Normalerweise wird im Steirereck der Reitbauers im Wiener Stadtpark exklusiv gekocht. Jetzt stehen im geschlossenen Lokal schon mal Schinkenfleckerl im Rohr: Gekocht wird für Einsatzkräfte und Krisenhelfer.

STANDARD: Was gibt's heute?

Reitbauer: Paprikahendl, Nudeln mit Basilikumpesto, Leberäs mit Gemüse, Kartoffelgulasch, Fleischloses. Wir kochen, was da ist. Rund 950 Gerichte am Tag.

STANDARD: Sie kochen seit Mitte März, als Ihre Restaurants schließen mussten, für Krisenhelfer und Einsatzkräfte von Polizei, Feuerwehr, Caritas. Eine spontane Idee?

Birgit Reitbauer und ihr Mann Heinz haben alle Mitarbeiter zur Kurzarbeit angemeldet. Jetzt kocht das Steirereck für Krisenhelfer, da komme viel Wärme zurück, sagt die Gastronomin.
Foto: Regine Hendrich

Reitbauer: Als die abrupte Schließung angeordnet wurde, waren unsere Lager- und Kühlhäuser voll, und beim Nachdenken mit unseren Mitarbeitern kam die Idee: Wir kochen für die Einsatzkräfte. Unsere Mitarbeiter haben gemeint, sie halten das Daheimsitzen eh nicht aus. Es ist ja nicht lustig, wenn man von 160 km/h auf null runtergebremst wird.

STANDARD: Sie beschäftigen im Steirereck und den zwei anderen Lokalen rund 140 Mitarbeiter. Haben Sie alle zur Kurzarbeit angemeldet?

Reitbauer: Ja, wir haben niemanden gekündigt, alle Mitarbeiter mit maximal zehn Prozent zur Kurzarbeit angemeldet. Anders überlebt das Unternehmen das nicht.

STANDARD: Und jetzt kochen acht Mitarbeiter, freiwillig und im Radldienst?

Reitbauer: Genau, ein paar Stunden am Tag. Wir kochen ja nur einfache Sachen.

STANDARD: Wie haben Sie sich gefühlt, als die Order kam: Zusperren. Da fällt einem schon das Herz in die Hose?

Reitbauer: Natürlich, wir haben nur gedacht: Was mach ma jetzt? Aber ich verstehe die Maßnahmen der Regierung, es geht um den Schutz von Menschen. Für jedes Unternehmen sind die Sperren natürlich ein Wahnsinn. Uns rufen Exmitarbeiter weinend an: Die haben kleine Lokale aufgemacht und können ihre Mitarbeiter einfach nicht halten, müssen sie kündigen. Und vor kurzem noch haben wir alle händeringend Mitarbeiter gesucht.

STANDARD: Ihr Lagervorrat ist inzwischen aufgebraucht, Sie bekommen aber Lebensmittel von Geschäftspartnern. Spenden die alle?

Reitbauer: Ja, viele Geschäftspartner beliefern uns jetzt, von der Supermarktkette bis zum Paradeisbauern. So schnorren wir uns durch. Und wir verarbeiten alles sofort. Die Caritas zum Beispiel darf zum Teil nicht mehr für Flüchtlinge und Obdachlose kochen, allein die holt sich täglich rund 600 Essenslieferungen ab.

STANDARD: Sie zählen zu Österreichs Spitzengastronomen, jetzt bitten Sie Lieferanten um Gratislebensmittel. Fällt Ihnen das schwer?

Reitbauer: Nein. Wir machen das für eine gute Sache, und das freut auch unsere Mitarbeiter, die das gratis und freiwillig machen. Starallüren? Kenn ich nicht. Ich bin da brutal, ruf überall an und frage, ob man uns Lebensmittel bringen kann. Es geht um Hilfe für Einsatzkräfte und Leute, die jetzt arbeiten müssen und nicht einfach daheimbleiben können. Ich finde, das gehört zu unserer unternehmerischen Verantwortung für die Gesellschaft. Da geht es um etwas Größeres, und es ist schön, wenn man ein kleines Rad ist in dem großen Getriebe, das jetzt hilft.

Auch Polizisten werden bekocht.
Foto: APA/Erwin Scheriau

STANDARD: Wie lange wollen und können Sie noch weiterkochen?

Reitbauer: Schau ma amal, wie lange wir noch Beschäftigung brauchen. Von den Vorräten her geht es noch 14 Tage, wobei es an Frischware wie Gemüse, Milch und Fleisch am ehesten fehlt. Aber wissen Sie: Gestern hat Caritas-Chef Michael Landau geschrieben und für sein Steirereck-Essen gedankt. Das sind Menschen, die ihr Leben lang sehr viel mehr geben als nehmen, und mir ist es eine große Ehre und Freude, dass wir da helfen können. Da kommt so viel Positives zurück zu uns, so viel Wärme. Dass wir die Wärme in der Gesellschaft jetzt wieder spüren, ist vielleicht der große Benefit aus der Krise.

STANDARD: Sie betreiben mit Ihrem Mann über die Restaurant Steirereck GmbH drei Lokale, die eine Bilanzsumme von 16 Millionen Euro haben und gut aufgestellt sind. Wie lange können Sie die Krise überstehen?

