Der Newsroom ist leer, (fast) alle sind im Homeoffice. Nur Marlene hält die Stellung – unsere Newsroom Managerin, die alles im Griff hat.
Foto: Christian Hlinak

Charly hat eine beeindruckende Schallplattensammlung. Gudrun arbeitet zwischen zwei riesigen Bücherregalen. Ninas Freund ist Tontechniker. Davids Küche wirkt gemütlich. Irenes Kind kann gut zeichnen. Fabian hat eine braune Katze. Sebastians Sohn hat einen roten Baum gebastelt. Das alles wissen wir über unsere Kolleginnen und Kollegen, seit wir die Redaktion vor eineinhalb Wochen vom dritten Wiener Bezirk in unsere Wohnzimmer, Küchen und Schlafzimmer verlegt haben.

Ein Blick in die Homeoffices der STANDARDs: So nah waren wir einander noch nie bei unseren täglichen Redaktionskonferenzen – obwohl wir über das ganze Land verstreut sitzen.
Screenshot: Frank Robert

Von dort aus blicken wir während Videokonferenzen in die Wohnungen der anderen, wenn wir morgens, mittags und abends zu unseren Redaktionssitzungen zusammenkommen. So nah waren wir einander noch nie – obwohl wir nicht mehr in Rufweite beisammensitzen, sondern über das ganze Land verteilt sind. Normalerweise reicht ein Zuruf, jetzt braucht es einen Anruf oder eine Chatnachricht.

Screenshot: Frank Robert

Normalerweise. Das war diese Zeit vor dem Coronavirus. Nun ist Ausnahmezustand – und bei diesem Wort schwingt die Hoffnung mit, dass der aktuelle Zustand wirklich nur eine Ausnahme darstellen möge und irgendwann alles wieder normal, also wieder gut wird. Dass wir wieder in unserem Großraumbüro beisammensitzen, um derStandard.at und den gedruckten STANDARD zu produzieren; um zu recherchieren, zu schreiben, zu diskutieren.

Bis dahin müssen wir im Grunde fast alle Gewohnheiten umstellen und vieles neu lernen. Wie geht Zusammenarbeit in der Isolation? Wie lässt sich konzentriert ein Leitartikel schreiben, wenn nebenan die Kinder toben? Wie kontaktiert man Informanten vertraulich, wenn man sie nicht treffen kann? Wie berichtet man distanziert über ein Phänomen, welches das eigene Leben komplett durcheinandergewirbelt hat?

70.000 Kommentare, täglich

Screenshot: Frank Robert

Journalismus ist – neben viel Kreativität – auch ein Stück weit Verabredung. Eine Nachrichten-Website und eine Tageszeitung entstehen, indem Menschen miteinander vereinbaren, wer was wann wo beiträgt – und zwar jeden Tag aufs Neue. Diese Abläufe sind tausendmal geübt und verinnerlicht, damit auch in einer Breaking-News-Situation jeder weiß, welches Rädchen er drehen muss.

Deshalb sind Veränderungen in Redaktionen kompliziert und dauern normalerweise ewig. Doch nun musste alles sehr schnell gehen. Eigentlich ist es ein Wunder, dass das funktioniert hat. Unsere Redaktion, dieses Netzwerk aus Journalisten, Layoutern, Grafikern und Fotografen, hat sich in Windeseile neu organisiert.

Screenshot: Frank Robert

Ein Wunder ist auch, dass die Technik funktioniert. Täglich treffen sich 200 Redakteure und Gestalter gleichzeitig in der App "Microsoft Teams" zu Videokonferenzen und greifen auf unser Redaktionssystem zu. Da werden Bilder in Druckauflösung und Videos über private WLANs und mobile Hotspots hochgeladen. Bislang hat es jeden Tag geklappt, die Zeitung kam rechtzeitig und erfreulicherweise auch vollständig in der Druckerei an, der Liveticker stand nicht still.

Letzterer ist für hunderttausende Menschen die Referenz für alle Entwicklungen in der Corona-Krise. Praktisch in Echtzeit berichtet ein eigenes Team aus zehn Redakteuren täglich von früh bis spät, was gerade wichtig ist; die Kommentarfunktion ermöglicht es, dass unsere Leserinnen und Leser sich zu den Neuigkeiten direkt austauschen.

In einem Land mit acht Millionen Einwohnern wurde allein in der vergangenen Woche von 4,7 Millionen Endgeräten aus auf unsere Website zugegriffen. Unsere Leserinnen und Leser verweilen insgesamt mehr als doppelt so lange auf derStandard.at wie in normalen Wochen. Täglich schreiben unsere Leser gut 70.000 Kommentare.

