Das Coronavirus ist auf dem Weg, nicht nur ganze Länder, sondern die Welt in ein riesiges, mit vielen Unwägbarkeiten, vor allem existenziellen Gefahren verbundenes Echtzeitexperiment zu stürzen. Gefordert ist jeder einzelne Mensch, aber auch jedes Politik- und Gesellschaftsfeld. Das unsichtbare Virus macht die ganz normale, meist unbewusste Vernetztheit von Gesellschaften, die Menschen in ihrem Alltag verbindet, als Teil eines in letzter Konsequenz globalen Soziotops sichtbar. Das ist eine der vielen Lernerfahrungen, die wir jetzt als Kollektiv machen. Die digitalen Möglichkeiten haben nur eine zusätzliche, wenngleich durchaus ambivalente Dimension der Vernetzung und des Vernetztseins hinzugefügt.

Ein Bereich, der in Zeiten der Corona-Krise eine besondere Rolle spielt, ist unzweifelhaft der Bildungsbereich. Die Schulschließungen zum Stopp der täglichen Kinderkarawanen waren wohl längstens drei Tage lustig für die Betroffenen, weil sie sich da vielleicht noch wie Corona-Ferien anfühlten. Sehr schnell wurde aber allen Zwangsbeteiligten klar: Das ist eine der härtesten Prüfungen, zu denen wir je antreten mussten – Kinder, Eltern und Lehrer.

Die Schule ist Tür- und Weltenöffner.
Foto: imago/Karlheinz Egginger

Plötzlich sind alle in modernen Gesellschaften aus guten Gründen differenzierten Rollen durcheinandergepurzelt. Eltern als überforderte Amateurlehrer, Lehrer als digitale Lernanimateure und die Kinder zwischendrin, mehr oder weniger eingesperrt. Für sie findet die ganze Veranstaltung namens Schule ja statt, bewusst an einem anderen Ort als der Familie und mit anderen Menschen, die professionell bestimmte Dinge lehren. Das jetzige Ineinanderfallen von Lebenssphären ist eine enorme Lernherausforderung und wird den Wert von Schule, Kindergarten und ausgebildeten Pädagogen dankbar steigern.

Notmatura

Bleibt das "eigentliche" Lernen in der Schule. Zwar ist das meiste Augenmerk auf die Maturaklassen gerichtet, sie sind aber ein relativ leicht lösbares Problem. Von einer Billigsdorfer-Notmatura kann da, selbst wenn das Zeugnis "nur" aus den erbrachten Vorleistungen errechnet werden sollte, nicht die Rede sein. Wer glaubt, Sein oder Nichtsein bei – und mehr noch nach – der Matura entscheidet sich in den paar Wochen vor dem eigentlichen Prüfungstermin, hat die Idee einer höheren Schule missverstanden. In der Zeit sind die Maturanten längst in der Zielgerade. Es soll daher niemand von "Krisengewinnlern" sprechen, sollte es jetzt einmalig eine Krisen-Maturaversion geben. Lernen ist ein komplexer Vorgang, der nie ohne die sozialen Umstände gedacht werden darf – und auf die man Rücksicht nehmen muss.

Das gilt besonders für die jüngeren Kinder. Für sie ist der buchstäbliche Schulverlust ein echtes Problem, vor allem für jene aus sozial prekären Verhältnissen. Ihnen muss schnellstens in der Krise geholfen werden – damit danach keine echte Lebenskrise daraus wird. Sie brauchen "ambulante" Schule, aufsuchende Sozialarbeit, Begleitung – auf Distanz und doch nah.

Jedenfalls zeigt sich jetzt, wie wichtig die Schule als Ort für Lernen – intellektuelles und soziales – ist. Ihre Funktion als Tür- und Weltenöffner: Die fehlt im Moment am meisten. Diese Tür zur Welt wird auch noch länger verschlossen bleiben.

Die "neue" Welt werden wir als andere mit anderen Kompetenzen der Weltaneignung betreten. Letztlich sind wir alle Teil des Maturajahrgangs 2020. Denn die Corona-Krise ist eine Reifeprüfung für die gesamte Gesellschaft. (Lisa Nimmervoll, 31.3.2020)