Als am 25. Februar das Hotel Europa unter Quarantäne gestellt wurde, waren die Medien schon vor Ort.

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Österreich war gut vorbereitet. Diesen Eindruck konnte man zumindest in jenen Tagen, als sich das Coronavirus langsam, aber unaufhaltsam der Republik näherte, immer mehr Verdachtsfälle bekannt wurden und Nachbarstaaten erste Todesopfer zu beklagen hatten, bekommen. Die Auftritte der Regierungsspitze förderten das Vertrauen unter der Bevölkerung.

Noch am 24. Februar, einen Tag, bevor die ersten beiden positiven Tests innerhalb Österreichs bekannt wurden, verlautbarte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bei einer Pressekonferenz, dass "Österreich auf alle Szenarien gut vorbereitet" und für alle Eventualitäten "gerüstet" sei. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) wiederholte und bestätigte, dass der nationale Krisenstab schon seit knapp einem Monat regelmäßig tage.

Bereits tags darauf, am Faschingsdienstag, musste das derart beschworene Risikomanagement seine erste Bewährungsprobe bestehen. Tirols Landeshauptmann Günther Platter und Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg (beide ÖVP) setzten eilig eine Pressekonferenz für 11:30 Uhr an, bei der sie bekanntgaben, dass "zwei 24-Jährige aus der Lombardei" in Innsbruck positiv auf eine Infektion mit dem Coronavirus getestet wurden. Eine Stunde später informierte die Landeseinsatzleitung die Klubobleute aller Tiroler Landtagsfraktionen, dass einer dieser Fälle "einen Beherbergungsbetrieb" betreffe.

Gemeinsame Kommunikationsstrategie

Dass es zu diesem Zeitpunkt bereits eine gemeinsame Kommunikationsstrategie von Land und Bund gab, zeigte sich am Nachmittag dieses Tages, als um 15 Uhr in der Innsbrucker Klinik eine zweite Pressekonferenz mit näheren Informationen zu Österreichs ersten Corona-Fällen stattfand. Landesrat Tilg und Ärzte gaben bekannt, dass die junge Frau in Innsbruck arbeite. Nun gehe es darum, ihr Umfeld ausfindig zu machen. Mehr wisse man bis dato nicht.

In Wahrheit wussten die Behörden zu diesem Zeitpunkt längst, dass es sich bei der Italienerin um die Rezeptionistin des Innsbrucker Hotels Europa handelt. Die Quarantäneverordnung für das Luxushotel war bereits in Arbeit. Und auch Kanzler Kurz war vollumfänglich informiert. Er weilte gerade in London, wo er den britischen Premierminister Boris Johnson zu einem Arbeitsgespräch traf.

Quasi zeitgleich zur Innsbrucker Pressekonferenz plauderte Kurz in London vor Journalisten über Details zum Fall. Ungefragt und richtiggehend aufgeregt, erinnern sich Zeugen des Gesprächs, erzählte er, dass es sich um die Rezeptionistin des besagten Hotels in Innsbruck handle und man das Haus nun unter Quarantäne stelle. Allerdings wurde diese Information mit einer mündlichen Sperrfrist versehen, "bis der APA-Bericht dazu erscheint".

Weniger Informationen

Die Infos sickerten dennoch durch. Und als Tilg vom STANDARD nach der Pressekonferenz damit konfrontiert wurde, ärgerte er sich sichtlich über die Redseligkeit des Kanzlers. Wozu man eine Kommunikationsstrategie vereinbare, wenn er sich nicht daran halte, entfuhr es dem Landesrat. Diese Indiskretion war letztlich der Grund dafür, dass die Unter-Quarantäne-Stellung des Hotel Europa von Medien live mitgefilmt werden konnte.

Unbeirrt davon gab Kurz noch am 26. Februar die weitere Marschrichtung vor: Es bräuchte rasche und harte Maßnahmen, um das Virus bestmöglich einzudämmen. Doch allmählich wurden die Corona-News der Regierung seltener. Sie wurden überlagert von Nachrichten der sich zuspitzenden Lage an Griechenlands Grenzen sowie dem implodierenden EU-Türkei-Deal.

