Charlotte Roche und Martin Keß-Roche sind seit 2007 verheiratet, zusammen sind sie seit 16 Jahren.

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Charlotte Roche, Martin Keß-Roche: "Paardiologie. Das Beziehungsbuch". € 18,50 / 304 Seiten, Piper, 2020

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Eine Stunde über die Hochs und Tiefs eines langjährigen Ehe- und Sexlebens, teils therapeutisch, herzzerreißend, intim, über verpatzte Urlaube, emotionale Monogamie und verkraftetes Fremdgehen – 41 Folgen ihres Podcasts "Paardiologie" haben Bestsellerautorin und Moderatorin Charlotte Roche ("Feuchtgebiete") und ihr Mann Martin Keß-Roche bereits produziert. Die Corona-Krise führt zu neuen Abrufrekorden. Vermutlich weil die Hörer in erzwungener Nähe nun ihre eigene Beziehung reflektieren. "Der Mann von" ist übrigens eine Rolle, die Martin Keß-Roche sehr mag.

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STANDARD: Durch "Paardiologie" gewinnt man den Eindruck, gar keine Fragen mehr an Sie zu haben und dass man Frau Roche und Sie schon sehr gut kennt. Stimmt das?

Keß-Roche: Aber ja, wer uns die jetzt insgesamt 40 Folgen ertragen hat, kommt uns schon sehr nahe. Wir sind da schon sehr ehrlich, gleichzeitig sind wir uns immer bewusst, dass wir da in ein Mikrofon sprechen.

STANDARD: Im Podcast sprechen Sie über ihre private Beziehung, dann gibt es noch– wie Sie im Podcast oft erzählen – Ihre gemeinsamen Sitzungen bei einer Therapeutin, die natürlich nicht öffentlich sind, und da ist noch Ihr privater Alltag. Wie halten Sie diese unterschiedlichen Ebenen des Privaten auseinander?

Keß-Roche: Das Leben mit einer Öffentlichkeit sind wir durch unsere Berufe gewöhnt. Und Charlotte ist ja schon immer sehr persönlich all in gegangen, seit ihrem Buch "Feuchtgebiete" vermischen sich Fiktion und Biografie. Ich kenne das schon, dass Leute mich anschauen und denken: "Welche Episode in welchem Buch ist denn jetzt ihm zuzuschreiben?" Ich empfinde das aber nicht als Belastung. Und wir sind trotz dieser unterschiedlichen Ebenen des Privaten so, wie wir halt sind, ganz normal. Kennen Sie "The Osbournes", die Mutter aller Realityshows?

STANDARD: Ja klar.

Keß-Roche: Obwohl da Kameras waren, hat die Familie Osbourne nicht gespielt, sie waren sie selbst. Und das macht es auch so gut, denn genau dann können sich Leute andocken und sagen: Schau mal, die sind ja wie wir!

STANDARD: Es gab eine Podcast-Folge zum Thema Geld, allerdings haben Sie beide nur darüber geredet, wie andere in ihrer Beziehung mit Geld umgehen und sich selbst ausgespart. Ist es schwerer, öffentlich über Geld zu reden als über Liebe und Sex?

Keß-Roche: Ja, Geld – da haben Sie uns aufmerksam zugehört und ertappt. Es stimmt, das steht noch aus. Es gibt tatsächlich bestimmte Themen, um die wir herumschleichen, das ist uns bewusst. Es ist kein Zufall, dass das bei Geld bis jetzt auch so war. Denn genau beim Geld können wir eben nicht behaupten, wir seien ein ganz normales Paar. Bei allen anderen Themen, bei Eifersucht, der Frage, wie bekommt man Autonomie und Freiheit zusammen oder wie funktioniert Patchwork – da sind wir wie alle anderen. Aber beim Geld sind wir durch unsere Karrieren nicht auf Augenhöhe mit den meisten unserer Hörerinnen und Hörer, da können die Leute eben nicht andocken. Und wahrscheinlich hat es auch damit zu tun, dass in Deutschland Geld das viel verklemmtere Thema ist als Sex oder alles andere. Hier redet niemand über Geld.

STANDARD: Dabei hängen gerade Beziehungen eng mit finanziellen Möglichkeiten zusammen: Ob man zur Paartherapeutin gehen kann oder abgeschieden vom Rest der Familie regelmäßig in Ruhe reden kann. Letztlich bleiben Paare auch zusammen, weil sie sich jeweils eine eigene Wohnung gar nicht leisten können.

Keß-Roche: Ja, die Bedeutung von wirtschaftlichen Bedingungen ist ein wichtiges Thema und beschäftigt mich sehr. Das spielt auch bei den Beziehungen zwischen Eltern und Kindern eine große Rolle. Warum sind Kinder manchmal ihren Eltern gegenüber richtig devot? Da gibt es oft wohl nur einen Grund: ein bevorstehendes Erbe. Und die, die nichts erben, sind erst recht in den Arsch gekniffen.

STANDARD: Sie sagen, Sie drücken sich um manche Themen herum – um was noch?

Keß-Roche: Aus Rücksicht auf unsere Kinder und ehemaligen Partner reden wir nicht so viel über Patchwork, wie es dem Thema eigentlich angemessen wäre. Patchwork ist immerhin für die meisten inzwischen Realität.

