Im Rahmen der Aktion #mutmachen berichten Dorli Muhr und ihre Mitarbeiter über Menschen aus der Branche, die dieser Tage mit ihren Handlungen Zuversicht schenken.

Foto: Niklas Stadler

STANDARD: Trinken Sie ein Glas Wein zum Gespräch?

Dorli Muhr: Ich trinke Bier. Gerade habe ich mit meiner Tochter Anna zu Abend gegessen und gemeint, dass es für mich unmöglich ist, für mich allein eine Flasche Wein zu öffnen – weil es mir dann einfach nicht schmeckt.

STANDARD: Sie waren gleich zweimal in Quarantäne?

Muhr: Ja, ich hatte Veranstaltungen am 6. März in Lech am Arlberg. An dem Tag, als ich wieder raus durfte, landete meine Tochter in München. Sie musste ihr Auslandssemester in Kanada abbrechen und schaffte es gerade noch in einen Lufthansa-Flug.

Dorli Muhrs Tochter Anna musste ihr Auslandssemester in Kanada abbrechen. Inzwischen sind sie beide auf ihrem Weingut in Prellenkirchen.
Foto: Weingut Dorli Muhr

STANDARD: Und Sie sind Anfang März von Wien nach Prellenkirchen gezogen?

Muhr: In Wien ist meine Agentur, in Prellenkirchen das Weingut. Ich habe das Haus hier mit der Idee gekauft, Degustationen und Abhofverkauf mit Blick auf den Spitzerberg machen zu können. Alles ist bereit, aber nun können keine Gäste kommen. Natürlich ist das alles sehr belastend.

STANDARD: Trotzdem haben Sie als Geschäftsführerin zweier kleiner Unternehmen schon in der ersten Quarantänewoche eine Aktion unter dem Namen #mutmachen gestartet.

Muhr: Es geschieht nichts, wenn man nichts tut. Man muss aktiv werden. Und zwar überlegt. Im Rahmen von #mutmachen berichten wir von Menschen, die mit ihren Aktionen Hoffnung nähren. Das reicht von den Reitbauers, die in ihrem Sternerestaurant Steirereck Essen für Helfer zubereiten, bis zu einem Spirituosenbrenner, der Alkohol für Desinfektionsmittel spendet. Ich bin auch ehrlich froh darüber, dass die Österreicher diese Maßnahmen so diszipliniert mittragen. Ich frage mich nur: Ist es den Leuten bewusst, verstehen sie es, warum es so wichtig ist, oder funktioniert es, weil es der Kanzler sagt? Trifft Nummer zwei zu, hege ich keine Hoffnung, dass sich auch nach Corona etwas verändern wird.

STANDARD: Dennoch sehen Sie die Dinge lieber positiv, nicht?

Muhr: Meine Hoffnung ist, dass es zumindest in gewissen Schichten eine Bewusstseinsbildung gibt. Man erkennt, dass der Einzelne einen wesentlichen Part spielt im komplexen Ganzen. Das gibt es sonst nicht. Es ist kein "Wenn ich mit dem Auto fahre, dann wird die Umwelt nicht kaputtgehen, weil die anderen fahren auch alle, oder wenn ich pfuschen gehe, dann wird die Wirtschaft davon nicht sterben." In diesem Fall ist es eine evidente Sache, die man hinterher gut nachzuvollziehen und auf die Aktion einer einzelnen Person zurückführen kann. Es wäre schön, wenn diese Verantwortung der einzelnen Person für das große Ganze auch nach der Krise in der Kommunikation und in der Bewusstseinsbildung verankert bleibt.

STANDARD: Wie spielte sich in Ihren beiden Unternehmen der Beginn der Krise ab?

Muhr: Am Freitag, dem 13., haben wir in der Agentur beschlossen, ab sofort ins Homeoffice zu gehen, und wir erfuhren, dass die Gastronomie gesperrt wird. Alle unsere Kunden stammen aus der Weinbranche, der Hotellerie und der Kulinarik. Das Wochenende danach war einer der Tiefstpunkte in meinem Leben. Im Weingut: wissend, dass jede Flasche, die ich produziere, in der Gastronomie landet. In der Agentur haben wir alle Events, alle Pressereisen für die nächsten Monate gecancelt. Wir wussten, mit dem, was wir noch zur Verfügung haben, und wenn unsere Kunden die Zahlungen einstellen, schaffen wir noch einmal die Monatsgehälter. Aber dann ist es aus. Das war die Situation an diesem Wochenende.

STANDARD: Der Konnex zu #mutmachen und Zuversicht erschließt sich noch nicht ganz.

