Wirkstoffe anderer Therapien gegen das Coronavirus nutzen: Es gibt eine Reihe von Wirkstoffkandidaten am Start.

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Die Corona-Krise stürzt die Weltgemeinschaft in eine Krise. Eine der Gründe dafür ist, dass es keine Medikamente gibt. Doch gerade sie würden dringend gebraucht, um die Erkrankung zu stoppen oder schwere Krankheitsverlaufsformen von Covid-19 abzufedern. Auch Wissenschafter und pharmazeutische Unternehmen arbeiten auf Hochtouren an der Frage, ob es nicht vielleicht schon jetzt irgendwelche Medikamente gibt, die auf die eine oder andere Weise gegen das Virus eingesetzt werden könnten. Es gibt jeden Tag neue Ideen und Ansätze. In der allgemeinen Panik, die die Pandemie auslöst, fällt es medizinischen Laien schwer, den Überblick zu behalten. Wir haben Michael Freissmuth, Pharmakologe an der Medizinischen Universität Wien, um eine Einordnung gebeten.

STANDARD: Alle suchen fieberhaft nach einem Medikament zur Behandlung von Sars-CoV-2-Infektionen. Was läuft da gerade aus pharmakologischer Sicht?

Freissmuth: Die medizinische Forschungsgemeinschaft kennt Sars-CoV-2 seit dem 12. Jänner 2020. Die Entwicklung von Medikamenten nach dem bestehenden Regelwerk dauert mindestens ein Jahr, weil sie die verschiedenen Stufen einer klinischen Prüfung durchlaufen müssen. Versuche an Menschen sind unethisch, auch in einer Krisensituation.

Podcast: Welche Medikamente gegen Covid-19 helfen könnten.

STANDARD: Sind die überaus strengen Bestimmungen bei Medikamenten in dieser Notsituation denn tatsächlich erforderlich?

Freissmuth: Selbstverständlich, diese klinischen Prüfungen stellen sicher, dass ein Medikament auch wirkt. Und sie stellen sicher, dass Patienten dadurch nicht zu Schaden kommen. Im Sinne der Sicherheit ist das unbedingt erforderlich. Hier an der Medizinischen Universität Wien werden gerade zehn Anträge für Studien zu Covid-19 von unserer Ethikkommission geprüft. Das ist der erste Schritt.

STANDARD: In Ermangelung eines spezifischen Medikaments gegen Sars-CoV-2 wird geprüft, ob Medikamente, die gegen andere virale Infektionen eingesetzt werden, nicht auch bei Sars-CoV-2 wirksam sein könnten. Halten Sie das für eine gute Idee?

Freissmuth: Ja. Viren verhalten sich von ihrem Grundprinzip ja sehr ähnlich. Ein Virus dringt ein, dockt an eine körpereigene Zelle an und vermehrt sich dort. Dadurch wird das Immunsystem aktiviert, um Antikörper zu bilden. In diesen Prozess kann man mit Medikamenten an verschiedenen Punkten eingreifen. Derzeit prüfen Pharmaunternehmen, die auf virologische Erkrankungen spezialisiert sind, ob Medikamente, die schon im Einsatz sind, nicht möglicherweise auch bei Sars-CoV-2 wirken. Da gibt es zum Beispiel ein Medikament namens Redemsivir, das gegen das Ebola-Virus entwickelt wurde.

STANDARD: Auch HIV ist ein Virus. Sind deshalb auch HIV-Medikamente in Diskussion

Freissmuth: Da geht es um Lopinavir/Ritonavir, ein Medikament, das gegen HIV aber kaum mehr im Einsatz ist. Der große Vorteil solcher Medikamente, mit denen man schon Erfahrung an Menschen hat, ist das Wissen, dass sie prinzipiell gut verträglich sind. Das ist ein großer Vorteil für die Sicherheit des Medikaments. Ob es dann auch noch wirksam ist, ist die zweite sehr wichtige Frage. Diesen Beweis erbringen klinische Studien. Sie durchzuführen braucht Zeit.

STANDARD: Großes Aufsehen brachte auch das gegen Sars entwickelte Medikament der Firma Apeiron, an der der Genetiker Josef Penninger beteiligt ist. Wie vielversprechend ist das?

Freissmuth: Es ist ein Medikament, das gegen Sars entwickelt wurde. Es ist eine rekombinant hergestellte, lösliche Form von ACE2, einem Rezeptor in der Lunge. Die Vorstellung ist, dass sich das Virus dort weniger vermehrt und dass die Lungenfunktion verbessert wird. ACE2 ist ein Enzym, das Angiotensin liefert, dieser Botenstoff soll die Lunge schützen.

STANDARD: Es soll nur bei schwerkranken Covid-Patienten zum Einsatz kommen.

Freissmuth: Rekombinantes ACE2 wurde bereits beim Lungenversagen (acute respiratory distress syndrome, ARDS) aus anderen Ursachen getestet. Es gab keinen Hinweis auf verbesserte Sauerstoffaufnahme. Die entscheidende Frage ist, ob es beim Lungenversagen, das durch Sars-CoV-2 ausgelöst wird, anders ist. Man kann Gründe für die Annahme finden, warum sich die Lungenfunktion verbessern könnte. Ohne Überprüfung lässt sich die Frage aber nicht entscheiden. Bei jedem Medikament gilt es grundsätzlich immer, Nutzen und Schaden in einer spezifischen Situation abzuwägen. In der derzeitigen Krise rühren gerade viele Pharmaunternehmen die Werbetrommel. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass sich jedes Medikament erst in Studien beweisen muss.

STANDARD: Was ist mit Malaria-Medikamenten?

