Einige Saisonsarbeiter und Touristen, die in den Quarantänegebieten festsaßen, durften am Montag Tirol verlassen.

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Mit diesen Bussen aus dem Paznauntal wurden die deutschen Staatsbürger nach Mittenwald gebracht, wo sie in deutsche Züge umstiegen.

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Es ist wohl eine der ungewöhnlichsten Rückholaktionen, die ein deutscher Botschafter in Österreich je organisiert hat. "Normalerweise helfen wir unseren Landsleuten, aus Krisengebieten wegzukommen, diesmal aber ging es um eine Ausreise aus einem Nachbarland, nämlich Österreich", sagt der deutsche Botschafter in Wien, Ralf Beste, zum STANDARD. 300 deutsche Saisonarbeitskräfte sind am Montag in 150 Privat-Pkws und einigen von der Botschaft gecharterten Bussen aus jenen Tiroler Gebieten, für die die Quarantäne eigentlich verlängert worden ist (Paznauntal, Galtür, Ischgl), unter Polizeischutz in ihre Heimat zurückgebracht worden. Dies betrifft nicht nur deutsche Staatsbürger: Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) kündigte am Montag die Ausreise von rund 3.000 Saisonmitarbeitern und Touristen aus den betroffenen Gebieten bis zum Wochenende an.

"Seit einigen Tagen hatten sich viele der Betroffenen bei der Botschaft gemeldet", sagt Beste. Die Leute saßen ohne Arbeit in Quarantäne, sie wollten nach Deutschland, der Wunsch wurde immer dringlicher. Die deutsche Botschaft in Wien nahm daraufhin mit dem Außenamt und dem Gesundheitsministerium in Wien Kontakt auf, um die Ausnahmegenehmigungen für die Rückkehr zu organisieren. "Es war ein hartes Stück Arbeit, aber wir haben gut kooperiert", sagt Beste.

Auflagen für deutsche Heimkehrer

Für jene, die ausreisen wollten, gab es einige Auflagen: Zunächst mussten sie bei den Gemeinden erklären, dass sie fieberfrei sind, und auch, dass sie sich nach der Rückkehr nach Deutschland sofort bei den dortigen Gesundheitsämtern melden werden. Die österreichischen Behörden verlangten eine Ausreise im Konvoi, der von der Polizei begleitet wurde. In einem Auto durften nur jene gemeinsam fahren, die zuvor auch zusammen gewohnt hatten.

Die Rückreise aus St. Anton startete um 9 Uhr am Montag, aus Galtür ebenfalls um 9 Uhr, jene aus Ischgl um 9.30 Uhr für Pkws, für die vier Busse um 10 Uhr. Deutsche in Kappl konnten um 9.45 Uhr starten, wer einen Bus nutzen wollte, musste sich um 8.30 Uhr in Ischgl einfinden. Schließlich stießen um 10 Uhr noch die Heimkehrer aus See/Paznaun dazu, es ging Richtung Grenze Scharnitz/Mittenwald.

Zuvor hatte die deutsche Botschaft versichern müssen, dass alle Betroffenen über die deutsche Grenze kommen und niemand dort abgewiesen werden würde. Gegen 13 Uhr 15 waren an der Grenze zwischen 20 und 30 Pkws mit deutschen Kennzeichen aus St. Anton zu beobachten. Diese fuhren im Schritttempo auf die Grenze zu, wo auf einem Schild in Leuchtschrift zu lesen war: "Bitte, zwei Wochen zu Hause bleiben." Die Pässe der Ausreisenden wurden von der Polizei fotografiert. Derweil verständigten sich die Polizeikräfte vor Ort, dass bereits der nächste Konvoi mit 38 Autos im Anrollen sei. Im bayerischen Mittenwald konnten die Deutschen, die mit dem Bus gekommen waren, dann in Züge der Deutschen Bahn umsteigen. Dieser fuhr mittlerweile ab. Beim Umsteigen in Mittenwald berichteten Ausreisende dem STANDARD, dass sie froh seien, endlich nach Hause zu dürfen. Die Bewilligung ihrer Ausreise kam laut ihren Angaben überraschend – am gestrigen Sonntag wurden sie von den Gemeinden informiert.

