Die jetzt gängige Parole lautet, dass wir vor der "größten Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg" stehen. Aber es gibt viele Bürger, darunter auch Ärzte, die von einer "Corona-Hysterie" sprechen, die die Krankheit mit einer normalen Grippe vergleichen, die ja auch relativ viele Todesopfer fordere. Man sollte sich vor Augen halten, dass Corona viel ansteckender ist als die Grippe und dass die Spanische Grippe von 1918 weltweit rund 50 Millionen Menschen umgebracht hat. Zu alledem gibt es seriöse Links in allen seriösen Medien.

Kein Zweifel, die Krise ist real. Die drastischen Maßnahmen sind aktuell notwendig. Wobei immerhin so kritische Beobachter wie Heinrich Patzelt von der österreichischen Abteilung der Menschenrechtsorganisation Amnesty International der heimischen Politik "seriöses Handeln" bescheinigen.

Dennoch lohnt es sich für mündige Bürger, in der hektischen Abfolge der Ereignisse kurz innezuhalten und zu überlegen, wie man in der Krise den Vorgaben der Regierenden folgen und trotzdem sein kritisches Urteilsvermögen behalten kann.

Immer mehr Staaten sehen Überwachungsmethoden als Möglichkeit an, um gegen das Coronavirus vorzugehen.
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Der Plan der Regierung ist offenbar, das Land so lange auf Notbetrieb zu halten, bis der Zuwachs der Erkrankungen stark abflacht. Wenn das eingetreten ist – erhofftermaßen im Frühsommer –, wird man die Wirtschaft partiell wieder hochfahren und gleichzeitig für Risikogruppen die Beschränkungen (Hausquarantäne usw.) aufrechterhalten.

Autoritäre Versuchung

Soweit man die zahlreichen internationalen Studien und Expertenmeinungen überblicken kann, ist das die empfohlene Vorgangsweise. Aber ab diesem Punkt muss der kritische, mündige Bürger sehr genau hinschauen und notfalls sofort Protest anmelden. Um die Gesellschaft in gefährdete und weniger gefährdete Gruppen einzuteilen, muss man sich moderner Technologie bedienen. Kanzler Sebastian Kurz hat in diesem Zusammenhang mehrfach kryptisch von "Big Data" gesprochen und auf die guten Erfahrungen der "asiatischen Staaten" hingewiesen. Meint er Südkorea oder China? Die Neos-Chefin, Beate Meinl-Reisinger, hat denn auch sofort aufgeschrien: "Da schrillen bei mir alle Alarmglocken."

Kurz steht bei manchen kritischen Bürgern unter Orbán-Verdacht. Ohne das jetzt zu unterstützen, muss man schlicht festhalten, dass der ungarische Autokrat soeben die Corona-Krise benutzt, um Ungarn in das erste undemokratische EU-Land zu verwandeln. Die Krise befördert auch anderswo die autoritäre Versuchung. Und sei es auf unterer Ebene, wenn übermotivierte Polizisten solo sitzende Bürger von Parkbänken vertreiben.

Mündige Bürger sollten sich dieses Mantra vorsagen: Wir brauchen keine "starken Männer" und keine "Politik der harten Hand". Die Krise ist so groß geworden, weil Corona in der Diktatur China zunächst vertuscht wurde. Wir brauchen auch keine Scharlatane wie Donald Trump und Boris Johnson, die aus purem Populismus die Krise zunächst bagatellisiert haben. Wir brauchen auch keine "Landesväter" wie in Tirol, am Gängelband von Interessengruppen.

Wenn wir solche Tendenzen entdecken – nicht zögern und Alarm schlagen. Demonstrationen sind derzeit nicht möglich, aber es gibt das Netz für virtuelle Massenaktionen. Es gibt auch die seriösen Medien, deren Überleben durch die Krise gefährdet ist.

Mündige, kritische Bürger sollen die seriösen Maßnahmen der Regierenden befolgen und unterstützen, aber sofort reagieren, wenn es übergriffig wird. Wir haben alle genug damit zu tun, unser berufliches und privates Leben halbwegs zu bewältigen. Aber Österreich hat einen autoritären Grundton, und den dürfen wir nicht "versehentlich" die Oberhand bekommen lassen. (Hans Rauscher, 28.3.2020)