Freissmuth: Das könnte vielleicht ein Ansatz seinDas Malaria-Medikament Chloroquin und Hydrochloroquin verschieben den pH-Wert in einigen Bereich Zellorganellen in den basischen und verhindern dadurch das Eindringen und die Reproduktion des Virus. Doch damit können viele gefährliche Nebenwirkungen ausgelöst werden. Die sauren Organellen werden nämlich auch ständig zum Abbau von intrazellulärem Material gebraucht. Wenn dies nicht passiert, kann unter anderem die Netzhaut zugrunde gehen, man erblindet. Oder es kommt zu Hornhauttrübungen, man sieht dann schlecht. Vollkommene Unklarheit herrscht auch über die Dosierung. Ich wiederhole mich: Wir kommen auch bei diesem Wirkstoff um sorgfältige Studien mit exakt definierten Endpunkten nicht herum.

STANDARD: Wenn ein Mensch die Sars-Cov-2-Infektion durchgemacht hat, ist er immun. Das heißt: Im Blut sind Antikörper. Ein Ansatz der Firma Takeda ist es, solchen Leuten Blut abzunehmen, Antiköper zu filtern und sie dann Kranken zu verabreichen. Ist das plausibel?

Freissmuth: Es ist ein ganz anderer Ansatz, das stimmt. Wichtig wird die Frage sein, welchen schwerkranken Patienten man das verabreicht und zu welchem Zeitpunkt genau. Wenn die Lunge schon sehr in Mitleidenschaft gezogen wurde, ist es wahrscheinlich nicht mehr zielführend. Studien an sehr kranken Menschen sind immer schwierig, weil diese auf einer Intensivstation sehr viele und sehr viele unterschiedliche Arzneimittel erhalten, eine Vielzahl verschiedener Behandlungen sozusagen. Diese Variabilität muss bei der Planung der Studie berücksichtigt werden, alles muss feinsäuberlich eruiert und dokumentiert werden, um eine tatsächliche Wirksamkeit zu beweisen.

STANDARD: Warum sind auch ständig Rheuma-Medikamente wie Tocilizumab im Gespräch?

Freissmuth: Die Erfahrungen der letzten drei Monate in den Intensivstationen zeigen, dass bei vielen Schwerkranken extrem hohe Interleukin-6-Spiegel beobachtet wurden. Viel Interleukin im Blut heißt: Das Abwehrsystem aktiviert alle seine Kräfte gegen die Infektion. Es ist ein sogenannter Zytokinsturm, eine Art generalisierter Entzündungsprozess, der zu einem Multiorganversagen führen kann. Diese überschießende Immunreaktion wird bei der Anwendung von Car-T-Zellen (gentherapeutisch programmierte, gegen Tumorzellen gerichtete Immunzellen) beobachtet. Der Zytokinsturm, der durch Car-T-Zellen ausgelöst wird, kann durch Tocilizumab verhindert werden. Tocilizumab wurde ursprünglich als antientzündlicher Antikörper (gegen den Interleuki-6-Rezeptor) für die Behandlung von Rheumaerkrankungen entwickelt. Die Hypothese ist, dass Tocilizumab bei schweren Formen von Sars-CoV-2 diesen Zytokinsturm unterbindet.

STANDARD: Es gibt einige Publikationen in "Lancet", die diesen Konnex herstellen.

Freissmuth: Das Gute an diesem Wirkstoff: Die Medizin hat ebenfalls Erfahrung damit, weil er ja an Patienten im Einsatz ist. Zudem ist er verfügbar. Es gibt ihn, er wird produziert. Ich denke, dass man ein großes Augenmerk auf die Nierenfunktion legen sollte. Tocilizumab würde ja vor allem eine letzte Option bei Covid-19-Kranken sein, die in einem lebensgefährlichen Zustand sind. Die Frage ist, wann ist der richtige Zeitpunkt, so ein Medikament zu verabreichen, und wem? Hochdosiertes Cortison wäre dann auch eine Alternative.

STANDARD: Schließlich werden auch immer die Janus-Kinase-Inhibitoren in die Diskussion eingebracht. Es sind ebenfalls Rheuma-Medikamente, die den Entzündungsprozess aufhalten, also den von Ihnen genannten Zytokinsturm aufhalten. Wie sehen Sie das?

Freissmuth: Kritisch, weil Janus-Kinase-Inhibitoren sehr viele Schenkel der Immunabwehr unterdrücken. Sie würden auch nur bei den schwerkranken Covid-19-Patienten zum Einsatz kommen. Und bei denen besteht die Gefahr, dass sich zu dieser viralen Infektion auch eine bakterielle dazugesellt. Und dabei bräuchte man dann unbedingt eine Immunabwehr, damit der Körper auf diese bakteriellen Infektionen reagieren kann.

STANDARD: Auch über Interferon wird diskutiert. Wie schätzen Sie hier die Situation ein?

Freissmuth: Interferone sind Proteine, die eine Immunantwort stimulieren. Damit würde man dem Organismus helfen, eine effektivere antivirale Antwort aufzubauen. Denn ganz offensichtlich zeigt sich aus den bisherigen Erfahrungen, dass bei älteren Menschen diese Immunantwort länger braucht als bei jungen. Interferon schafft das bei viraler Hepatitis. Die Frage wird sein: Mit wie viel Interferon gelingt diese Antwort bei Sars-CoV-2.

STANDARD: Eine Impfung, da sind sich die Experten einig, wäre die beste Lösung. Wenn man alle Kräfte bündeln würde, was ist der frühestmögliche Zeitpunkt, an dem so eine Impfung zur Verfügung steht?

Freissmuth: In einem Jahr, wenn es sehr schnell geht. (Karin Pollack, 1.4.2020)