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Das Antlitz der Lohnarbeit wird sich auch im Gefolge von Corona noch gehörig verändern: Die Kohle muss für alle da sein.

Foto: Weihrauch/dpa

In virologisch unbedenklichen Zeiten schien die schöne, neue Arbeitswelt voller Verheißungen. Nicht nur, dass der "neue Mittelstand" boomte. Federführende Soziologen wie Harald Welzer riefen eine neue Utopie des Gemeinschaftslebens aus. Wir "freien Menschen" sollen, so der moralische Appell, lauter kleine Schritte setzen, um den Umbau unserer Gesellschaft in Eigenregie zu verwirklichen. Endlich wurde die gute, alte Lohnarbeit beiseite gewischt. Der Katalog der ökologisch alarmierten Weltverbesserer sah die Zeit für ein neues Engagement gekommen. Ein "Mosaik gelingender Verbesserungen der Welt" (Welzer) lässt sich umso leichter legen, je seltener der Blick hinüber zum Lohnzettel wandert.

Und so schien das Konzept der "Bürgerarbeit" ein Comeback zu feiern. Arbeit, die geleistet werden soll, muss deshalb noch nicht anständig entlohnt werden. Sie kann kommunal erbracht werden, und sie darf ehrenamtlich organisiert sein. Fragen nach dem Sinn von Erwerbsarbeit lassen sich umso entspannter stellen, wenn man sie gleich von vornherein vom geldvermittelten Markt entkoppelt.

Nun feiert in diesen Tagen der virologischen Einschränkung ausgerechnet der unglamouröse Dienstleister ein strahlendes Comeback. Hingegen müssen die Vertreter der "neuen" Mittelschicht ihre Ohnmacht einbekennen: Die "kognitive" Arbeit derer, die sonst immaterielle Güter vornehmlich zum Wohle von Ihresgleichen produzieren, sehen sich zur Untätigkeit verdammt. Sie müssen auf die Entgegennahme von staatlichen Hilfeleistungen hoffen. Sie können keine kulturellen Güter mehr (re-)produzieren, weil ihnen der Markt vor der Nase zugesperrt worden ist.

Einmalig prämierte Heldinnen

Somit sorgt das Corona-Virus nicht zuletzt auch für eine plötzliche Umverteilung des Sozialprestiges. Angestellte in Erwerbszweigen mit niedrigen Tariflöhnen sehen sich zum ersten Mal vor den Vorhang gebeten: Ecce homo! Der Regalschlichter, die Kassiererin, der Kanalräumer, sie alle dürfen mit knapp bezahlter Erwerbsarbeit unser aller neu entstandenes Solidaritätsgefühl bezeugen helfen. Sie sind Heldinnen, auch wenn damit keineswegs gesagt ist, dass ihr Einsatz sich für sie, abgesehen von einmaligen Prämien, bezahlt machen wird.

Zugleich wird für viele die Teilhabe an der Solidargemeinschaft spürbar. Junge Menschen erledigen für Angehörige der Covid-19-Risikogruppen die dringend anstehenden Besorgungen. Arbeit? Gibt es genug zu verrichten. Für immer mehr in Quarantäne Lebende wird hingegen ein massives Unbehagen spürbar. Teure Wissensarbeit ist plötzlich nichts (mehr) wert. Dienstleistungen von Angehörigen der Niedriglohnsektoren können sogar die Gesundheit gefährden: die eigene, und die der eigenen nahen Angehörigen. Von den unzähligen medizinischen Helfern und Assistenzleistern zu schweigen.

Es könnte mit dem Abklingen der Krise der Zeitpunkt gekommen sein, über die Zukunft der Lohnarbeit neu nachzudenken: unter dem Eindruck einer Lastenverteilung, die die Wertigkeiten unserer "kognitivierten Ökonomie" außer Kraft gesetzt hat. Das Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens, wie es der Soziologe Ulrich Beck verfocht, gehört zurück auf die Tagesordnung: jetzt, nachdem sich erwiesen hat, dass man die Lebensnotdurft bestreiten muss, auch wenn man gerade nicht flüssig ist.

Ein solches Grundeinkommen soll dabei helfen, die Grundbedürfnisse zu befriedigen. Für die Steigerung des Lebensstandards sind ohnehin zusätzliche Anstrengungen vonnöten. Die kognitive Arbeitswelt entlässt ihre Kinder ganz bestimmt nicht aus der Pflicht, "innovationsbasiert" der je eigenen Kreativität zu huldigen.

Stunde des Ehrenamts

Der Ehrenamtlichkeit könnte dann die Stunde schlagen, wenn dem, der sie leistet, die Sorge um das Fortkommen wirksam genommen wird. Für die Beantwortung von sinnstiftenden Fragen würden dann jene Kräfte frei, die ein schlecht bezahlter Tarifjob bindet. Erst dann könnten Selbstunternehmertum, Arbeit, Kunst und Emanzipation vielleicht wirklich eine unauflösbare Verbindung miteinander eingehen. Und zwar so, dass der Kapitalismus die Kreativität so vieler nicht nur für sich selbst gewinnbringend abschöpft vulgo "verwertet".

Vielleicht entsteht erst aus dem Shutdown von Corona eine von vielen geteilte Intuition: eine, die die Arbeitsverhältnisse vom neoliberalen Kopf zurück auf die Füße stellt. Gefragt sein wird eine Post-Covid-19-Politik: ein Experiment aus Verhandlungen und Versuchen, ein Potpourri aus profitunabhängigen Praktiken. Gut möglich, dass wir erst so am Krankenbett von Mutter Erde für die Gesundung der Alten etwas leisten. (Ronald Pohl, 28.3.2020)