Der deutsche Klimaforscher Stefan Rahmstorf ist nicht nur für seine wissenschaftlichen Arbeiten, sondern auch für seine kritische Auseinandersetzung mit der untätigen Politik und Verschwörungstheoretikern bekannt, die den Klimawandel kleinreden oder sogar leugnen. Zuletzt hat er sich auch vermehrt zur Corona-Krise geäußert, denn auch hier gibt es Skeptiker.

Klimaforscher verlangen Gesellschaftsvertrag: Unpopuläre Maßnahmen wie CO2-Steuer hinnehmen, um der heute protestierenden Jugend (im Bild: Greta Thunberg) eine bessere Zukunft zu sichern.
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STANDARD: "Der Mensch zieht sich zurück, Natur und Umwelt haben eine Verschnaufpause, weil der Kohlendioxidausstoß sinkt." Sätze wie diese sind derzeit bezüglich Klimawandel und Corona-Krise zu lesen. Was sagen Sie dazu?

Stefan Rahmstorf: Sich darüber zu freuen wäre zynisch, denn man möchte nicht mit zigtausenden Toten etwas für den Klimaschutz tun. Es ist aber auch inhaltlich falsch, weil eine kurzfristige vorübergehende Emissionsminderung uns ja nicht weiterhilft. Wir müssen den Übergang zu einer nachhaltigen Energieversorgung schaffen, soll heißen: den Umstieg von fossilen Energieträgern zu klimafreundlichen Energiesystemen. Von dieser großen Aufgabe im Kampf gegen den Klimawandel lenkt die Corona-Krise eigentlich ab. Es gibt ja schon Stimmen in der Politik, die sagen: Den Klimaschutz stellen wir jetzt hintan, wir haben jetzt drängendere Probleme. Das ist gefährlich. Natürlich haben wir jetzt eine unmittelbare Bedrohung vor Augen, das heißt aber nicht, dass die Klimakrise zweitrangig zu behandeln ist.

STANDARD: Würden Sie sagen, dass sich der Umgang mit beiden Krisen in der Öffentlichkeit ähnelt?

Rahmstorf: Ja. Es gibt klare Warnungen der wissenschaftlichen Experten, und dann gehen wenig seriöse Skeptiker an die Öffentlichkeit, die die Bedrohung durch das Coronavirus anzweifeln. Deren Argumente kommen mir sehr bekannt vor, und es sind teilweise die gleichen Personen, die auch die Gefahr durch den Klimawandel anzweifeln. Dahinter steckt eine bestimmte Geisteshaltung und politische Einstellung. Zum Beispiel gab es in Großbritannien eine große Überschneidung der Aktivisten für den Brexit und jener gegen den Klimaschutz.

STANDARD: Kann man den medialen Umgang mit den beiden Krisen auch vergleichen?

Rahmstorf: Medien verkürzen aber Inhalte, die wir Wissenschafter deutlich differenzierter darstellen, und haben das große Ziel der Auflagenoptimierung im Sinn. Das ist einfach so. Der Berliner Virologe Christian Drosten hat damit in den letzten Wochen seine Erfahrungen gemacht und das sehr deutlich kritisiert. Ich habe auch Interviews erlebt, wo mir Dinge in den Mund gelegt wurden, die ich so nie gesagt habe. Ich wurde einmal gefragt, ob uns ein Zusammenbruch der Atlantikzirkulation bevorsteht. Ich habe geantwortet: "Sicher nicht." Und danach habe ich die tatsächlichen Risiken erläutert. Am Ende wurde das "Sicher nicht" rausgestrichen. Wahrscheinlich, weil es zu wenig dramatisch klang. Manche Medien neigen auch dazu, Klimaskeptiker-Thesen ungeprüft weiterzuverbreiten. Wenn man dann als Wissenschafter diese Vorgehensweise kritisiert, bekommt man schnell zu hören, man sei gegen die Pressefreiheit. Dabei geht es nur um Sorgfalt und um den in Journalismus und Forschung gleichermaßen nötigen Faktencheck.

Klimaforscher Stefan Rahmstorf
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STANDARD: Die Wissenschaft leidet zumindest in Mitteleuropa an einem Glaubwürdigkeitsproblem. Fakten werden nicht so gern angenommen wie als Tatsachen verkaufte Meinungen, die ins Weltbild passen. Ist der Kampf gegen das Coronavirus eine Chance, der Wissenschaft einen besseren Status in der Gesellschaft zu geben?