Gegen 14 Uhr 15 kamen fünf Postbusse mit Arbeitern aus dem Paznaun an. Einige berichteten dem STANDARD, dass die Stimmung in den vergangenen Tagen in ihren Personalzimmern, immer schlechter geworden sei und sie auf Essen und Trinken von den Arbeitgebern angewiesen waren. Ein Deutscher, der zuvor in Ischgl gearbeitet hatte, sagte, er habe keine Kenntnisse, dass jemand aus seiner "Reisegruppe" getestet worden sei. Auch auf Verlangen, seien die Tests abgelehnt worden. Einige machten sich deshalb Sorgen infiziert zu sein, auch wenn sie keine Symptome haben.

Pkw-Konvoy nach Ungarn

Auch im Tiroler Skiort St. Anton am Arlberg ist die Abreise von etlichen Saisonsarbeitern im Gange. Ab 14 Uhr bewegt sich ein von der Polizei eskortierter Pkw-Konvoi Richtung Ungarn, bestätigt Bürgermeister Helmut Mall dem STANDARD. Für jene ungarischen Mitarbeiter, die ohne Pkw angereist sind, soll es Busse geben. Ab 15 Uhr dürfen Österreicher, die nicht in St. Anton wohnen, mit ihren Pkws heimfahren. Busse für die restlichen sollen organisiert werden, so Mall.

Dieses Mal scheint die Ausreise besser organisiert zu sein als noch am 13. Februar: Am Wochenende wurden einige Kassen der berühmten Galzig-Seilbahn geöffnet um Formulare an die Betroffenen auszugeben. Durch das Plexiglas konnte so auch der notwendige Abstand gewahrt werden. Zuvor konnten diese sich online melden, um den zuständigen Botschaften Kontaktdaten zu liefern. Laut Mall sollen in den nächsten Tagen Angehörige anderer Staaten ausreisen dürfen, die Vorbereitungen seien im Laufen – allerdings fällt dies nicht in die Zuständigkeit der Gemeinden.

Das Land Tirol bestätigte dem STANDARD die Ausreise von 460 ungarischen Staatsbürgern auf dem Landweg. Bereits am Samstag seien 275 Personen aus Großbritannien sowie 75 Personen aus Schweden sowie eine finnische Staatsbürgerin abgereist. Bei einer Pressekonferenz war von rund 3.000 Personen die Rede, deren Ausreise in Vorbereitung stehe. Auch ausländische Touristen werden noch von ihren Botschaften nach Hause geholt, so Landeshauptmann Platter. All das verlaufe in enger Abstimmung mit Land, Bund, Innen- und Außenministerium sowie der Polizei und laut Land Tirol unter strengen Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen.

Bericht über katastrophale Behandlung

In vielen Tiroler Hotels stecken aufgrund der Quarantäneverordnung noch Saisonsmitarbeiter fest. In den letzten Tagen berichtete der Präsident der Tiroler Arbeiterkammer, Erwin Zangerl, von "Notrufen" einiger Saisonsmitarbeiter, die von ihren Arbeitgebern schlecht behandelt worden sein sollen. Einige sollen vor die Tür gesetzt worden sein. Zangerl sprach von "menschenverachtenden Zuständen". Die Tiroler Wirtschaftskammer reagierte empört, rief die Arbeiterkammer zur Mäßigung auf.

Auch dem STANDARD berichtet ein ungarischer Kellner in einem Skihotel in Going am Wilden Kaiser von der seiner Meinung nach miserablen Behandlung durch seinen Vorgesetzten. Dieser würde täglich seine Taschen und sein Zimmer durchsuchen, schulde ihm noch Lohn und drohte ihm mit der Polizei, sollte er sein Hotel nicht verlassen. (Steffen Arora, Birgit Baumann, Laurin Lorenz, Fabian Sommavilla, 30.3.2020)