Das aktuelle Cover: Unter dem Motto "Ballesterer brennt" wird die eigene Existenzkrise thematisiert.

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Vor 20 Jahren erschien der "Ballesterer" erstmals.

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"Ballesterer"-Chefredakteur Jakob Rosenberg.

Foto: Daniel Shaked, ballesterer

Was vor 20 Jahren als Liebhaberprojekt von Fußball-Aficionados mit Geschichten wie "Anton Polster, Fußballgott" oder Koksen im kolumbianischen Fußball begonnen hat, soll nicht mit einer Debatte über Sportjournalismus – wie in der 150. Ausgabe – enden. Dazwischen liegen Titelgeschichten wie jene über Thierry Henry, Roberto Baggio, Eric Cantona, aber auch über Dorfvereine, Vorwärts Steyr und Fußball im Käfig. Um weiterhin nerdig und erdig gleichzeitig zu sein, braucht das österreichische Fußballmagazin "Ballesterer" dringend Geld. Die Verbindlichkeiten belaufen sich auf rund 200.000 Euro – drei Viertel davon liegen bei den Magazinmachern selbst.

Als wäre das Umfeld für ein Fußballmagazin nicht schon schwer genug, kommt dann auch noch Corona daher. "Anzeigenkunden haben ihre Zusagen in der Höhe von 20.000 Euro jetzt schon storniert, wir rechnen damit, dass auch der weitere Verkauf schwieriger wird", sagt "Ballesterer"-Chefredakteur Jakob Rosenberg zum STANDARD. Der "Ballesterer" erscheint zehnmal im Jahr mit einer Auflage von 20.000 Stück. Die Rettungskampagne "Ballesterer brennt!" wurde bereits vier Monate vor Corona konzipiert, die Solidarität ist groß: "Ich bin überwältigt", sagt Rosenberg: "Uns sind die Kuverts zum Verschicken der Bestellungen ausgegangen. Das ist berührend."

Hunderte Abos, tausende Euro an Spenden

Gießt man die Überwältigung in Zahlen, so sind seit dem Kampagnenstart am 24. März 500 neue Abos dazukommen, rund 300 weitere Bestellungen eingelangt und 8.000 Euro an Spenden am Konto gelandet. "Wir bekommen sehr viele Zuschriften von Leuten, die uns helfen möchten. Das sehen wir als Bestätigung zum Weitermachen", freut sich Rosenberg.

Der "Ballesterer" schreibt seit seiner Gründung vor 20 Jahren gegen die Kommerzialisierung des Fußballs an, selbst hat er den ökonomischen Spagat ebenso wie andere österreichische Sportmagazine aber nicht geschafft. In den letzten Jahren mussten etwa "Sportwoche", "Sportmagazin" und "Sportzeitung" die Segel streichen. Das habe sowohl mit der Enge des Marktes zu tun als auch mit der Printkrise und den veränderten Lesegewohnheiten, konstatiert Rosenberg. Das Magazin zu einem reinen Onlinemedium zu transferieren hält er für nicht zielführend: "Wenn du nicht total große Reichweiten hast, verdienst du mit Onlinewerbung sehr wenig Geld, und der Paywall-Gedanke beginnt sich gerade erst durchzusetzen."

Selten mit einem Plus abgeschlossen

Ein Selbstausbeutungsprojekt also, das nur im Eigenverlag erscheinen möchte und für die Unabhängigkeit einen hohen Preis zahlt? Nicht zwingend, denn wenn die Konditionen passen, würde sich der "Ballesterer" nicht vor dem Andocken an ein Verlagshaus verschließen. Jetzt müssten Mitarbeiter manchmal länger auf Gehälter und Honorare warten und arbeiten teils auch gratis. Ein Zustand, der noch nie gut war und auch nicht mehr lange gutgeht: "Es war für uns immer schon schwierig, das Magazin zu machen. Wir haben selten ein Jahr mit einem Plus abgeschlossen."

Der "Ballesterer" wurde im Jahr 2000 von Reinhard Krennhuber als vereinsunabhängiges Magazin für Fußball- und Fankultur gegründet. Hinter dem Medium stehen sechs Gesellschafter und ein Verein. Der derzeit einzige Angestellte ist Chefredakteur Jakob Rosenberg, die stellvertretende Chefredakteurin Nicole Selmer arbeitet ebenso auf Honorarbasis wie das Grafikteam. Die Geschichten kommen von einem Pool an freien Mitarbeitern.