Screenshot: Frank Robert

Es ist so viel los, dass wir uns gerade jetzt täglich aktiv Zeit nehmen müssen, um innezuhalten und über unsere Berichterstattung zu reflektieren. Wir fragen uns dabei: Informieren wir präzise genug, ohne Panik zu schüren? Welchen Experten geben wir Raum, wenn viele einander widersprechen? Berichten wir über Einzelfälle, mal mit schwerem, mal mit leichterem Krankheitsverlauf – und riskieren damit, dass Menschen Angst bekommen oder leichtsinnig werden?

Screenshot: Frank Robert

Welche Informationen über das Virus sehen wir als gesicherte Fakten an, wenn die Wissenschaft noch so wenig über die Erkrankung weiß? Welche Bilder wählen wir aus, um die Wahrheit zu zeigen, aber dabei niemanden zu schockieren? Wie entkräften wir Fake-News, ohne diesen zusätzliche Reichweite zu geben?

Corona-Stage für Kunst und Kultur

Screenshot: Frank Robert

Wir gehen hier in drei Geschwindigkeiten vor: In unserem Liveticker veröffentlichen wir, was in der Minute geschieht. Pressekonferenzen, neue Zahlen von Erkrankten, Prognosen – das ist die schnelle Geschwindigkeit. In der mittleren Geschwindigkeit recherchieren wir den Kontext dazu, befragen stets mehrere Experten, führen Interviews, liefern zusätzliche Erklärungen, und bitten unsere Korrespondenten um Berichte aus jenen Ländern, in denen das Virus schon länger aktiv ist. Und in der langsamen Geschwindigkeit nehmen wir uns Zeit, Vorgänge mit der Lupe zu betrachten, etwa: Wie konnte es passieren, dass von Tirol aus das Virus in viele europäische Länder verbreitet wurde?

Screenshot: Frank Robert

Dabei gilt es auch eine ständige Gratwanderung zu meistern: Natürlich ist es wichtig, dass wir der Öffentlichkeit die Informationen der Regierung und öffentlicher Stellen zugänglich machen. Zugleich ist es aber unsere journalistische Pflicht, diese Informationen kritisch zu hinterfragen, statt uns zum Sprachrohr machen zu lassen. Und diese mit unserer liberalen Haltung zu kommentieren.

Wo endet die sinnvolle Beschränkung der Freiheitsrechte zum Schutz der Bevölkerung, und wo beginnt deren unverhältnismäßige, totale Überwachung? Solche Abwägungen werden nun immer wichtiger, wenn es um die Frage geht, wie wir aus der Isolationsphase wieder herauskommen.

Screenshot: Frank Robert

Die STANDARD-Redaktion entwickelt auch laufend neue Ideen. Damit sich Kinder, die nun daheim bleiben müssen, auch über das Coronavirus informieren können, bringen wir seit zwei Wochen eine tägliche Kinderseite im Print bzw. haben nun online ein Kinder-Ressort. Wie können wir trotz der Corona-Isolation fit bleiben, mit anderen Menschen feiern, die Zeit für neue Hobbys nutzen? Dafür haben wir seit einer Woche eine tägliche LEBEN-Seite sowie mehr LEBEN-Geschichten online.

Screenshot: Frank Robert

Unser täglicher Nachrichten-Podcast "Thema des Tages" (immer um 17 Uhr) fokussiert sich derzeit voll auf Corona. Und weil alle Kulturtempel geschlossen sind, Kunst und Kultur aber gerade in der Krise wichtig sind, geben wir Künstlern auf unserer "Corona-Stage" auf dst.at/coronastage eine Bühne – sie musizieren, lesen und tanzen täglich für ihr Publikum: unsere Leserinnen und Leser.

Unterstützer werden

Screenshot: Frank Robert

Dankenswerterweise helfen uns immer mehr Menschen bei unserer Arbeit. Gut 3.500 Leserinnen und Leser sind in den vergangenen Tagen zum "Supporter" geworden, indem sie unsere Arbeit auf dSt.at/Supporter finanziell unterstützt haben. Auch ist die Zahl unserer Zeitungsabonnenten in den vergangenen Tagen überdurchschnittlich gewachsen. Dafür danken wir Ihnen herzlich, denn die Werbeumsätze sinken, wie in jeder Krise – und das ist erst der Anfang.

Screenshot: Frank Robert

Wir wissen nicht, wie lange die Corona-Krise dauern wird, wir wissen auch nicht, wie sich unsere Gesellschaft dadurch verändern wird. Aber Sie können sich sicher sein: der Standard wird Sie zuverlässig informieren, inspirieren und unterhalten. Unsere kritische, liberale Haltung kann auch ein Virus nicht ändern – egal ob wir aus unserer Redaktion oder von unseren Wohnzimmern aus berichten. (Martin Kotynek, 28.3.2020)