"Über Lösungen sollte genauso kritisch berichtet werden wie über Probleme": US-Podcasterin Andrea Smardon.

Foto: Andrea Smardon

"Ich möchte nicht, dass Journalismus mir erklärt, wie ich leben soll. Aber ich erwarte mir sehr wohl, dass er mir Möglichkeiten aufzeigt, die mir vielleicht nicht bewusst sind", sagt Andrea Smardon. Die US-amerikanische Journalistin und Produzentin des Podcasts "Next Door Strangers" sollte beim diesjährigen Journalismusfestival in Perugia, geplant von 1. bis 5. April 2020, mitdiskutieren über "How to report in (and on) a polarized world without making everything worse" – wie man in einer und über eine polarisierte Welt berichten kann, ohne alles noch schlimmer zu machen.

Das Festival 2020 ist wie viele Großveranstaltungen wegen des Coronavirus abgesagt. Aber Smardon beantwortet Fragen zum Thema per Mail.

Unterschiedliche Realitäten

In einer polarisierten Welt gehen nicht nur die Meinungen weit auseinander, die Wahrnehmungen von Realität selbst scheinen nicht mehr zusammenzupassen. Was bedeutet das nun für Journalistinnen und Journalisten, die in ihrer Arbeit danach streben, die Wahrheit ans Licht zu bringen? Wie bilden sie welche Realität ab?

Viele Medien berichten tendenziell über Probleme, und hier jeweils über die neuesten Herausforderungen und ihre Entwicklung. Neuere Ansätze wie "Solutions Journalism" und "Solutions-focused Journalism" versuchen, die Probleme weiterzudenken und sich auch mit Lösungsversuchen auseinanderzusetzen.

"Solutions Journalism" und "Solutions-focused Journalism" unterscheiden sich voneinander in Nuancen, viel aber haben sie gemein: Andrea Smardon sowie – ebenfalls zum oben erwähnten Panel eingeladen – Maria Exner (stellvertretende Chefredakteurin von "Zeit online"), Emily Kasriel (BBC) und Samantha McCann ("Solutions Journalism Network") orientieren ihre Berichterstattung über gesellschaftliche Probleme an Lösungsvorschlägen. Deklariertes Ziel: die ganze Geschichte zu erzählen.

"Wenn wir nicht über Lösungen berichten, liefern wir unserer Leser- und Zuhörerschaft nicht die Gesamtheit aller Erfahrungen, an denen sie sich im Leben orientieren können", erklärt Andrea Smardon.

Kritisch auch gegenüber Lösungsvorschlägen

An Lösungsvorschläge für soziale Probleme geht Smardon stets mit denselben Fragen heran: "Was hat funktioniert und was nicht? Wo liegen die Grenzen dieser Herangehensweise? Inwiefern ist diese vielversprechend?" Über Lösungen solle genauso kritisch berichtet werden wie über Probleme. Schließlich gehe es darum, vorhandene Lösungsvorschläge zu beleuchten – nicht selbst welche zu liefern.

Lösungen, die nicht aufgehen

So auch beim multimedialen BBC-Projekt "Crossing Divides", an dem Emily Kasriel mitwirkt. "Crossing Divides" berichtet über gelungene Initiativen wie jene aus Rio de Janeiro, wo in einer von Gewalt geprägten Favela gemeinsame Tanz- und Schauspielkurse für kleine Kinder und Senioren veranstaltet werden – zwei soziale Gruppen, die besonders unter den gewaltvollen Verhältnissen leiden. "Crossing Divides" greift auch Lösungsideen auf, wenn diese nicht ganz aufgehen. So zum Beispiel ein moderiertes Gespräch zwischen einem antifaschistischen Aktivisten und einem Mitglied der "Proud Boys", einer exklusiv männlichen und rechtsextremen Gruppierung. Bei diesem Gespräch konnten die Teilnehmer keinen Millimeter aufeinander zugehen.

Leserinnen und Leser miteinbeziehen

Bei lösungsorientiertem Journalismus geht es darum, die Motivationen und Erfahrungen aufzuzeigen, aus welchen Menschen ihre Positionen ableiten. Das funktioniert besonders gut, wenn diese selbst zu Wort kommen.

Nicht nur "Crossing Divides" organisiert Gespräche zwischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die sehr unterschiedliche Weltanschauungen haben.

"Zeit online", DER STANDARD und andere europäische Medien haben mit großen Dialogprojekten wie "Deutschland spricht", "Österreich spricht" und "Europa spricht" Menschen zusammengebracht, die sich bei polarisierenden Themen auf dem Meinungsspektrum diametral gegenüberstehen.

Was hat Maria Exner aus "Deutschland spricht" gelernt? "Wir machen die Erfahrung, dass Leser, Zuschauer, Zuhörer oft mehr sein wollen als nur die Rezipienten von Journalismus. Die würden gerne mitreden", erklärte sie dem deutschen "Medium-Magazin". "Zeit online" organisiert auch das Z2X, ein Festival für junge Menschen zum Austausch von Ideen über Zukunftsthemen. "Zeit online" behandelt zudem die eigene Arbeit, die Reaktionen des Publikums darauf und die Herangehensweise der Redaktion in einem Transparenz-Blog, dem "Glashaus".

Do it yourself Solutions

Andrea Smardon bezieht ebenfalls ihre Zuhörerinnen und Zuhörer ein: Am Ende jeder Folge ihres Podcasts vergibt sie eine kleine Challenge, sprich eine bestimmte Aufgabe, die Zuhörerinnen und Zuhörer selbst in ihrem Alltag ausprobieren können, um sich mit Menschen auseinanderzusetzen, die ihnen geografisch nah und ideologisch fern sind.

Und Smardon versucht ihre Absichten und Erwartungen und auch Hoffnungen hinter ihrem Podcast transparent zu machen. In einem ihrer Artikel berichtet sie über einen Kollegen, der in den USA eine Audiodokumentation über die kulturellen Gräben in den USA produziert hat. Sie zitiert ihn, wenn er erzählt, dass er stets seine liberalen Ansichten nach außen getragen habe und überrascht gewesen sei, dass rechtskonservative Menschen dadurch nicht weniger gewillt gewesen seien, mit ihm zu sprechen – ganz im Gegenteil. (Maëlle Nausner, 2.4.2020)