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Ungarns Premier Viktor Orbán kann nun am Parlament vorbeiregieren.

Foto: Reuters / Bernadett Szabo

Ein wenig ist es wie mit der Covid-19-Pandemie selbst: Niemand weiß, wie schlimm es am Ende wirklich wird. Die neuen Vollmachten für Ungarns rechtsnationalen Premier Viktor Orbán, mit denen dieser nun auf unbestimmte Zeit am Parlament vorbeiregieren kann, stellen für die Demokratie im Land zunächst natürlich eine Gefahr dar. Auch deshalb, weil Journalistinnen und Journalisten ihre Rolle als Korrektiv nur noch unter erschwerten Bedingungen wahrnehmen können: Die Verbreitung von "Falschinformationen" kann künftig mit Gefängnis bestraft werden, dem gegenüber steht, so die Klagen aus kritischen Medien, eine weitgehend einseitige Verlautbarungspolitik der Regierung.

Völlig zu Recht wurden im In- und Ausland mahnende Stimmen laut – auch aus Österreich. Kanzler Sebastian Kurz allerdings zog es vor zu schweigen: Er habe "nicht die Zeit", sich mit Ungarn auseinanderzusetzen, sagte er im ORF. Das mit der Zeit möchte man ihm aktuell wohl glauben, hätte er nicht auch schon früher Beißhemmung gegenüber Orbán bewiesen. Gerade weil die Orbán-Partei Fidesz im Europäischen Parlament mit der ÖVP in einer Fraktion sitzt, sollte der Regierungschef Kritik am EU-Mitglied Ungarn nicht dem grünen Koalitionspartner überlassen.

Migrationsthema keine Blaupause

Doch bei aller Entrüstung über Orbáns Ermächtigungsgesetz: Selbst bei ungarischen Regierungskritikern ist da immer auch noch die Hoffnung, dass dieser nicht ernsthaft erwägt, die Corona-Krise zu nutzen, um das Land handstreichartig zur waschechten Diktatur umzubauen. Sogar kritische Journalisten, deren Arbeit nun schwieriger und gefährlicher wird, gehen davon aus, dass Orbán eigentlich überhaupt keinen Plan hat. Die Vollmachten seien für ihn wohl eher eine Art Sicherheitsgurt. Nach dem Motto: Man weiß nie, wofür man sie einmal braucht.

Genau da aber liegt das Problem: Bei Orbáns Lieblingsthema, der Migration, war es er selbst, der Ängste in der Bevölkerung je nach Bedarf geschürt hat, um sich danach als Retter zu präsentieren. Bei der Corona-Krise liegen die Dinge anders: Die Sorgen der Menschen sind einfach da. Weder Beschwichtigen noch Aufbauschen noch Abwälzen auf einen Sündenbock, wie ihn einst George Soros abgeben musste, wird daran auch nur das Geringste ändern. Im Umgang mit der Corona-Krise wären jetzt Offenheit und Transparenz gefragt. Das neue Gesetz, das den parlamentarischen Diskurs einschränkt und Journalisten mit Haft bedroht, bewirkt genau das Gegenteil. (Gerald Schubert, 30.3.2020)