Rahmstorf: Ich denke, dass die Menschen merken, wie viel Hoffnung sie in die Wissenschaft setzen. Man hofft ja nicht nur, dass die Abflachung der exponentiellen Steigerung gelingt, man hofft ja auch auf einen Wirkstoff und eine Impfung gegen das Virus. Daraus sollte doch eine gewisse Wertschätzung für die Wissenschaft resultieren. Wissenschaft ist aber kein Wunschkonzert, wo man sich Ergebnisse wünschen kann. Dinge, die man gerne hat, will man sofort haben, zum Beispiel ein Mittel gegen das Coronavirus. Unbequeme Erkenntnisse, wie die Fakten über den anthropogenen Klimawandel, sollte man nicht einfach ablehnen, nur weil sie einem nicht gefallen.

STANDARD: Es gibt aber nicht nur Menschen, die den anthropogenen Klimawandel leugnen, sondern auch solche, die den ihn als Einbahnstraße sehen, aus der es kein Entrinnen gibt. Sehen Sie einen Grund für diesen Defätismus?

Rahmstorf: Wir haben das Pariser Abkommen, dessen Ziele sind vernünftig, und zumindest das schwächere Ziel, die Erwärmung deutlich unter zwei Grad zu halten, ist auch erreichbar. Das ambitionierte Ziel, die Erwärmung unter 1,5 Grad zu halten, dafür braucht man deutlich einschneidendere Maßnahmen und auch eine gute Portion Glück. Dieses Ziel rutscht uns gerade durch die Finger, das kann man kaum noch schaffen. So weit zu den Fakten. Was Ihre konkrete Frage angeht: Die Stimmung bei den Laien kippt von "Ja, es gibt Klimawandel, aber es ist nicht so schlimm" zu "Es ist alles zu spät, wir können sowieso nichts mehr tun, wir sind verloren". Das sind beides nur Ausreden, um nichts zu tun. Es geht jetzt darum, den Anstieg der Treibhausgase in der Atmosphäre rasch zu stoppen: "Flatten the curve" gilt hier so wie für Covid-19. Dazu braucht es entschlossene Politik.

STANDARD: Sollte es eine Art Gesellschaftsvertrag geben, in dem Maßnahmen gegen beide Krisen gleichermaßen umgesetzt werden?

Rahmstorf: Die Idee hat Hans Joachim Schellnhuber, bis 2018 Direktor unseres Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung, aufgebracht, und sie macht Sinn. Es geht nicht um einen schriftlichen Vertrag, sondern um eine virtuelle Übereinkunft. Ältere Generationen müssten für die jüngere Generation, die zu Recht für den Klimaschutz auf die Straße geht, auf Dinge verzichten, sich umstellen. So wie es die Jüngeren derzeit in der Corona-Krise für die Älteren tun sollten. Keine Partys machen, nicht in Gruppen im Park sonnen.

STANDARD: Wären das dann auch so restriktive Maßnahmen wie in der gegenwärtigen Situation?

Rahmstorf: Nein, auf gar keinen Fall, aber sie wären nicht bei allen populär. Ich nenne den dringend nötigen Kohleausstieg oder eine CO2-Bepreisung als Beispiel. Für Letzteres gibt es ja einen Vorschlag von unserem Institut, der auf dem Tisch liegt. Ein CO2-Preis entspricht einfach dem Verursacherprinzip: Wer Treibhausgase verursacht, sollte für die Folgen zahlen. Auf einen Zusammenhang zwischen Klima- und Corona-Krise möchte ich noch hinweisen: In Deutschland gibt es derzeit eine Debatte über die großen Geldsummen, die die Bundesregierung jetzt in die Wirtschaftsförderung steckt. Das wirtschaftliche Erholungsprogramm nach der Corona-Krise sollte sich dabei am europäischen Green Deal orientieren und nicht die überholten fossilen Energiestrukturen künstlich am Leben erhalten. Die Diskussion hatten wir schon 2008 im Zuge der Finanzkrise. Damals ohne Erfolg. Der Staat hatte ja mit einer "Abwrackprämie" für Autobesitzer, die sich ein neues Fahrzeug kaufen wollten, reagiert. Das war umweltpolitisch kontraproduktiv. (Peter Illetschko, 3.4.2020)