Tirols Landeshauptmann Günther Platter, Tirols Wirtschaftsbund-Obmann Franz Hörl, Tirols WKO-Präsident Christoph Walser und Bundeskanzler Sebastian Kurz (alle ÖVP) posieren Mitte Februar für ein gemeinsames Bild nach Hörls erfolgreicher Wiederwahl.
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Zwischen 29. Februar und 5. März meldete sich der Kanzler via Facebook fünfmal zum EU-Grenzschutz zu Wort und nur einmal zum Coronavirus. In diesem Posting vom 4. März besänftigt er Wirtschaftstreibende mit den Worten: "Wir sind in Österreich auf alle Szenarien zum Coronavirus gut vorbereitet. Es gibt auch für unseren Standort keinen Grund zur Sorge!" Warum diese Beschwichtigungspolitik zur Causa prima?

Nicht nur nach außen hin, auch politintern wandelte sich offenbar die ÖVP-Strategie. Das war vor allem in Tirol, das sich zu dieser Zeit unbemerkt zum europäischen Corona-Hotspot entwickelte, spürbar. Die Informationspolitik des Krisenstabes sei "bis dahin transparent" gewesen, erinnert sich Dominik Oberhofer, Chef der Tiroler Neos. Was ihn stutzig gemacht habe, ist der plötzliche Informationsstopp nach dem 25. Februar. "Danach kam nichts mehr."

Andrea Haselwanter-Schneider, Klubobfrau der ebenfalls oppositionellen Liste Fritz im Tiroler Landtag, bestätigt diese Beobachtung. Sie hat Buch geführt, wann die Landeseinsatzleitung, also der sogenannte Krisenstab, die Klubobleute informierte. Zwischen dem 25. Februar und dem 5. März herrschte ihren Aufzeichnungen zufolge Funkstille. Dem widerspricht der Klubobmann der Tiroler Grünen, Gebi Mair, es habe am 28. Februar sehr wohl noch ein Treffen mit Informationen für die Oppositionspolitiker gegeben.

Die Neos sind überzeugt, dass die Kommunikationspause mit den Wirtschaftskammerwahlen am 4. und 5. März zu tun hatte. "Die ÖVP wollte tunlichst vermeiden, dass in der Woche der Wahl das vorzeitige Ende der Wintersaison das bestimmende Gesprächsthema werden könnte", sagt Oberhofer zum STANDARD. Auch SPÖ-Tirol-Chef Georg Dornauer sagt, dass "die ÖVP und die Seilbahnkaiser natürlich ein Interesse hatten, das kleinzuhalten". Die finanzstarken Täler würden immer noch die Tiroler Politik kontrollieren.

Cashcow Wirtschaftskammer

Die Wahlen der Wirtschaftskammer Österreich (WKO) sind für die ÖVP tatsächlich unverzichtbar. Denn es geht dabei um sehr viel Geld für die Partei. Allein 2019 erhielt der Wirtschaftsbund, die Vertretung der ÖVP in der WKO, rund 13 Millionen Euro an Fraktionsförderung, plus weitere fünf Millionen Euro an Wahlkampfkostenrückerstattung, wie Neos-Nationalratsabgeordneter Sepp Schellhorn mittels parlamentarischer Anfrage herausgefunden hat.

Es ist nicht einfach, verlässliche Zahlen zu den Geldströmen zwischen WKO und ÖVP zu erhalten. Darüber redet man in der Kammer nur ungern. Falter-Recherchen von 2019 zeigen aber wie wichtig der finanzstarke Wirtschaftsbund für die Mutterpartei ist. So soll er der – nach der aufwendigen Nationalratswahl 2017 – klammen Bundes-ÖVP Mitgliedsbeiträge bis 2023 in der Höhe von 1,5 Millionen Euro vorgeschossen haben. Geld, das der Partei in einem Nationalratswahlkampfjahr sicher gelegen kam.