Muhr: Wenn ich jetzt für mich allein verantwortlich wäre oder für mich und meine Tochter, dann fände ich schon einen Weg, wie ich mein Leben friste. Aber ich trage in Summe Verantwortung für 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, für 20 Haushalte. Wir haben im Team gemeinsam überlegt, wie wir mit den Kosten so weit wie möglich herunterkommen. Aktuell versuchen wir natürlich von Events auf Online-Aktivitäten umzusatteln. Trotzdem, alles, was ich von jetzt in den Herbst verlege, bedeutet auch, dass ich im Herbst keine Kapazitäten mehr für neue Aufträge habe. Nach dem vielen Problemewälzen habe ich mir gedacht: So geht es nicht. Wir können uns da jetzt nicht runterziehen lassen. Natürlich, da ist die Bedrohung der Krankheit, und das Wichtigste ist, dass wir die Gesundheit schützen. Aber unsere Sorge als Unternehmer betrifft den Umsatz, als Konsumenten die Miete und die Versicherungen. Und: Du meine Güte, es ist nur Geld. Unsere Häuser sind nicht bombardiert, wir haben ein Dach über dem Kopf, einen vollen Kühlschrank, und die Sonne scheint. Auch die Umwelt ist nicht mehr verseucht als sonst.

STANDARD: Trotzdem ist diese Krise für sehr viele existenzbedrohend.

Muhr: Das ist sie für uns doch auch. Gerade deshalb müssen wir auch an die Zeit danach denken. Dann, wenn sich alle wieder freuen, dass man essen gehen kann und man gemeinsam eine Flasche Wein trinken kann. Die Generation meiner Eltern hat auch alles wieder aufgebaut – und zwar auf Trümmern. Es war unfassbar, was sich durch unsere Aktion #mutmachen aufgetan hat an Möglichkeiten und positiven Rückmeldungen. Man darf den Mut nicht verlieren.

STANDARD: Wie sieht es mit der Zuversicht in den Winzer-Reihen aus?

Muhr: Viele versuchen jetzt, mit Onlineshops etwas wettzumachen. Das ist Aktionismus, und man fühlt sich besser, weil man zumindest irgendetwas unternommen hat. Trotzdem gibt es keine Chance, dass die Mengen gekauft werden, die jetzt in der Gastronomie getrunken werden würden. Mit meinem Weingut werde ich zumindest 60 Prozent weniger Umsatz machen in diesem Jahr. All jenen, die in die Gastronomie liefern, geht es ähnlich. Diejenigen, die in den Lebensmittelhandel liefern, stehen besser da. Doch auch da verhält sich der Lebensmittelhandel, wie sich Kapitalismus eben verhält. Da hat man als einzelner Winzer nicht viel zu sagen, sonst fliegt man raus. Jetzt mehr denn je. Den kleinen Bäckern und Fleischern, sprich Lebensmittelproduzenten, geht es in puncto Umsatzeinbußen übrigens ähnlich, auch wenn sie geöffnet haben.

STANDARD: Inwiefern?

Muhr: Bäcker, Fleischer – sie alle haben massive Umsatzrückgänge. Sie werden sogar angefeindet und gefragt, warum sie geöffnet haben, wo doch nur die Supermärkte offen haben dürfen. Was natürlich Blödsinn ist. Am Samstag sind wir mit einer #mutmachen-Aktion in Form einer Facebook-Challenge online gegangen. Wir nennen die Aktion #IchKaufeBeiKleinen. Ich freue mich sehr, weil es super geht. Die Leute sollen die Produkte oder direkt den Händler ihres Vertrauens fotografieren und das online stellen. Und sie dürfen natürlich andere herausfordern. Es ist ein Schneeballsystem für den guten Zweck. Ich habe ein Foto von meiner kleinen Lieblingsbäckerei in der Sternwartestraße im 18. Bezirk gepostet. Es ist unglaublich, wie viele Menschen begeistert aufspringen, weil auch ihnen die Monopolisierung durch die Lebensmittelketten ein Dorn im Auge ist.

STANDARD: Kann man als einzelner Konsument wirklich helfen?

Muhr: Ja, indem man direkt einkauft. Beim Gemüsebauern, beim Bäcker, beim Winzer. Nicht immer kann man online kaufen. So wie bei der kleinen Bäckerei, die ich gepostet habe. Wenn man nicht in Quarantäne ist, kann man dort einkaufen.

STANDARD: Mit welchen weiteren #mutmachen-Aktionen von Ihnen darf man rechnen?

