb der Regierungsriege auszumachen – "und das ist gut so".

Vor allem zwischen Kurz und Gesundheitsminister Anschober gibt es eine perfekte Abstimmung, auch wenn es durchaus Auffassungsunterschiede gibt. "Für einen Wickel haben wir keine Zeit", sagt der grüne Abgeordnete Michel Reimon, "die Arbeit muss hinhauen."

Grüne Eskalationsbereitschaft obsolet

Nur wenige Wochen davor hatten sich die Grünen schon eine Kampflinie zurechtgelegt, um mit der ÖVP in den Konflikt zu gehen, weil in ihren Reihen nach wie vor viele Flüchtlingsbewegte vertreten sind und kein Gehör fanden. Doch von der Bereitschaft zur Eskalation ist bei der aktuellen parteiübergreifenden Agenda nun keine Rede mehr. Denn von den Regierungsmitgliedern bis zum Klub im Parlament ist auch den Grünen klar, dass die Eindämmung der Corona-Katastrophe derzeit alle anderen Probleme überbietet. Daher brauche man jetzt mit den Flüchtlingen niemandem zu kommen – der ÖVP nicht und der Bevölkerung nicht.

Doch für die Zeit nach der virulenten Corona-Krise besteht auf grüner Seite die Hoffnung, dass die ÖVP auch über Flüchtlinge mit sich reden lässt. Das derzeit enge und vertrauensvolle Verhältnis könnte doch dazu führen, dass sich Kurz in der Flüchtlingskrise etwas bewegt. Die stellvertretende grüne Klubobfrau Ewa Ernst-Dziedzic sagt: "Diese Krise ist eine Probe, wie man unter schwierigen Bedingungen auch bei unterschiedlichen Einschätzungen dennoch gut zusammenarbeiten kann." Das so gewonnene Vertrauen könne in ruhigeren Zeiten auch bei anderen Anliegen zu einer Annäherung führen.

Andere haben diese Hoffnungen schon begraben. Kurz habe den harten Kurs gegen Ausländer, bis vor kurzem auf einer Linie mit der FPÖ, schon verinnerlicht. Wenn mit der milden Jahreszeit tatsächlich wieder Flüchtlinge kommen, wäre es "mit der Harmonie in der Koalition rasch vorbei", fürchtet ein türkiser Insider.

Fest steht, dass im Zuge der Corona-Krise selbst die ÖVP schon jahrzehntelange Dogmen entsorgt hat: Als Finanzministerpartei stets dem Nulldefizit verschrieben, hören sich Kurz und Blümel in diesen schweren Tagen nun eher wie Ex-Kanzler Bruno Kreisky (SPÖ) an, den Bürgerliche bisher gern als Schuldenmacher verteufelten. Doch nun wollen auch die beiden ÖVP-Spitzen so viele Arbeitsplätze und Wirtschaftsstandorte wie möglich sichern – egal wie sehr der Staatshaushalt wankt. Nahezu mühelos schienen der Kanzler und der Finanzminister in diese neuen Rollen zu schlüpfen – und ihren Worten folgten mit den Corona-Paketen prompt Taten.

Kein Drängeln in die erste Reihe

Bei den Grünen hat die neue Gefahrenlage zu einer Verschiebung in ihrer Aufstellung geführt: Gesundheitsminister Anschober gilt nun als ihre zentrale Figur, außerdem ist er unbestritten und beliebt wie nie zuvor, in der öffentlichen Wahrnehmung wie auch in den grünen Reihen. Mit seiner Besonnenheit, die auf Realismus statt Panikmache setzt, sei er in der Rolle seines Lebens angekommen, sagen Wegbegleiter. Mit Kanzler Kurz stehe nun vor allem Anschober in Dauerkontakt.

Dass Kogler damit für die Öffentlichkeit in die zweite Reihe rückt, sei kein Problem für den Vizekanzler, versichern dessen Vertraute, denn: "Der Werner drängt nicht nach vorn."

Außerdem gilt Kogler weiterhin als Held, der die Grünen wieder in den Nationalrat und dann auch in die Regierung geführt hat. Daher gibt es auch keinen Spalt zwischen dem Parteichef und Anschober. Ernst-Dziedzic fasst die Stärken der beiden so zusammen: "Wortführer bei den Grünen ist immer noch Werner Kogler. Aber der Minister der Stunde ist eindeutig Rudi Anschober."

Was sich tatsächlich geändert hat: die Rolle von Leonore Gewessler, die als Ministerin für Verkehr, Innovation und Technologie eine zentrale Position im Kampf für den Klimaschutz und eine Energiewende hätte einnehmen sollen. Ihre Themen haben derzeit null Konjunktur, Gewessler ist in die zweite Reihe zurückgetreten, sie muss erst einmal Corona abwarten – und wie lange das dauert und welche Maßnahmen zu setzen sind, um Wirtschaft und Industrie wieder hochzufahren, gilt aus heutiger Perspektive als ungewiss. (Michael Völker, Nina Weißensteiner, 27.3.2020)