Die vor mehr als zwei Wochen über Ischgl und St. Anton verhängte Quarantäne wurde diese Woche von Landeshauptmann Günther Platter verlängert.
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Die WKO schüttet Geld für die Parteifraktionen aus – gemessen an ihren Mandaten. Die niedrige Wahlbeteiligung von österreichweit nur gut 33 Prozent tut dabei nichts zur Sache. Heuer wurde in der besagten ersten Märzwoche gewählt, der ÖVP-Wirtschaftsbund erreichte österreichweit 69,6 Prozent, ein Plus von drei Prozent gegenüber 2015. In Tirol schaffte er sogar 79,81 Prozent (plus 2,6 Prozent). Ein Traumergebnis für den hiesigen Obmann, den Seilbahn-Lobbyisten, Hotelier und ÖVP-Nationalratsabgeordneten Franz Hörl.

Gut ein Drittel der 46.761 Wahlberechtigten in der Tiroler Kammer sind der Sparte Tourismus zuzurechnen. All das macht den Wirtschaftsbund zum Krösus aller ÖVP-Teilorganisationen. Jedwede Störung dieser gut geölten Maschinerie im Vorfeld der Wahl, so vermutet die Tiroler Opposition, musste daher tunlichst vermieden werden.

Dass es im Zuge der WKO-Wahl zu Interventionen gekommen sein könnte, die eine transparente Bewältigung der Coronavirus-Krise zur selben Zeit verhinderten, weist der frisch gewählte Tiroler WKO-Präsident Christoph Walser (ÖVP) entschieden zurück. Ihm werden ÖVP-intern Ambitionen auf die Nachfolge Platters im Amt des Landeshauptmannes nachgesagt.

Grünen ist "nichts aufgefallen"

Auch Platters Stellvertreterin Ingrid Felipe (Grüne) sieht keinen Konnex zwischen den WKO-Wahlen und dem misslungenen Krisenmanagement in Tirol: "Mir wäre zumindest nichts aufgefallen." Zudem maße sie sich nicht an, jetzt schon zu beurteilen was "schiefgelaufen" sei. Dazu bedarf es im Nachhinein einer "offenen und transparenten Aufarbeitung". Ohne die Hintergründe genau und in Ruhe recherchiert zu haben, traue sie sich kein Urteil zu, sagte Felipe zum STANDARD.

Die Vorwürfe der Opposition nennt Walser jedenfalls eine "Frechheit". Wer hätte damals wissen sollen, dass sich die Situation derartig entwickeln werde, fragt Walser. War Österreich also doch nicht für "alle Eventualitäten" vorbereitet, wie es Kurz noch Ende Februar mantraartig versicherte? Oder wurde – wie die Tiroler Opposition behauptet – die Krisenkommunikation bis zur WKO-Wahl auf Sparflamme reduziert, um die wichtigen Touristiker nicht zu verärgern?

Die jetzige Erzählung von Kanzler Kurz rund um das späte Eingreifen in Tirol lautet jedenfalls so: Erst die Warnungen des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu während eines Telefongesprächs hätten ihn "wachgerüttelt" und den Ernst der Corona-Krise erkennen lassen.

Er habe sich auch deshalb für die restriktiven Maßnahmen entschieden, so Kurz in einem Interview mit der deutschen Bild. Laut Informationen aus dem Bundeskanzleramt fand dieses Gespräch irgendwann zwischen 2. und 8. März statt. Wann genau, wollte man dem STANDARD auch auf mehrmaliges Nachfragen nicht sagen.

Treffen mit der Adlerrunde

Bemerkenswerter Zufall inmitten all dieser Entwicklungen ist, dass Kurz eine Woche bevor im Innsbrucker Hotel Europa Österreichs erster Coronavirus-Fall publik wurde, genau dort zu Gast war. Der Kanzler traf hier bei seinem ersten offiziellen Tirolbesuch seit der Wiederangelobung, unter Ausschluss der Öffentlichkeit, die Mitglieder der Tiroler Adlerrunde zum "Gedankenaustausch".

Hinter dieser laut Eigendefinition "politisch unabhängigen Plattform" verbergen sich mehr als 40 der größten Unternehmer Tirols. Darunter die mächtigen Seilbahner Jakob Falkner aus Sölden und Hannes Parth aus Ischgl, der Tourismusverbandobmann des Paznauntals und Hotelier Alexander von der Thannen, aber auch Porr-Hauptaktionär und Kurz-Großspender Klaus Ortner. (Steffen Arora, Laurin Lorenz, Fabian Sommavilla, 28.3.2020)