Muhr: Anfang Mai findet normalerweise die Tour de Vin statt. Ein Event, bei dem alle Betriebe der österreichischen Traditionsweingüter ihre Türen öffnen. Üblicherweise kommen da rund 5.000 Menschen in die Donauregion. Heuer findet sie in der Form nicht statt. Aber: Wir gehen online! Jeder, der möchte, kann sich vorab eine Paket Tour de Vin bestellen. Am Wochenende nach Ostern gibt es dann Online-Verkostungen mit den Winzern. Ein bisschen wie auf der Viennale, nur dass man sich sein Weinprogramm anstatt eines Filmprogramms zusammenstellt.

STANDARD: Wann, glauben Sie, wird bei Ihnen alles wieder den normalen Betrieb aufnehmen?

Muhr: Alles an Events haben wir bis Mitte August ad acta gelegt. Es wird dauern, bis es möglich sein wird, Leute aus dem Ausland anreisen zu lassen. Unsere Hoffnung ist eine große Verkostungsreihe Anfang September. Wir nennen es Single Vineyard Summit. Wir starten am Sonntag, dem 30. August, mit einer Verkostung der besten Lagenweine der Steiermark in der Nationalbibliothek in Wien. Am Montag darauf werden ebendort die besten Weine vom Eisenberg und Leithaberg im Burgenland präsentiert. Die Tage darauf findet die langjährige Verkostung der Weine der österreichischen Traditionsweingüter in Schloss Grafenegg statt. Es wird eine der ersten Möglichkeiten für internationale Journalisten sein, wieder zu verkosten und zu berichten. Es ist aber kein Verkaufsevent. Dem einzelnen Weingut bringt es keinen unmittelbaren Umsatz.

STANDARD: Was soll also der einzelne Winzer tun, wenn er jetzt verzweifelt?

Muhr: Man kann jetzt nicht von heute auf morgen das Ruder herumreißen. Eine Distribution aufzubauen dauert zehn Jahre. Was man jetzt tun kann, ist sehen, dass man diese Krisenzeit irgendwie liquiditätsmäßig übersteht und dann seine Lehren aus der Krise ziehen. Jetzt zeigt sich, welche die wertvollen Geschäftspartner sind und für wen man nur ein unbedeutender Strohhalm ist. Ab dem Zeitpunkt, ab dem man wieder ab Hof verkaufen kann, würde ich auf Events am Weingut und Abhofverkauf setzen. Denn bis das Geschäft mit der Gastronomie anläuft, das wird dauern. Die Wirte müssen selbst Weinvorräte und Schulden abbauen.

STANDARD: Wie sieht die aktuelle Arbeitssituation in Ihrer Agentur aus?

Muhr: Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind sich der prekären Lage bewusst, und es ist unglaublich, wie sie alle darum kämpfen, dass wir als Agentur überleben. Jeden Tag um 11.30 Uhr haben wir ein Videomeeting und besprechen die einzelnen Jobs, gehen Fragen und Zweifel durch. Keine von uns war es gewohnt, im Homeoffice zu arbeiten. Die Umstellung war nicht einfach. Das Meeting ist wichtig, um uns auszutauschen und uns verbunden zu fühlen.

STANDARD: Was ist mit der Agentur in der Zeit danach?

Muhr: Die erste Woche war ein Desaster. Jetzt haben wir uns gesammelt und Aufträge generiert. Es geht bergauf. Ich kann nicht versprechen, ob wir es überleben oder ob wir es hinterher überleben, aber wir tun alles, und wir versuchen klare Strukturen da reinzubringen – damit wir alle wissen, woran wir arbeiten.

STANDARD: Wird die Welt nach diesem Kollaps anders sein?

Muhr: Diese Ausnahmesituation hat seltsame Blüten getrieben. Angst und Unwissenheit verunsichern die Menschen. Ganz gleich, ob Arbeitnehmer oder Arbeitgeber. Für Winzer scheint mir wichtig, nicht hektisch zu werden. Die Frage "Wo kriege ich jetzt schnell einen Onlineshop her, um meine Produkte abzusetzen" hat keinen Sinn. Lieber einmal zurücklehnen und darauf schauen, wo und wie man sich für die nächste Krise stärken kann. Jetzt auf Aktionismus zu setzen ist meiner Meinung nach ein Fehler und könnte viel von der eigenen Positionierung zerstören. Ein Beispiel: In dem Moment, als die Messe Pro Wein in Düsseldorf abgesagt wurde – sie ist für uns alle das Zentrum des Wirtschaftsjahres –, haben viele aufgeatmet. Wenn die Krise jetzt nicht wäre, würden wir alle ununterbrochen reisen, in Flugzeugen sitzen, Präsentationen abhalten. Und vor allem eines nicht tun: reflektieren. Jetzt sehen wir, man kann so viel von dieser unnachhaltigen Arbeitsweise streichen und die digitalen Möglichkeiten viel mehr nutzen. Das wird hoffe ich doch bleiben. (Nina Wessely, 10.4.2020)