STANDARD: Es gab eine sehr konfrontative Folge, in der Sie beide darüber reden, dass in Ihrer Beziehung derzeit viele politische Themen abgehandelt werden. Vor allem feministische, die Frau Roche an Sie als weißen Mann heranträgt. Wie läuft es inzwischen damit?

Keß-Roche: Das wird uns, ehrlich gesagt, immer begleiten. Für mich ist es ein unbefriedigendes Gefühl, denn ich bin doch schon ganz okay, und ich entwickle mich tapfer mit. Trotzdem scheine ich immer einen Schritt hinterher zu sein. Da habe ich eben etwas verinnerlicht – und Charlotte schon einen neuen Impuls bekommen, ein neues Bewusstsein für irgendwas und konfrontiert mich damit. Da verzweifle ich manchmal und fühle mich unfair behandelt. Allerdings geht es dabei nicht um die Sache selbst, in der gebe ich Charlotte und allen Feministinnen recht. Zuletzt haben wir in einer Sendung über "Mental Load" geredet, also die Mehrbelastungen durch Haushalt und Kindererziehung. Ich dachte, ich sage da was Gutes, habe mich aber offenbar um Kopf und Kragen geredet. Das Ergebnis waren viele Rückmeldungen, ich solle doch bitte den Mund halten, weil ich ja auf der anderen Seite stehe. Ich will jetzt wirklich kein Mitgefühl, aber es ist manchmal schwierig zu antizipieren, was jetzt das Richtige ist.

STANDARD: Es wird in den letzten Jahren immer wieder sorgenvoll der Frage nachgegangen, wie es wohl den Männern mit dem Feminismus und diesen ganzen Identitätsdebatten geht.

Keß-Roche: Ich will nicht lamentieren, ich finde, ein Kampf ist anstrengend – aber in erster Linie für die, die kämpfen. Diese alten Feuilletonmänner, denen jetzt alles zu viel wird, die haben nicht recht. Es ist ein unglaublich langer Kampf von Frauen, der schon über viele Generationen geht. Und ich verstehe, dass dieser Kampf zunehmend mit weniger Verständnis und mehr Schärfe geführt wird. So ist das halt.

STANDARD: Es ist selten, dass ein Mann nicht für seinen Job in der Öffentlichkeit steht, sondern für seine Beziehung und als "Mann von". Wie ist das für Sie?

Keß-Roche: Ich freu mir darüber den Arsch ab, ich bin gerne "Spielerfrau". Es gibt im alten amerikanischen Comedy-Geschäft den Ausdruck, dass jemand auf der Bühne die "Second Banana" ist – ich bin das richtig gerne. Ich finde es auch richtig gemein, wenn jemand sagt: Toll, was die Charlotte Roche macht, aber der Martin erst! Da verteidige ich sofort die Verdienste von Charlotte und ihre Rolle in dem Podcast. Charlotte hat in den letzten zwanzig Jahren dermaßen abgeliefert, da ist es kaum mehr möglich, jemanden noch zu überraschen. Für mich ist das leicht, die Überraschung zu sein: ein Mann in meinem Alter, der sich hinstellt und über Gefühle redet. Dass man dafür schon viel Applaus bekommt, zeigt, wie arm wir Männer noch sind. Und dass es ungewöhnlich ist, dass ein Mann in der Öffentlichkeit über seine Gefühle redet, zeigt gut, wie weit wir weg sind von Gleichstellung.

STANDARD: Der Podcast ist ja tatsächlich ein ziemlicher Erfolg. Hat Sie das überrascht?

Keß-Roche: Ich war mir sehr unsicher, und mich hat das sehr überrascht. Ich hatte auch erwartet, dass es viel kontroverser angenommen wird. Bevor wir angefangen haben, dachten wir selber, dass das Ganze krawalliger wird. Dann ist aber sofort so eine Ruhe und Intimität entstanden, das war kein Konzept, das ist uns einfach so passiert. Es war so, wie wenn jemand Zauberstaub über uns ausgeschüttet hätte. Doch so, wie wir in dem Podcast reden, reden wir beim Abendessen natürlich nicht, das ist hoffentlich jedem klar. Wenn wir den Podcast machen, gehen wir in so etwas rein wie andere Leute in die Kirche, in eine Art magisches Zelt. Wir bekommen über Social Media sehr viele Reaktionen, und ich freue mich, dass die Menschen so viel damit anfangen können. Oder wenn ein junger Mensch schreibt, dass er zwar keinen Partner hat, aber es später so machen will wie wir, dann finde ich es richtig rührend.

STANDARD: Haben Sie manchmal Sorge, dass Sie zu einem Idealbild werden?

Keß-Roche: Wir machen demnächst eine kleine Bühnentour, wo wir das Ganze auf die Bühne tragen. Da haben wir beide diese Fantasie, dass wir uns erst hinter der Bühne kurz vorher treffen, mit zwei unterschiedlichen Autos anreisen, schon längst getrennt sind und nur noch für die Öffentlichkeit dieses Traumpaar spielen, aber uns in Wirklichkeit total ekelhaft finden und im schlimmsten Scheidungskrieg stecken – aber das wäre dann die Sitcom für danach. (Beate Hausbichler, 31.3.2020)