Schwierige Zeiten für Russlands Präsidenten Wladimir Putin.

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Mit großer Geste hat Russland nach Italien auch den USA humanitäre Hilfe geschickt. "Ein Flugzeug der russischen Luftwaffe ist mit Atemmasken und medizinischer Ausrüstung an Bord in die USA geflogen", teilte das Verteidigungsministerium am Mittwoch mit. Dabei nimmt die später als im übrigen Europa aufgetauchte Corona-Epidemie auch in Russland Fahrt auf. Die Zahl der Infizierten stieg offiziellen Angaben nach um 440 auf 2.777, die der Toten auf 24 (plus sieben).

Auch in Russland droht damit medizinisches Gerät in Kürze zur Mangelware zu werden. Trotzdem könnte sich das Signal des guten Willens für Moskau lohnen: US-Präsident Donald Trump bedankte sich für das Angebot, zugleich vereinbarte er mit seinem russischem Amtskollegen Wladimir Putin Gespräche über Maßnahmen zur Stabilisierung des Ölmarkts. Für Trump geht es um die Rettung der amerikanischen Ölindustrie, für Putin potenziell um die Rettung der eigenen Wirtschaft.

Talfahrt auf Märkten

Denn der Bruch des Opec+-Deals und das anschließend von Saudi-Arabien in Gang gesetzte Wettpumpen haben eine Talfahrt an den Rohstoffmärkten ausgelöst, die in Moskau niemand erwartet hatte. Die schlimmsten Albträume der russischen Führung sind wahr geworden: Das Land ist wieder in den 90er-Jahren angekommen – zumindest bezüglich des Ölpreises.

Das für Russland wichtigste Exportgut hat einen neuen Tiefpunkt erreicht. Öl der russischen Marke Urals für Westeuropa wurde am Dienstag an den Börsen um 13 Dollar pro Barrel gehandelt. Das ist der tiefste Preis seit März 1999. Zudem ist der Abschlag, den Händler gegenüber Öl der ebenfalls gebeutelten Marke Brent verlangen, auf 4,75 Dollar gestiegen. So viel Rabatt mussten die Russen zuletzt vor zwölf Jahren für ihren Rohstoff geben.

Die Folgen für die russische Wirtschaft und den Haushalt sind verheerend: Als die Staatsduma im Herbst den Etat verabschiedete, gingen die Abgeordneten von einem Ölpreis von 57 Dollar und einem Haushaltsüberschuss aus. Mit 42,40 Dollar wäre das Budget immer noch ausgeglichen gewesen. So aber wird der Etat tiefdefizitär. Mit jedem Dollar, den es heruntergeht, vergrößert sich das Haushaltsloch.

Defizit erwartet

Inzwischen gehen das Institut für Volkswirtschaft (IfV) an der Akademie der Wissenschaften und das Institut für Wirtschaftswachstum in einer gemeinsamen Berechnung davon aus, dass das Defizit bei 1,8 Prozent des BIP liegt. Das entspricht rund 25 Milliarden Dollar. Dabei nehmen die Volkswirte allerdings noch einen Durchschnittspreis von 35 Dollar pro Barrel als Grundlage. "Es ist zu beachten, dass die Berechnung auf einem Nullwachstum des BIP beruhte. Wenn sich die Lage verschlechtert, wird das Defizit noch größer", räumte der Vizedirektor des IfV, Alexander Schirow, ein.

Im Gegensatz zu vielen anderen erdölexportierenden Staaten hat Russland in seinem "Wohlstandsfonds" gut 100 Milliarden Dollar Reserven angehäuft. Doch je niedriger der Ölpreis, desto schneller ist das Sicherheitspolster aufgebraucht.

Für die Wirtschaft ist die Lage ebenfalls fatal. Praktisch alle Analysten werfen ihre Wachstumsprognosen gerade über den Haufen. Eine Rezession scheint unausweichlich, die Frage ist eher, wie tief der Fall wird. Derzeit schwanken die Prognosen zwischen 2,5 und drei Prozent Verlust. Wobei neben dem Ölpreisverfall auch die Quarantänemaßnahmen der russischen Regierung wirken – Präsident Putin hat gerade die anstehende Woche für arbeitsfrei erklärt und so den Unmut der Unternehmer, die trotzdem weiter die Löhne zahlen sollen, auf sich gezogen.

Währung unter Druck

Wichtig für Russland wird sein, ob der Sturz an den Rohstoffbörsen lang- oder kurzfristig ist. Die russische Erdölbranche könne dank der flexiblen Besteuerung (65 Prozent des Ölpreises gehen in den russischen Haushalt und nicht in die Gewinne der Konzerne ein) einen Preis von 25 Dollar pro Barrel ein halbes oder ganzes Jahr durchstehen, meinte Vizeenergieminister Pawel Sorokin selbstbewusst. Doch wenn der Ölpreis länger auf dem Tief verharre – zwei bis drei Jahre nannte Sorokin – werde der Sektor große Probleme bekommen, räumte er ein. Bei derzeit 13 Dollar dürfte die Schmerzgrenze deutlich früher erreicht werden.

Unter Druck geraten ist bereits die russische Landeswährung. Der Rubel testete schon am Montag neue Tiefstände aus: Der Dollar kostete da teilweise mehr als 80 Rubel, der Euro mehr als 89 Rubel, ehe sich die Kurse am Dienstag wieder etwas erholten. Doch Analysten schließen nicht aus, dass der Dollar bald 100 Rubel kostet. Dabei hat die russische Währung bereits jetzt im Vergleich zum Jahresanfang gegenüber den Leitwährungen mehr als ein Viertel ihres Werts verloren. (André Ballin aus Moskau, 1.4.2020)