Covid-19 wird uns wohl auch im Sommer beschäftigen. Das Virus scheint in einem relativ breiten Temperaturspektrum infektiös zu bleiben.

Foto: Getty Images/istockphoto.com

Influenzaviren haben eine gute Eigenschaft: Sie treten saisonal auf. Die jährliche Grippewelle auf der Nordhalbkugel erreicht meist ihren Höhepunkt zwischen Jänner und Februar, im Frühling und Sommer bereiten uns die mutationsfreudigen Erreger hingegen keine Probleme. Das liegt daran, dass mit zunehmender UV-Strahlung und höherer Luftfeuchtigkeit die Viren weniger stabil sind und deaktiviert werden. Sie sind nicht mehr infektiös. Doch das ist nicht die ganze Wahrheit, wie Tropenmediziner Herwig Kollaritsch von der Med-Uni Wien betont: "In tropischen Gebieten kommt es auf niedrigem Niveau das ganze Jahr über zu Influenza-Infektionen."

Doch wie ist das bei Coronaviren und dem neuartigen Typus Sars-Cov-2? Insgesamt gibt es sieben humanpathogene Coronaviren. "Vier davon verursachen nur harmlose Symptome und weisen eine ausgeprägte Saisonalität auf. Die restlichen drei – Mers, Sars-CoV und Sars-CoV-2 – sind deutlich pathogener und dürften wahrscheinlich unabhängig von der Jahreszeit zirkulieren", sagt Kollaritsch. Dass die Sars-CoV-2-Epidemie im Sommer vorbei sein wird, schließt der Tropenmediziner aus: "Vielleicht verschafft uns die warme Jahreszeit einen kleinen Bonus, aber ganz verschwinden wird das Virus sicher nicht."

Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch der aus Österreich stammende Virologe Florian Krammer von der Icahn School of Medicine in New York: "Wir wissen von anderen humanen Coronaviren, dass es im Sommer zu weniger Infektionen kommt. Man muss da aber aufpassen, denn einerseits gibt es gegen diese bekannten Coronaviren eine Herdenimmunität, andererseits kommt die Verbreitung nicht zum Erliegen, sondern es treten nur weniger Fälle auf."

Kein Ende der Pandemie

Für eine seriöse Einschätzung über den weiteren Verlauf der Pandemie ist es noch zu früh. Noch gibt es zu wenige belastbare Daten, um die zukünftige Entwicklung prognostizieren zu können. "Niemand kann das heute vorhersagen, wir kennen dieses Virus zu kurz und konnten es noch nicht in der warmen Jahreszeit beobachten", sagt Kollaritsch. Auch das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) dämpft die Hoffnungen, dass steigende Temperaturen dem Virus den Garaus machen werden. Die EU-Seuchenschutzbehörde rechnet damit, dass uns das neuartige Coronavirus auch im Sommer beschäftigen wird.

Erste Analysen legen zwar den Schluss nahe, dass sich mit steigenden Temperaturen die Infektionskurven abflachen werden, für ein Ende der Pandemie wird das aber nicht reichen. So korrelierten etwa Qasim Bukhari und Yusuf Jameel vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) zufolge die weltweiten Wetterdaten von Jänner bis zum 22. März 2020 mit der Entwicklung der Sars-Cov-2-Infektionszahlen. Es zeigte sich, dass 90 Prozent der bestätigten Erkrankungsfälle in Temperaturzonen zwischen drei und 17 Grad Celsius und einer absoluten Luftfeuchtigkeit zwischen drei und neun Gramm pro Kubikmeter Luft zu beobachten waren.

Das Virus breitet sich aber zunehmend auch in warmen, feuchten Gebieten aus. "In den vergangenen zehn Tagen wurden tausende neue Fälle in Regionen mit einer Durchschnittstemperatur über 18 Grad Celsius dokumentiert. Wenn überhaupt, können höhere Temperaturen die Ausbreitung von Sars-CoV-2 nur ab einem Level von durchschnittlich mindestens 25 Grad Celsius verlangsamen", schreiben die Studienautoren. Demnach sei es äußerst unwahrscheinlich, dass sich die Verbreitung von Sars-CoV-2 in den USA oder in Europa aufgrund von Umweltfaktoren signifikant verlangsamt.

Unterschiedliche Ansätze

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch eine Auswertung der bestätigten Covid-19-Fälle in China: Demnach verbreitet sich das Virus sowohl in gemäßigten Regionen als auch in Landesteilen mit tropisch-warmem Klima. "Steigende Temperaturen und höhere Luftfeuchtigkeit allein werden nicht notwendigerweise zu einer Verringerung der Covid-19-Fallzahlen führen", resümiert Studienleiter Wei Luo von der Harvard Medical School in Boston.

Etwas optimistischer blickt der aus Österreich stammende Software-Unternehmer Alex Bäcker in die Zukunft. Er hat sich die Zahl der Covid-19-Fälle in den am stärksten betroffenen Städten in zahlreichen Ländern bis zum 20. März angeschaut und in Bezug zu den dortigen klimatischen Verhältnissen gesetzt. "Was herauskam, war ein ziemlich eindeutiger Trend in Richtung immer weniger Orte mit mehr als 2.000 Covid-19-Fällen in Abhängigkeit von der herrschenden Temperatur: Mehr Fälle unter zehn Grad Celsius, weniger über zehn Grad Celsius", sagt Bäcker.

Zusätzlich schaltete der Softwarespezialist in seinen Berechnungen einen etwaigen Zeitfaktor aus, denn es hätte schließlich sein können, dass Sars-CoV-2 in wärmeren Regionen als in China, zum Beispiel in Brasilien oder Australien, einfach später "eintraf" und dort eben noch nicht genügend Fälle aufgetreten waren. "Ich habe mir deshalb das Wachstum der Covid-19-Fälle ab dem ersten Tag mit mehr als hundert Erkrankungen an allen diesen Orten angesehen. Das Resultat war eine signifikant größere Wachstumskurve in Ländern mit niedrigeren Temperaturen", erklärt Bäcker. Sein Fazit: "Obwohl sich die Covid-19-Erreger offenbar in einem weiten Spektrum an Temperaturen verbreiten können, scheint es so zu sein, dass höhere Temperaturen von 15 bis 30 Grad die Wachstumsrate bei den Infektionen dämpfen."

Mögliche andere Ursachen

Sollten die Infektionen in den kommenden Monaten tatsächlich nachlassen, kann das allerdings auch vom Wetter unabhängige Ursachen haben, etwa das Zurückfahren von sozialen Kontakten und die steigende Immunitätsrate in der Bevölkerung, gibt Florian Krammer zu bedenken. "Man muss auch im Kopf behalten, dass es, während wir Sommer haben, auf der Südhalbkugel Winter ist. Sollte die Temperatur wirklich einen Einfluss haben, dann wird sich das Virus dort stärker ausbreiten und dann im Herbst vermutlich wieder in den Norden zurückkommen." (Günther Brandstetter, 31.3.2020)