"Aus Schaden wird man klug", ist der Volksmund überzeugt. Für Kinder ist das möglicherweise ein adäquater Weg zum Wissenserwerb. Erwachsenen steht eigentlich auch eine weitere Möglichkeit offen: Sie können im Vorfeld überlegen, was in der Zukunft wichtig wird. Die Covid-19-Pandemie offenbart, dass dieser cerebrale Schritt bei den Verantwortlichen nicht ganz oben auf der Prioritätenliste gestanden ist.

Dass ein aggressiver Erreger eine Pandemie auslösen könnte, die die medizinischen Kapazitäten an ihre Grenzen bringen könnte, ist nämlich beileibe keine Erkenntnis, die erst im Jahr 2020 gereift ist. Schon 2004 schreckte H5N1, das Vogelgrippe-Virus, die Welt auf. Eineinhalb Jahre brauchten die Behörden und Experten damals, bis die seinerzeitige Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat den "Österreichischen Influenza-Pandemieplan" präsentieren konnte.

Ab Mittwoch soll in Österreichs Supermärkten eine Maskenpflicht gelten.
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Auf über 70 Seiten wurde skizziert, wer welche Schritte setzen muss, um die Auswirkungen möglichst gering zu halten. Wenig überraschend schon in diesem Leitfaden ein Thema: die Schutzmasken. "Es bedarf vorsorgender Planung der Gesundheitsbehörden", wurde festgestellt. Die auch umgesetzt wurde: 1,6 Millionen Schutzmasken wurden in Rauch-Kallats Auftrag eingelagert. Da die Vogelgrippe nie großflächig auf Menschen übersprang und die Masken nicht benötigt wurden, erntete die Politikerin Spott und Hohn.

Maskenpflicht

Nun stellen sich Bundes- und Vizekanzler, Gesundheits- und Innenminister vor die Öffentlichkeit und erklären, dass die Maskenpflicht dräut. Dies mag seuchentechnisch durchaus sinnvoll sein. Dennoch drängen sich Fragen auf: Wenn Masken zwar nicht vor einer Infektion schützen, aber die Verbreitung des Virus behindern – warum waren sie dann eigentlich nicht die erste Maßnahme, die eingeführt wurde? Und die Schließung von Geschäften und Ausgangsbeschränkungen die Eskalationsstufe, falls die Ausbreitung trotz Maskenpflicht ungehindert voranschreitet?

Das Gegenargument, es seien nicht genügend Masken verfügbar gewesen, führt zur nächsten Frage: Warum nicht? Warum wurde dann 2006 ein Pandemieplan beschlossen, der offensichtlich nach der öffentlichkeitswirksamen Präsentation nie wieder jemanden interessiert hat? Warum wurde nicht ein entsprechender Vorrat geschaffen, um zumindest das medizinische Personal ausreichend versorgen zu können?

Weil es nicht die Aufgabe des Staates ist, für alle Eventualitäten vorzusorgen, wie Wirtschaftsliberale sagen würden? Das muss er auch nicht. Nach dem Ölschock in den 70er-Jahren wurde festgelegt, dass eine strategische Ölreserve für 90 Tage gebunkert sein muss. Die Gesellschaft, die den Rohstoff vorrätig hält, gehört den vier größten Mineralölkonzernen des Landes. Warum ist niemand auf die Idee gekommen, auch bei den Schutzmasken eine derartige Konstruktion zu verwenden? Ärztekammer und Spitalsbetreiber sorgen dafür, dass eine ausreichende Menge auf Lager ist, in regelmäßigen Abständen werden die Masken dann auf den Markt gebracht und die Vorräte wieder aufgestockt.

Wenn diese Gesundheits- und Wirtschaftskrise wieder vorbei ist, sollten dringend Antworten auf diese Fragen geliefert und vor allem Maßnahmen ergriffen werden. Denn, wie der Volksmund auch sagt: Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung. (Michael Möseneder, 30.3.2020)