Peter Habeler schaut durch ein Fenster seines Hauses in Tux im Zillertal und sieht die erst vor wenigen Tagen wieder angebrachten Gebetsfahnen im Wind flattern. Draußen sei es wunderschön, die Natur baue ihn auf, doch leider ist auch das Leben des 77-jährigen Tirolers seit Tagen stark eingeschränkt. "Es ist eine zache Partie, wir sind ein bisserl eingesperrt, aber es wird schon wieder werden, ich bin guten Mutes", sagt der frühere Extrembergsteiger, der 1978 mit Reinhold Messner den Everest erstmals ohne Zuhilfenahme von Flaschensauerstoff bestiegen hatte. "Wenn ich nicht positiv und mit Freude gedacht hätte, hätte ich nicht auf den Everest oder den Nanga Parbat steigen dürfen. In der Eiger-Nordwand haben wir uns auch fast in die Hose geschissen, aber wir haben's dann trotzdem gemacht", sagt er.
Nicht damisch werden
Für Habeler ist es nur schwer vorstellbar, dass das Virus in der Nachbarschaft wütet. Die Zustände in Italien und Spanien seien natürlich verheerend. Im Nachhinein sei es leicht festzustellen, was getan hätte werden müssen. Habeler denkt oft an seine Freunde in Südtirol. "Sie hocken jetzt in ihren Häusern." Er macht sich Gedanken, verfolgt aber nicht alle Corona-Sendungen im Fernsehen, "damit ich nicht damisch werde." Die Arbeit der Verantwortlichen in der Regierung imponiert ihm. "Sie sind schon dahinter." Dass er zur Risikogruppe zählt, bereitet ihm kein Kopfzerbrechen. Sorgen macht er sich aber um seine 42-jährige Lebenspartnerin, die als Ärztin eine Praxis leitet.
Überlaufene Hotspots
Abgesehen von den in ihren Gärten werkenden Nachbarn sieht Habeler kaum jemanden. Der Natur sei das nur recht. "Es ist ruhig, keine Flugzeuge sind am Himmel, man wird selbst ruhig" sagt Habeler. Er kann auch von konträren Zuständen berichten. Kurz vor der Misere war er einmal mit dem Auto talauswärts unterwegs: "Eine Autoschlange von Tux bis Mayrhofen. Das darf man aber nicht sagen, weil dann ist man gleich wieder ein Nestbeschmutzer." Der Tiroler befürchtet, dass viele nach der Krise, genau so weitermachen, wie bisher. "Aber wir brauchen nicht mehr Betten im Zillertal, wir brauchen auch nicht noch mehr Lifte, weil sie noch mehr Leute anziehen. Es gibt in unseren österreichweit wunderschönen Bergen Hotspots, die einfach zu überlaufen sind." Der staatlich geprüfte Skilehrer und frühere Skischulbesitzer prangert an, dass mit jedem Seilbahnbau unberührtes Gelände in den durchaus "toll ausgebauten Skigebieten abgeknabbert" wird. Man könne Hotels verbessern, die Wertschöpfung steigern, aber bitte nicht noch mehr Menschen in die Täler hineinkarren. Habeler hofft, dass die Krise manche Menschen zum Umdenken bewegt. "Wir können ja keine goldenen Äpfel essen."
Drastische Folgen
Der Imageschaden werde sich in Tirol zumindest eine Saison auswirken, vielleicht auch mehrere, schätzt er und bedauert, dass es auch sehr viele Betriebe "erwischen" wird. "Nach der Krankheit kommt der Überhammer: Dann geht's ans Eingemachte. Aber das Leben und die Gesundheit sind wichtiger."
Um fit zu bleiben, frönt Habeler normalerweise dem Tourengehen. Bewegung im Freien sei für ihn ein Lebenselixier. "Mir geht es Gott sei Dank hervorragend. Ich bin im Winter, jeden Tag, wenn ich daheim bin, auf Skitour." Aktuell dürfe man in Tirol aber höchstens spazieren gehen. Sehr zum Leidwesen von Habeler, der direkt an einer nun verwaisten Piste wohnt und sich gerne fordert. "Ich brauche ein bisserl Pfeffer", sagt er.
Vorbildwirkung
Unter den gegebenen Umständen findet er Zeit zum Räumen, um sich selbst zu entrümpeln, wie er sagt, und um seine Bergsteigersachen auf Vordermann zu bringen. Er genieße, dass er jetzt viel Zeit für sich hat, nicht immer schauen muss, welche Mails gekommen sind. "Ich bin manchmal auch gerne faul, fühle mich deshalb aber nicht schuldig. Auch wenn ich wie alle anderen im Hamsterrad treten muss, gehe ich hinaus, rauf auf den Berg. Die Natur beruhigt mich, da fühle ich mich wohl." Der Hometrainer reizt ihn überhaupt nicht, viel mehr als ein paar Klimmzüge mache er im Haus nicht. Er gebe noch Gas, solange es irgendwie geht und sieht sich als Figur mit Vorbildwirkung. Ähnlich alte Leute sollen sich ein Beispiel nehmen. "Für viele ist das Leben aus, wenn sie in Pension gehen. Aber dann geht's erst los, dann hast du Zeit."
Also geht der 77-Jährige oft klettern. Schwierigkeitsgrad? "Einen Siebener gehe ich gerade noch, aber dann steht's an. Beim Achter daheb' ich mich einfach nicht mehr rein." Endstation muss damit aber nicht sein: "Dann mache ich, was heute ganz verpönt ist, ich greife in die Haken." Geht es ganz blöd her, nimmt er das Leiterl raus. "Man möge mir verzeihen, aber es macht mir noch unbändige Freude zu klettern." Zudem sei es gut für die Körperspannung. "Meine Lebenspartnerin klettert wie eine Teufelin, darum muss ich schauen, dass ich noch ein Zeiterl zurechtkomme."
In Comicis Tritten
Wegen der Pandemie nicht so schnell ins Fernsehen kommen wird eine mit Servus-TV geplante Sendung über eine Begehung einer schweren Route am Alam-Kuh im Iran, wo Habeler seinerzeit ein halbes Jahr als Bergführer gearbeitet hat. Abgeschlossen werden soll hingegen die Dokumentation über Leonardo Emilio Comici (1901 – 1940). Habeler ist vergangenes Jahr die schweren Touren der "leider sehr früh abgestürzten italienischen Lichtgestalt" nachgeklettert. So etwa die nach Comici und den Brüdern Angelo und Giuseppe Dimai benannte Route (Schwierigkeit 6/A0 bzw. 7 beim freien Klettern) in der Nordwand der Großen Zinne. "Ich moderiere die Sendung, muss auch noch schwer klettern, aber das mache ich gerne. Heuer werde ich 78, das ist auch kein Lercherl." (Thomas Hirner, 3.4.2020)