Einsamkeit kann tödlich sein. Sie schützt aber auch die besonders gefährdete Generation vor dem Coronavirus. Doch deren Freiheit kann nicht mehr eingeschränkt werden als die aller anderen.

Foto: Robert Newald

Seit Mitte März, seit Einführung des Besuchsverbots in Alters- und Pflegeheimen, ist Tanja P. noch einsamer als sonst. Früher kamen die Schwägerin oder eine Freundin regelmäßig vorbei. Alles, was ihr jetzt noch bleibt, ist: "Fernsehen, Kreuzworträtsel und Schlafen, hier in dem Kammerl." Niemand, der nicht im Wiener Pflegeheim, in dem sie lebt, arbeitet oder wohnt, darf rein.

Das Coronavirus und die Maßnahmen, es zu bekämpfen, haben weitreichende Folgen für Menschen in Altersheimen. Einerseits ist das geeinte Ziel, sie zu schützen, der Hauptgrund – in Mailand starben im März 70 Bewohnerinnen und Bewohner in nur einem Heim. Auch in Wien gab es in mindestens elf Alten- oder Pflegeheimen Coronavirus-Fälle – Todeszahlen sind keine bekannt. Andererseits sind die Alten aber auch jene, die nun mitunter am meisten unter den Beschränkungen leiden – weil sie einsam sind, aber auch, weil das Recht auf Freiheit ausgehebelt zu werden droht. Denn Kontrollen, die dieses Recht sicherstellen sollen, sind ausgesetzt.

Einsamkeit oder Schutz?

Ersteres, die Einsamkeit, versucht man mancherorts abzufedern. Immerhin erhöht soziale Isolation laut Rotem Kreuz das Sterberisiko um 25 Prozent. Die Häuser zum Leben, eine Kette von 30 Pensionistenwohnhäusern in Wien, machen das etwa, indem Tablets samt Anleitung zum Skypen in die Heime gebracht wurden. Wer unbedingt rauswill, darf das, allerdings nur, wenn er nach der Rückkehr entweder einen negativen Test vorweist oder zwei Wochen in Quarantäne geht, sagt ein Sprecher. Auch beim Wiener Krankenanstaltenverbund betont man, Senioren in den Pflegewohnheimen könnten via Telefon und soziale Medien Kontakt zu außen halten. Liegt ein Bewohner im Sterben, kann die Stationsleitung Besuch von einer Person erlauben.

In anderen Heimen hatten Angehörige seit Wochen keinen Kontakt zu den Bewohnerinnen und Bewohnern. Selbst Telefonieren ist ab einem fortgeschrittenen Stadium der Demenz unmöglich. Wie lang das so bleibt, ist offen. In der Branche vermutet man, dass frühestens im Herbst wieder alles wird, wie es war.

Kontrollen ausgesetzt

Die Gefahr von Menschenrechtsverletzungen beschäftigt nun jene, deren Job es ist, sie aufzuzeigen. Michael Hufnagl vom Vertretungsnetz kontrolliert freiheitsbeschränkende Maßnahmen in Heimen. Normalerweise – aktuell sind Kontrollen, um das Virus nicht von außen hineinzutragen, ausgesetzt. "Die Rechte der Heimbewohner dürfen jetzt nicht mehr beschnitten werden als die der Normalbevölkerung", sagt er, darauf mache man die Betreiber aufmerksam. Doch bei Kontrollen sind Hufnagl und sein Team nun darauf angewiesen, dass Heime selbst ihre Dokumentationen an das Vertretungsnetz schicken. "Uns ist bekannt, dass manche Heime Bewohner ohne einen Bescheid von der Gesundheitsbehörde auf den Stationen isolieren", sagt er, das sei in vielen Fällen rechtlich nicht gedeckt. Selbst in Krisenzeiten müsse es möglich sein, dass Bewohner hinausdürfen, wenn auch in Begleitung und mit Sicherheitsabstand.

Auch die Opcat-Kommission der Volksanwaltschaft kontrolliert Menschenrechtsverletzungen in Heimen. Schon Anfang März, bevor sich die Coronaviruskrise zuspitzte, berichtete sie, dass es in fast 50 Prozent der kontrollierten Altersheime zu solchen kam. Nun kann auch sie nicht mehr hinein. "Wir versuchen, so bald wie möglich wieder zu starten", sagt ein Sprecher. Sowohl die Volksanwaltschaft als auch die Bewohnervertretung sind derzeit weder mit Schutzausrüstung noch mit Tests ausgestattet. Beide fordern, dass sich das ändert.

Und Frau P.? Die freut sich, wenn die Besuchssperre vorbei ist und ihr wieder jemand Einkäufe vorbeibringt. "Ich hätt gern was zu trinken, ein bisserl was Alkoholisches", sagt sie. (Gabriele Schernd, 9.4.2020)