Pearl Jam zeigen sich auf ihrem Album "Gigaton" in Bestform. Bloß am Ende wird’s ein wenig beliebig.

Foto: Universal Music

Zuerst ein wenig Weisheit aus dem Hip-Hop. Da erkannten die New Yorker A Tribe Called Quest vor gut 30 Jahren den Zusammenhang von Jazz und Rap und reimten dazu "My simple daddy don’t you know that things go in circles". Alles dreht sich im Kreis, kehrt irgendwann wieder. So ist es auch mit Pearl Jam – und doch anders.

Die US-Band aus Seattle gilt als letzter Dinosaurier der Grunge-Ära, doch anachronistischerweise klingt sie heute frischer als zu Beginn. Denn während Grunge eine Mischung aus Hard- und Garagenrock war, innerhalb derer die Räude aus der Garage die Frische besorgte, wirkten Pearl Jam vergleichsweise klobig. Ihre Musik stand in Erbfolge des harten Rock des Jahrzehnts davor, war mehr Foreigner oder Aerosmith – also das, was man damals bereits Dinosaurier-Rock in zweiter Generation nannte. Nur trugen sie halt zerrissene Jeanshosen und anderen Insignien jenes Stils, den Nirvana damals in den Mainstream überführten.

Grauhaarige Superstars

Heute gelten Pearl Jam als letzte Überlebende jener Ära. Das stimmt zwar nicht, Mudhoney oder die Szene-Trabanten Melvins sind ebenfalls noch aktiv, doch nur Pearl Jam wurde in den 1990ern zu einer der größten US-Rockbands des Planeten. Und sind es geblieben.

Nach fast sieben Jahren Pause veröffentlichte die Band nun ein neues Werk. Gigaton heißt es und klingt nicht so grauhaarig, wie ihre Schöpfer mittlerweile sind. Im Gegenteil.

Sehr oft führte ja die Unbehaglichkeit des Rockstartums bei Sänger Eddie Vedder zu mäandernden und über Gebühr Beschwerde führenden Machwerken von Songs. Das Publikum liebte sie dennoch heiß, die Prägung des 1970er- und 1980er-Jahre Stadionrock schlug da voll durch und zu Buche. Pearl Jam wurden als konsenstaugliche Grunger Superstars, da konnte Eddie Vedder darunter noch so publikumswirksam leiden. Selbst wenn er wackere Gefechte mit gierigen Musikverwertern und Veranstaltern austrug.

Kein Pathos

Gigaton wurde mit einer gewissen Skepsis erwartet. Schließlich hieß es, die Band würde darauf die dringlichen Themen der Zeit behandeln. Den Klimawandel, den Trump ... – doch anstatt sich diesen Sujets mit biblischem Pathos oder Bombast zu ergeben, ist ihr elftes Studioalbum erstaunlich kurzweilig ausgefallen.

PearljamVEVO

Die ersten vier Songs des fast eine Stunde lang dauernden Gigaton knallen und zeigen die Mittfünfziger in Spiellaune: dicker Hals statt Moralpredigt. Und fast schon funky: Die Single Dance Of The Clairvoyants würde auf keinem Album von The Rapture negativ auffallen, im sehr guten Quick Escape und einigen anderen Rumplern klingt Vedders Deklamation sogar ein wenig nach einem heißeren Jello Biafra, dem US-Punk-Heiligen von den Dead Kennedys.

Der Boss als Erscheinung

Nach dem Eröffnungsvierer warmgespielt, schaltet die Gruppe zwei Gänge zurück. Eine Ballade später hebt sie aber erneut an und verfällt in den satten Midtempo-Song Seven O’Clock. Der klingt, als sei Bruce Springsteen der Band kollektiv im Traum erschienen. Auch das ist ein Indiz für den immer irgendwie präsenten 1980er-Jahre-Stadionrock.

Never Destination ist dann wieder dreckiger: Feiste Snare Drum, und Vedder speit seinen Text mehr, als er ihn singt. Buckle Up schunkelt gepflegt, wie für einen Cross-Country-Trip geschrieben, dann biegen Pearl Jam doch ein wenig ermattet ins Finale ein.

PearljamVEVO

Die letzten drei Songs sind durchzogen vom Blues-Gefühl, das oft und gerne im Halbakustischen seinen Ausdruck finden. Dabei ist Vedder leider zu wenig pointiert, zu textüberschüssig. Anders gesagt: Das muss man mögen, Vedders Stärke sind diese Songs nicht, wenngleich die Fans darin seine Sensibilität erkennen wollen, soll sein.

Dennoch: Hätten Pearl Jam auf einen oder zwei dieser wie Anhängsel wirkenden Lieder verzichtet, das Album würde fast restlos überzeugen. So zerfällt es am Ende ein wenig, franst aus. Kein Drama, aber doch schade. (Karl Fluch, 1.4.2020)