Im Gastkommentar tritt Oliver Picek vom Momentum Institut für ein höheres Arbeitslosengeld ein. Und er merkt an, dass es für viele aktuell notwendige Aufgaben keine Zivildiener oder Milizsoldaten brauchen sollte.

Zum ersten Mal seit 1945 gibt es aktuell mehr als eine halbe Million Menschen ohne Job in Österreich. Das entspricht den Einwohnern von Graz, Linz, und Bregenz zusammen. Mehr als 153.000 sind seit den coronabedingten Betriebsschließungen dazugekommen, jeden Tag werden es tausende mehr. Die Anzahl der bedrohten Jobs ist selbst bei konservativen Schätzungen mit weiteren 650.000 unvorstellbar hoch. Je nach Branche könnten zwischen zehn und 40 Prozent der Beschäftigten arbeitslos werden, in Gastronomie und Tourismus noch mehr. Dabei gibt es noch pessimistischere Szenarien.

Das Mittel der Regierung ist die Kurzarbeit. Sie trägt Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit 80 bis 90 Prozent des Letztgehalts durch die Krise, sichert aber auch den Unternehmen ihre Fachkräfte, damit sie nach Ende der Krise sofort wieder produzieren können. Doch für viele Unternehmer kommt Kurzarbeit nicht infrage. Hilfskräfte und Leiharbeiter werden sofort gekündigt. Branchen wie die Gastronomie, in denen jährliche Kündigungen nichts Unübliches sind, spielen ihren Rhythmus nun früher durch. Für Kleinunternehmen in Geldnot ist die Ankündigung eines Hilfsfonds, der aber noch nicht auszahlt, zu unsicher.

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Der Lebensmittelhandel verzeichnet Spitzen – in anderen Branchen, etwa bei Dienstleistern wie Friseuren, steht die Arbeit still. Trotz Covid-19-Kurzarbeit steigt die Arbeitslosenzahl, stark betroffen ist die Gastronomie.
Foto: Reuters / Lisi Niesner

Geringe Jobchancen

Wer arbeitslos wird, lebt in der Krise vom Arbeitslosengeld mit 55 Prozent des letzten Nettogehalts oder bei fehlendem Anspruch in der Mindestsicherung. Ihre Chance auf eine neue Beschäftigung ist derzeit gleich null. Ein paar Jobs als Erntehelfer oder in der Fleischindustrie – zu schlechten Löhnen und Arbeitsbedingungen – machen das Kraut nicht fett. Wie dringend die Menschen das Geld brauchen, sieht man bei den Zusatz-Jobs als Regaleinschlichter im Supermarkt. Mehr als 15.000 standen für 1000 Arbeitsplätze Schlange.

Für die große Mehrheit der Übriggebliebenen braucht es während der Krise ein "Corona-Ausgleichsgeld": Arbeitslosengeld (auch für kleine Selbstständige!) und Notstandshilfe sollten auf 70 Prozent des letzten Gehalts angehoben werden und die Mindestsicherung mindestens 1000 Euro pro Person betragen. Niemand sollte sich während der Krise Sorgen machen müssen, woher das Geld für Lebensmittel, Seife und Miete kommt.

Geld für Investitionen

Indes ist es naiv zu glauben, nach der Corona-Epidemie werde die Arbeitslosigkeit wieder auf das Vorkrisenniveau zurückgehen. Nach jeder Wirtschaftskrise (inklusive folgenden Aufschwungs) der letzten 40 Jahre war die Arbeitslosenquote höher als zuvor. Seitdem hat man zugesehen, wie sich knapp 36.000 Arbeitslose des Jahres 1974 bis auf 363.000 im Jahr 2019 verzehnfacht haben.

Mit Corona kann es schlimmer werden: Viele kleine Unternehmen werden nicht mehr aufsperren. Einige – auch große – werden nur mit zusätzlichen Krediten durchkommen, die sie dann abtragen müssen. Aber so fehlt das Geld für Investitionen, und ohne Investitionen kein Wirtschaftsaufschwung. Gebeutelte Unternehmen überlegen sich auch, ob sie wirklich jeden Mitarbeiter wieder brauchen. Ohne entsprechende Nachfrage nach Produkten bleibt uns aber ein Teil der Arbeitslosigkeit erhalten. Der Privatsektor wird nach Corona am Ende sein. Wer sich auf ihn verlässt, wird auf den Wirtschaftsaufschwung vergeblich warten.

Drei Lektionen

Wichtiger ist jedoch, dass wir aus der Krise lernen.

Der erste Lerneffekt ist die Neubewertung gesellschaftlicher Tätigkeiten. Dass nicht Investmentbanker, sondern Supermarktkassiererinnen die Welt am Laufen halten, hat die Krise bewiesen. Höhere Löhne für diese Berufsgruppen wären ein effektives Konjunkturprogramm.

Die zweite Lektion ist, dass uns in Krisen nur der Staat helfen kann. Der Markt, inklusive der Finanzmärkte, hätte uns glorreich in den Abgrund geritten, wenn die Staaten nicht sofort mit "Koste es, was es wolle"-Ansagen die Katastrophe aufgefangen hätten.

Die dritte Lektion ist: Die Spar- und Kürzungspolitik hat einen Preis. Wäre es nach den Effizienzverliebten gegangen, hätten wir jetzt so wenige Spitalsbetten wie Italien oder Spanien. Notwendige Dienstleistungen fehlen, weil der "effiziente" Staat das nötige Personal nicht organisiert und eingestellt hat. Weil sich die Regierungen seit Jahren weigern, die Pflege mit ansprechenden Gehältern und ordentlichen Arbeitsbedingungen auszustatten, müssen Arbeiterinnen aus den Nachbarländern angeworben werden, die bei geschlossener Grenze sofort fehlen. Beinahe wäre unser Bundesheer nicht mehr einsetzbar gewesen.

Öffentliche Jobs

Was heißt das für den Arbeitsmarkt? Neben den sicher notwendigen Konjunkturpaketen sind staatliche Ausgaben, staatlich organisiertes oder bezahltes Personal die Voraussetzung, um wieder das Niveau an Arbeitslosigkeit vor der Krise zu erreichen. Beginnen könnte die Regierung schon jetzt. Eine "Beschäftigungsaktion Corona" könnte zumindest einem Teil der Arbeitslosen einen öffentlichen Job anbieten. Für viele der aktuell notwendigen Aufgaben braucht es keine Zivildiener oder Milizsoldaten. Was es braucht, ist ein ordentliches Gehalt mit Gefahrenzulage, das nicht versucht, die 1500 Euro eines Spargelstechers (vor Abzug für Kost und Logis) zu unterbieten. Dafür – und für ein höheres Arbeitslosengeld – muss in einem 38 Milliarden Euro schweren Hilfspaket Platz sein. (Oliver Picek, 29.3.2020)