Italien muss mit einer massiven Wirtschaftskrise rechnen – Politiker bitten nun die EU-Partner um Hilfe.
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In ganz Italien standen am Dienstag die Flaggen auf halbmast; zur Mittagszeit erfolgte eine landesweite Schweigeminute zum Gedenken an die bereits 12.000 Toten der Corona-Epidemie. Italien ist in Europa das bisher am schwersten gebeutelte Land – und neben dem unermesslichen menschlichen Leid steht es nun auch vor einem wirtschaftlichen Desaster: Goldman Sachs prophezeite Italien tags zuvor einen Rückgang der Wirtschaftsleistung von zehn Prozent in diesem Jahr; der heimische Unternehmerverband Confindustria rechnet mit einem Minus von sechs Prozent.

Die immensen Kosten zur Bewältigung der Epidemie wird Italien kaum alleine bewältigen können. Deshalb appellieren nun mehrere italienische Europa- und Lokalpolitiker in einem offenen Brief an die Hilfsbereitschaft der Deutschen. "Cari amici tedeschi" ("Liebe deutsche Freunde"), heißt es in dem Schreiben, "mit dem Coronavirus ist die Geschichte in den Westen zurückgekehrt." 30 Jahre lang sei die Wirtschaft das Einzige gewesen, was in der EU gezählt habe – "heute ist die Herausforderung, wie in der Vergangenheit, wieder eine politische, kulturelle, menschliche". Europa müsse jetzt zeigen, dass es existiere – sonst höre es auf zu existieren.

Keine "Vergemeinschaftung" der Schulden, aber gemeinsames Handeln

Der vom italienischen Europaparlamentarier Carlo Calenda verfasste und von mehreren Lokalpolitikern mitunterzeichnete Brief bezieht sich auf die sogenannten Corona- oder Eurobonds, die von Italien und acht weiteren EU-Ländern (darunter Spanien, Frankreich und Belgien) ins Spiel gebracht wurden – und die vor allem in Holland und Österreich, aber eben auch in Deutschland auf Widerstand stoßen.

Heute verfüge die EU nicht über die geeigneten Instrumente, gemeinsam auf eine derartige Krise zu reagieren, schreibt Calenda. Aus diesem Grund habe man die gemeinsam ausgegebenen Anleihen vorgeschlagen."Wir verlangen nicht die ,Vergemeinschaftung' der bereits bestehenden Schulden", betont Calenda. Man wolle lediglich, dass sich die Europäische Union mit den notwendigen Mitteln ausrüstet für einen von ihren eigenen Institutionen verwalteten großen europäischen Rettungsplan, mit dem die gesundheitlichen, wirtschaftlichen und ökonomischen Folgen der Corona-Epidemie gemeinsam bewältigt werden können.

"Holland steht für Mangel an Ethik und Solidarität"

Bei den Corona- oder Eurobonds, schreibt Calenda ausdrücklich, handle es sich nicht um Zuschüsse, die von den Deutschen bezahlt werden, sondern um Anleihen, die wie alle anderen staatlichen Schuldtitel später wieder zurückbezahlt werden müssten.

Die Unterzeichner kritisieren in erster Linie die niederländische Regierung, die mit Steuererleichterungen für ausländische Firmen den anderen Ländern Steuereinnahmen entziehe – und damit indirekt die Gesundheitssysteme dieser Länder schädige. "Die Haltung Hollands ist ein schlagendes Beispiel für Mangel an Ethik und Solidarität", heißt es in dem Brief.

Deutschland sollte diesem Beispiel nicht folgen: "Ihr steht an der Seite der großen europäischen Nationen, an der Seite der europäischen Institutionen, ihr steht für Werte wie Freiheit und Solidarität und nicht für das Verfolgen kleinlicher nationaler Egoismen."

Die Unterzeichner erinnern daran, dass Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg genau von denjenigen Ländern Solidarität erfahren habe, die nun ihrerseits auf die deutsche Hilfsbereitschaft zählen. "Die deutschen Staatsschulden betrugen im Jahr 1945 insgesamt 30 Milliarden damalige Mark. Diese Summe hätte Deutschland nie zurückbezahlen können." Deshalb hätten unter anderem Italien, Spanien, Frankreich und Belgien 1953 den Deutschen die Hälfte ihrer Schulden erlassen, was den deutschen Staat vor der Zahlungsunfähigkeit bewahrte.

Erinnerung an Schuldenerlass für die Deutschen nach 1945

"Von der Richtigkeit dieses Schuldenerlasses sind wir immer noch überzeugt, und wir sind bis heute stolz darauf", schreibt Calenda. Mitunterzeichnet wurde der offene Brief unter anderen von Giorgio Gori (Bürgermeister von Bergamo, der am schlimmsten von der Epidemie betroffenen Stadt Italiens), Giuseppe Sala (Bürgermeister von Mailand), Emilio del Bono (Bürgermeister von Brescia), Luigi Brugnaro (Bürgermeister von Venedig) und Stefano Bonaccini (Präsident der Region Emilia-Romagna). (Dominik Straub, 1.4.2020)