Die Pflegeheime sind die Achillesferse im Kampf gegen das Coronavirus, sagt Martin Sprenger von der Med-Uni Graz.

Foto: imago

Das Coronavirus ist für die gesamte Bevölkerung ein Risiko, aber keine Gruppe ist stärker bedroht als Pflegebedürftige und Bewohner von Pflegeheimen. Deshalb müssen die Pflegeheime dringend geschützt werden, betont der Public-Health-Experte Martin Sprenger von der Med-Uni Graz.

"Die Pflegeheime sind unsere Achillesferse", betont Sprenger im STANDARD-Gespräch. Die Letalität in dieser Höchstrisikogruppe liege bei zehn bis 20 Prozent, "und die fallen nicht tot um, sondern kommen ins Krankenhaus und liegen dann auf der Intensivstation", sagt er. Österreich habe rund 400.000 Pflegegeldbezieher, aber nur 3.000 Intensivbetten, das sei ein Rezept für ein Desaster im Gesundheitssystem. Sprenger: "Wir wissen, dass Ischgl entscheidend war. Die Pflegeheime dürfen kein zweites Ischgl werden."

Man müsse die Pflegeheime dringend finanziell unterstützen, damit Schleusensysteme eingerichtet werden können, die Heime mit Schutzausrüstung ausgestattet und das Personal präzise geschult werden könne. Es sei problematisch, wenn Gesichtsmasken nun in Supermärkten verteilt werden, sie aber in Pflegeheimen fehlten.

Entscheidungen im Blindflug

Handlungsbedarf bestehe auch bei der Erfassung von Daten über Covid-19-Erkrankte, betont Sprenger. Denn ohne diese Wissensbasis würden die politischen Entscheidungen im Kamp gegen das Virus im Blindflug erfolgen. "Wir müssen genau erfassen, wer eigentlich im Krankenhaus landet", sagt Sprenger. "Sind es Raucher, was ist ihr Body-Mass-Index, was ist ihr sozioökonomischer Status, welche Medikamente nehmen sie, haben sie Allergien? All das muss systematisch erfasst werden, in jedem Krankenhaus, in Österreich und in der EU." Nur dann sei ein "wissensbasiertes Risikomanagement", wie Sprenger es nennt, möglich.

Für dieses systematische Monitoring gebe es in Österreich Hindernisse, und auf EU-Ebene finde es überhaupt nicht statt. "Wir haben in Europa nicht einmal eine einheitliche Erfassung der Todesfälle", sagt Sprenger. Aber ohne vergleichbare Parameter könne man auch keine relevanten Schlüsse aus der Entwicklung in der Lombardei für Österreich ziehen und sich auf die kommende Welle von Erkrankungen vorbereiten.

Sprenger: "Es gibt noch ganz viele Dinge, die wir über das Virus nicht verstehen. Das geht nur gemeinsam." (Eric Frey, 31.3.2020)