Ischgl im Jänner 2020: Der "Schauplatz" zeigt die wundersame Welt vor und in Quarantäne.

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Ischgler Hotelier Günther Aloys.

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Günther Zangerl , Vorstand Seilbahnen Ischgl.

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Ischgl, das "Ibiza der Alpen".

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Europas Virendrehkreuz, Corona-Hotspot, Filz, Gier und Vertuschung: Ed Moschitz war in Ischgl, als der Tiroler Wintersportwahnsinn noch nicht als Virenschleuder durch die Weltpresse ging – um für den ORF-Schauplatz einen anderen Irrwitz von Ischgl zu dokumentieren. Nun zeigt er mit den Bildern und vielen Gesprächen seither den "Ausnahmezustand in Ischgl", ein megalomanes System ständigen Ausnahmezustands.

Der Barkeeper im Kitzloch, die ersten Corona-Fälle, die abwartenden Behörden, Wirte, Hoteliers, die keinen Tag ihrer abermillionenschweren Wintersaison verlieren wollen. Die überfallsartig und unorganisiert in Tausendschaften zur Abreise motivierten Gäste aus ganz Europa, damit sie einem nicht im Zimmer hängen bleiben. Die Landespolitik, die "alles richtig gemacht" haben will. Die ermittelnden Staatsanwälte. Die aberwitzige Tiroler Corona-Geschichte ist vielfach erzählt.

Seit Wochen steht Ischgl unter Quarantäne. Moschitz hat das System Ischgl noch im vollen Lauf, auf den letzten Metern, untersucht. 94.000 Liftfahrten pro Stunde. Sechs Tonnen Pommes pro Tag, zwei bis drei Tonnen Fleisch. 200 Liter Diesel jede Nacht für jede der 20 Pistenraupen. 1.200 Schneekanonen, deren Strombedarf Kraftwerke auslastet und Seen leert. Bis zur Decke gefüllte Müllräume in der kleinsten Pension. Hypertrophe Hotelburgen und von Kaiserpinguinen als Attraktion träumende Hoteliers, ein Blick auch in gedrängte Partykeller des "Ibiza der Alpen", perfekte Petrischalen der Pandemie.

Im Goldrausch

Moschitz spricht mit Tellerwäschern, fast allesamt für die Seilbahn arbeitenden Gemeinderäten und dem Bürgermeister, mit dem Küchenchef und seinen Kräften. Mit dem Fleischhauer, der die auf den Pisten weidenden Rinder zerlegt und die schneegefrästen und mitgefressenen Metallteile mit vorsorglich verfütterten Magneten aus ihren Mägen holt. Mit der Pensionswirtin, dem Megahotelier, mit dem obersten Schneekanonier, dem Dorfchronisten etwa der Hochwasserkatastrophen. Sie selbst zeichnen das Bild des Wintersportwahnsinns in einem einst armen Bauerndorf, das sich mit der längsten Seilbahn der Welt in Jahrzehnte des Goldrauschs versetzte.

Moschitz sprach auch mit Ökologen, den Bundesforsten und mit dem Management einer Münchner Agentur, die Firmen und Institutionen dabei hilft, ihr Tun als klimaneutral darzustellen. Ischgl bewirbt sich – Kraftstoff für die Anreise von Millionen und Pistenraupen hin, Strom und Wasser für die Schneekanonen her – als klimaneutral. Das war der Anlass für Moschitz’ Reportage, der nun nur noch am Rande vorkommt – aber viel Stoff für eine "Nachgefragt"-Folge des Schauplatz bieten wird.

Auch diese Klimafrage wird dann das System Ischgl anschaulich erklären. Interviews dazu vermitteln zumindest den Eindruck: Mit einer Pekannussplantage in Peru, ohne erkennbare Adresse oder Ansprechpartner, verrechnet die Agentur die anhand von Eigenangaben aus Ischgl berechnete Umweltbelastung und attestiert Klimaneutralität. Ein ebenfalls unterstütztes (und eigens erwähntes) Aufforstungsprojekt in Tirol hätten die Bundesforste auch ohne den von Ischgls quasi aufgedrängten Beitrag durchgeführt.

"In Ischgl halten die Leute sehr zusammen, man ist es gewohnt dort, sich alles im kleinen Kreis auszumachen. Bürgermeister, Seilbahnchefs, Tourismusmanager, sie alle sind dort sehr mächtig", schildert Moschitz seinen Eindruck. "Die Kunst bei der Geschichte war es, besonders ausführlich zuzuhören. Zuzuwarten, was die Menschen nach ihren üblichen Stehsätzen und Slogans noch alles zu sagen haben."

"Wir wollen ja selber nicht, dass wir weiß Gott was kaputtmachen. Wir leben ja da. Wir leben vom Tourismus und vom Schnee", lächelt der Schneekanonier breit in die Jännersonne 2020. Als Corona noch weit weg schien und man im Kitzloch noch allein Gaudi und Geld vermuten konnte. (Harald Fidler, 1.4.2020)