Reitbauer: Sollte eine stufenweise Lockerung kommen und die Restaurants Anfang Mai wieder aufsperren dürfen, wäre das hart, aber zu überstehen. Uns gibt es seit 50 Jahren, wir haben mit rund 80 Prozent einen sehr hohen regionalen Gästeanteil, viele Stammgäste – diese Struktur wird uns Atem geben, wenn wir wieder aufsperren.

STANDARD: Was, wenn das alles Anfang Mai noch nicht vorbei ist?

Reitbauer: Dann müssen wir weiterschauen. Wir haben einen Polster, aber ewig hält der auch nicht.

STANDARD: Glauben Sie, dass die Leute nach der Ausgangsbeschränkung gleich wieder ins Restaurant essen gehen werden?

Reitbauer: Wenn man zwei Monate eingesperrt ist, ist man doch froh, wieder rauszukommen. Die Österreicher sind Genussmenschen, gehen gern fort, essen und trinken gern gut – egal ob im Beisl, im Gasthaus oder im Restaurant.

STANDARD: Raus aus der Krise, rein ins Beisl?

Reitbauer: Ausgehen und Essen gehen sind verankert in unserer Gesellschaft. Wir werden nicht sagen: Wir hatten eine Krise, jetzt gehen wir nicht mehr fort. Im Gegenteil. Jeder wird froh ein, wenn er seine Freiheit wiederhat. So eine Einschränkung der Lebensfreiheit kennt unsere Generation ja nicht.

STANDARD: Welche Hilfestellungen der Regierung würden Sie und Ihre Branche noch brauchen?

Reitbauer: Die Kurzarbeit war ein wichtiger Schritt, viele Betriebe nehmen die in Anspruch. Wir selbst haben fast 50 Prozent Personalkosten, da fällt schon einmal ein großer Brocken weg. Aber auch die Regierung kann nicht unbegrenzt Zusagen geben, diese Illusion müssen wir aufgeben.

STANDARD: Nehmen Sie abseits der Kurzarbeit Hilfen in Anspruch?

Reitbauer: Wir prüfen natürlich alles und werden auch andere passende Förderungen in Anspruch nehmen. Wir sind, wie viele Gastronomiebetriebe, ein Familienunternehmen, in dem Jung und Alt Tag und Nacht im Geschäft stehen. Auch wir haben nichts zu verschenken und werden daher alles abholen, was abzuholen ist.

Viele Unternehmer fühlen sich von ihren Banken im Stich gelassen, Gastronomin Reitbauer ortet zum Teil "schändliches" Verhalten der Institute.
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STANDARD: Viele Unternehmer klagen, dass sie von ihren Banken gerade jetzt hängengelassen werden …

Reitbauer: Uns betrifft das nicht, aber ich kenne viele Gastronomen, die toll arbeiten und mit denen die Banken schon lange höchst fragwürdig umgehen. Das sind die Nachwehen der Finanzkrise, die Unternehmer und Private ausbaden müssen. Schön und wichtig, dass Banken ihr Eigenkapital aufstocken konnten, aber dass sie auch bei kleinsten Geschäften extrem kompliziert agieren, geht nicht. Eine Exmitarbeiterin, die sich selbstständig gemacht hat, braucht ein bissl Geld, aber die Gespräche mit der Bank gestalten sich schwierig. Da wird ein erfolgreiches junges Unternehmerpaar im Stich gelassen, das ist schändlich. Die Banken müssen sich mehr anstrengen und zeigen, dass sie auch in der Krise Partner sind – und nicht Gegner.

STANDARD: Gibt es etwas, was Sie als Unternehmerin aus der Krise lernen?

Reitbauer: Keiner kann was dafür, dass diese Krise über die Welt schwappt. Das einzig Wichtige ist, dass Unternehmen einen Polster aufbauen, um grundsätzlich für Krisen gewappnet zu sein. Denn die mit Eigenkapital werden eher durchkommen. Aber den Jungen wird es sehr schwer gemacht, etwas anzusparen und aufzubauen.

STANDARD: Stichwort Nullzinsen?

Reitbauer: Ja, und dazu kommen die hohen Auflagen, mit denen die Behörden Hürden errichten. Fahren Sie nach Skandinavien: Da gibt es im Restaurant zwei Toiletten für alle, wir brauchen drei für Damen, drei für Herren und eine für Behinderte. Alle zwei Meter ein beleuchtetes Fluchtwegschild, das mit Verkabelung 1.000 Euro kostet? Welcher Jungunternehmer soll sich das leisten können? Das sollte sich ändern.

STANDARD: Vielleicht geschieht das nach der Krise?

Reitbauer: Wäre fein, aber ich glaube es nicht. Österreich ist viel strenger als andere EU-Länder, man sollte einen vernünftigen Mittelweg finden. Es hat seinen Grund, dass Österreich kein Gründerland ist. Darüber sollte man nachdenken nach der Krise.

STANDARD: Bis dahin werden viele kleine Gastronomiebetriebe aus dem Markt gekippt sein?

Reitbauer: Gerade die Kleinen gehören so gestützt, dass wir sie durchbringen. Die bringen Vielfalt in die Branche, ins Leben. Es wäre schade, wenn diese Vielfalt wegbräche, denn genau die brauchen wir in unserer Gesellschaft. (Renate Graber, 29.3.2020)