Sebastian Kurz hat eine seltsame Antwort auf die Frage der ORF-Interviewer zur Umwandlung unseres Nachbarn Ungarn in eine Diktatur gegeben. Er habe "keine Zeit", sich mit Viktor Orbáns Ermächtigungsgesetz, einem Verfassungsputsch, auseinanderzusetzen. Das mag (auch) realpolitische Gründe haben, ist aber unsensibel. Seltsam war, dass der Kanzler dann gleich darauf ausführlich versicherte, in Österreich seien keine undemokratischen Verhältnisse geplant.

Eine ganze Reihe von demokratischen Ländern benutzt die Coronavirus-Krise, um den Weg zum autoritären Staat zu gehen oder, wie Ungarn, zu vollenden. Wir reden hier nicht von Staaten wie Russland oder den Philippinen, die schon vorher autoritär waren. Aber innerhalb der EU ist Ungarn bereits verloren, Polen ist auf dem Weg dorthin. In Israel findet ebenfalls ein schleichender Verfassungsputsch unter dem Vorwand Corona statt. Premier Benjamin Netanjahu hat die Gerichte schließen lassen, um seine Verurteilung wegen Korruption zu verhindern, der Parlamentspräsident, ein Parteifreund, trat zurück und schloss die Knesset. Netanjahu selbst verfügt per Notdekret ein Handy-Überwachungsprogramm, das für Terrorabwehr gedacht war. In Brasilien verbindet der gewählte rechtsradikale Präsident Jair Bolsonaro dumme Scherze über Corona mit noch autoritäreren Maßnahmen.

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Ungarns rechtsnationaler Premier Viktor Orbán.
Foto: AP/Zoltan Mathe

In den USA wird bereits diskutiert, ob "Trump die Wahl stehlen" kann (so ein Politologieprofessor im Magazin "The Atlantic"). "Im Scherz" hat Donald Trump schon mehrfach gesagt, er würde gern auch noch nach einer zweiten Amtszeit bleiben, und seine Bewunderung für autoritäre Führer ist bekannt. Die Wahl im November wegen Corona verschieben kann er verfassungsmäßig nicht. Aber in vielen Bundesstaaten ist eine Briefwahl nicht möglich, und das würde ihn nach Kalkulationen einiger Politologen begünstigen.

Gefestigte Demokratien wie Österreich oder auch Großbritannien haben Notstandsgesetze beschlossen, mit denen eine weitgehende Ausgangssperre, die Verhängung von Quarantäne, von Ausgangsbeschränkungen für bestimmte Personenkreise und das Verbot öffentlicher Versammlungen möglich werden. Das ist zwar noch innerhalb der Legalität, erfordert aber Wachsamkeit und genaues Monitoring durch die Opposition, Medien und engagierte Bürger. Die Handy-Überwachung, die sich Kurz in dem erwähnten ORF-Interview notfalls auch verpflichtend vorstellen könnte, ist nach Meinung des Datenschützers Max Schrems legitim – "mit Maß und Ziel".

Das ist wohl der Schlüsselbegriff – "Maß und Ziel". Österreich ist trotz autoritärer Neigung in der Bevölkerung und mancher Parteien eine gefestigte Demokratie. Aber man muss trotzdem genau überlegen, was man sich wünscht: Kurz lobt die "asiatischen Staaten", die mit Disziplin und Überwachung das Virus vorläufig eingefangen haben, aber Südkorea hat die Handys überwacht, und Singapur zwingt die Infizierten, eine Überwachungsapp herunterzuladen, und postet genaue Infos über Corona-Patienten offen im Netz. (Hans Rauscher, 31.3.2020)