Die Patina einer Existenzkrise und ein paar Pokale, die vom sportlichen Ruhm vergangener Tage zeugen: Jakob Rosenberg im "Ballesterer"-Büro in der Porzellangasse im 9. Wiener Gemeindebezirk.
Foto: Daniel Shaked, ballesterer

Kritische Fragen? Fehlanzeige!

Dass der Fußball immer mehr zum Geschäft und Vereine wie Unternehmen mit großen Presseabteilungen geführt werden, diesen Zug kann auch der "Ballesterer" nicht aufhalten, umso wichtiger sei die Rolle des kritischen Sportjournalismus, der seine Finger in die Wunden legt. "Der Fußball bekommt seine wichtigsten Gelder, wenn er seine Übertragungen verkauft", sagt Rosenberg. Die Fernsehsender wiederum müssen das Produkt vermarkten: "Die Vereine sind verpflichtet, ihre Interviews an den jeweiligen Fernsehpartner zu geben oder den bevorzugt zu behandeln." Das mache es für unabhängigen Sportjournalismus schwieriger. Genauso wie vereinseigene Redaktionen à la Rapid TV oder Fan TV von Red Bull Salzburg. "Die machen das Interview mit ihren Spielern selbst." Kritische Fragen? Fehlanzeige.

Verhaberung im Journalismus

Kommerzialisierung hin, professionelle Pressearbeit her, jammern über den Zustand des Sportjournalismus in Österreich möchte Rosenberg dennoch nicht: "Man muss mehr auf Hintergründe schauen, den Fußball weiter fassen, die ökonomische, gesellschaftspolitische Rolle thematisieren." Ein großes Thema sei die Verhaberung zwischen Vereinen und Journalisten: "Das ist ein Riesenproblem." Geschichten werden gesteckt, Interviews angeboten, und im Gegenzug wird eine umfassende, kritiklose Berichterstattung erwartet. "Hier nicht mitzuspielen ist eine Herausforderung, aber notwendig. Kernaufgabe des Journalismus ist, Probleme aufzuzeigen."

ÖFB streicht ganze Fragen aus Foda-Interview

Ein Problem des Journalismus generell und damit auch des Sportjournalismus hat erst kürzlich das Portal 90minuten.at dokumentiert: die Autorisierung von Interviews. Die Journalisten Michael Fiala und Gerald Gossmann haben Ende Jänner 70 Minuten lang mit Teamchef Franco Foda gesprochen und dem ÖFB – wie vereinbart – das Interview zur Autorisierung geschickt. Die Pressestelle wollte aber nicht nur Fodas Antworten stark verändern, sondern strich sogar sieben Fragen mitsamt den Antworten. Das Prozedere mit dem ÖFB zog sich über 45 Tage, woraufhin sich 90minuten.at entschloss, das Interview gar nicht zu bringen, sondern nur die Fragen zu veröffentlichen.

"Lassen uns nicht alles gefallen"

Solche Autorisierungswünsche hält auch Rosenberg für ein wachsendes Phänomen: "Einige Vereine kennen den Unterschied zwischen Pressearbeit und PR nicht." Journalisten sollten zu Sprachrohren des Vereins degradiert werden, aber: "Bis jetzt hat noch keine Presseabteilung ein Interview besser gemacht." Dass 90minuten.at die ÖFB-Chuzpe öffentlich gemacht hat, begrüßt er, auch auf die Gefahr hin, dass es keine Interviews mit dem Teamchef mehr geben werde: "Das ist ein guter Weckruf, um zu sagen: Leute, wir lassen uns nicht alles gefallen."

Nach dem großen Zuspruch der Fußballfans ist Rosenberg jedenfalls davon überzeugt, dass der "Ballesterer" ein finanzielles Fundament findet, inhaltlich wird es in Corona-Zeiten aber irgendwann problematisch: "Sollte das gesamte Jahr kein Fußball gespielt werden, wird es schwierig. Wir können nicht sechs Ausgaben lang über die Corona-Krise der Klubs schreiben." Und dennoch überwiegt der Optimismus, den Rosenberg aus der DNA des Mediums speist: "Weil wir nicht tagesaktuell sind, sondern viel über historische und zeitlose Themen schreiben." Und davon gibt es noch genug. (Oliver Mark, 31.3.2020)