Nach wie vor geht in Wuhan die Angst vor dem Virus um.

Foto: Hector RETAMAL / AFP

Zweifel an den chinesischen Covid-19-Zahlen gibt es schon, seitdem das Coronavirus erstmals vermeldet wurde. Das Regime in Peking ist dafür bekannt, notorisch an den Zahlen, Daten und Fakten zu drehen. Eine freie Presse, die die Regierung überwachen könnte, gibt es in dem Land nicht. Kritische Artikel werden, wenn sie nicht vorher der Schere im Kopf zum Opfer fallen, zensiert und im Netz gesperrt. Und doch gibt es immer wieder Ausnahmen: Wenn es so etwas gibt wie investigativen Journalismus in China, dann kommt er vom Magazin "Caixin".

Diese Woche war es Angehörigen erstmals nach zwei Monaten in Wuhan erlaubt, die Asche ihrer verstorbenen Familienmitglieder abzuholen. Seit dem 25. Jänner hatte im Epizentrum der Pandemie eine strikte Ausgangssperre geherrscht. "Caixin" war dabei, um die Wartenden zu interviewen. Dabei sorgten besonders Fotos für Erstaunen: Am Mittwoch wurden Lastwagen abgelichtet, die ebenso wie am Donnerstag jeweils 2500 Urnen zu einem Bestattungsinstitut brachten. Ein anderes Foto zeigt 3500 Urnen. Es gibt acht solcher Institute in Wuhan. Den offiziellen Zahlen zufolge seien in Wuhan aber nur 2535 Menschen an Covid-19 gestorben. Eine einfache Kopfrechnung ergibt, dass die tatsächliche Zahl der Toten also um ein Vielfaches höher sein muss. Viele der Toten seien überhaupt nicht auf Covid-19 getestet worden, heißt es in dem Artikel. Andere seien zwar nicht an dem Virus gestorben, konnten aber aufgrund der Überlastung der Krankenhäuser nicht entsprechend behandelt werden. Zum Vergleich: Im vierten Quartal 2019 gab es laut der städtischen Behörde 59.000 Feuerbestattungen.

Keine sicheren Schlüsse

Sicher ist all das nicht – die übrigen Bestattungsinstitute, die "Caixin" kontaktierte, wollten oder durften keine Auskunft über die Anzahl der Urnen geben. Aus den Bildern wird zudem nicht ersichtlich, ob die Urnen gefüllt oder vielleicht leer waren. Und schließlich könnten sich darunter auch die Überreste von an anderen Ursachen Verstorbenen befinden.

Allerdings gibt es eben auch berechtigte Zweifel an den Zahlen der Regierung. Peking hatte im Februar noch eine strikte Nachrichtensperre über die Provinz Hubei verhängt. Die wenigen kritischen Reporter mussten Wuhan verlassen, stattdessen kamen Hauptstadtjournalisten mit der Auflage, jetzt nur noch positive Nachrichten zu verbreiten.

Bis dahin war eingeschränkt investigativer Journalismus möglich gewesen. "Caixin" hat sich darauf spezialisiert, immer wieder die sonst unsichtbaren "roten Linien" auszutesten. So deckte das Magazin mehrfach Korruptionsfälle in höchsten Kreisen auf. Gegründet wurde es 2010 von der Journalistin Hu Shuli. Der 67-Jährigen werden gute Beziehungen in die höchsten Zirkel der Macht nachgesagt. So konnte sich Hu in den vergangenen Jahren immer wieder Freiräume erkämpfen.

Die Website des wöchentlich erscheinenden Magazins hat 200.000 zahlende Abonnenten – nicht viel in China, dafür zählt sich die Leserschaft zur Finanz- und Politik-Elite des Landes. (Philipp Mattheis aus Schanghai, 30.3.2020)