Michael Sorkin, 1948–2020.

Foto: sorkinstudio.com

"Ich habe mich zu Architektur und Städtebau immer schon hingezogen gefühlt", sagte Michael Sorkin vor einigen Jahren in einem Interview, "denn beide pflegen eine gewisse Intimität mit der sozialen Komponente, nämlich mit uns allen als Menschen." Es ist eine Bösartigkeit des Schicksals, das ausgerechnet diese soziale und räumliche Nähe Sorkin nun zum Verhängnis wurde. Einer der bekanntesten und wichtigsten Architekturkritiker der Welt ist am Donnerstag an den Folgen von Covid-19 im Alter von 71 Jahren in New York verstorben.

"Michael Sorkin war so viel", twitterte am Freitag Michael Kimmelman, Architekturkritiker der New York Times. "Er war ein überaus begabter, kluger und bissiger Schriftsteller. Er schrieb mit moralischer Kraft über große Ideen, aber auch über ganz bodenständige Beobachtungen auf der Straße."

Andere Kollegen wiederum – darunter etwa Blair Kamin (Chicago Tribune) oder Edwin Heathcote (Financial Times) – bezeichnen Sorkin als "kritischen Aktivisten", als "Furchtlosen vor den Mächtigen", als "heftigen und brillanten Architekturkritiker, vielleicht als den besten, den wir je hatten".

Sorkin war vor allem aber auch ein scharfer, wortgewaltiger Beobachter: In seinem 2009 erschienen Buch Twenty Minutes in Manhattan hielt Sorkin auf seinem täglichen Weg von seinem Zuhause in Grennwich Village zum Arbeitsort in Tribeca seine urbanen, mitunter sozialmikroskopischen Erlebnisse fest.

Vorträge in Österreich

Sorkin, ausgebildeter Architekt und Stadtplaner, besuchte unter anderem das Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston sowie die Columbia University in New York. Schon in den frühen Achtzigerjahren begann er, als einer der ersten Architekturkritiker überhaupt für The Village Voice zu schreiben. Später war er Architekturkritiker für Architectural Record, für die New York Times für das Wall Street Journal sowie zuletzt für The Nation Magazine. Außerdem war er Co-Präsident des Institute for Urban Design und Vizepräsident des Urban Design Forum in New York. Am City College of New York (CCNY) war er Professor und leitete er das Department für Stadtplanung. Etliche Vorträge hielt er auch in Österreich.

Mit seinem Michael Sorkin Studio beteiligte er sich in den letzten Jahrzehnten zudem regelmäßig an Stadtplanungsprojekten auf der ganzen Welt – darunter etwa Masterplanungen für New York, Chicago, Hamburg, Leipzig, China, Südkorea und Malaysien, aber auch für eine neue palästinensische Hauptstadt in Ost-Jerusalem. Genau diesem heiklen Themengebiet rund um Städtebau und Nationalismus – ob das nun die prekären Siedlungsdebatten in Israel oder die phobischen Antiterror-Maßnahmen in den USA betrifft – widmete er sogar zwei Bücher: Against the Wall: Israel’s Barrier to Peace (2005) und Indefensible Space: The Architecture of the National Insecurity State (2008).

Michael Sorkin ist nicht der erste Verlust in der Architektur, der in Verbindung mit dem Coronavirus steht. Am 15. März 2020 ist der italienische Architekt Vittorio Gregotti (1927–2020) an den Folgen von Covid-19 in Mailand gestorben. Gregotti machte sich einen Namen mit dem Opernhaus in Aix-en-Provence, mit dem Hauptsitz von Air France in Montreuil, mit dem Kulturzentrum in Belém, Lissabon, mit dem Guggenheim-Museum in Venedig sowie mit der Sanierung des Olympiastadions in Barcelona. (Wojciech Czaja, 27.3.2020)