Vorsorgliche Straßendesinfektion in der griechischen Hauptstadt Athen.

Foto: Imago/Tatiana Bolari

Wien/Rom – Aus Berichten über die Coronavirus-Epidemie in anderen Ländern sind Bilder von Menschen in Schutzanzügen bekannt, die den öffentlichen Raum desinfizieren. Etwa aus der Südtiroler Stadt Bozen, wo Trupps der Stadtverwaltung nachts Straßen und Plätze säubern und dazu eine verdünnte Wasserstoffperoxidlösung einsetzen – oder auch aus Frankreich. In den ehemaligen Epidemiehotspots in China wurde draußen ebenfalls desinfiziert.

Warum säubert man die Straße auf diese Art nicht auch in Österreich, zum Beispiel in den derzeit zwar nur mäßig, aber doch frequentierten größeren Städten oder Gemeinden? Im Gesundheitsministerium gibt es auf diese Frage eine klare Antwort: "Weil wir das nicht für notwendig halten. Hier folgen wir der Einschätzung unseres wissenschaftlichen Beraterstabs", sagt Oliver Gumhold, stellvertretender Leiter der Abteilung Kommunikation und Service.

Keine Belege für Nutzen

Miranda Suchomel vom Institut für Hygiene und Angewandte Immunologie der Med-Uni Wien ist Expertin auf dem Gebiet der Desinfektion. Derartige Aktionen im öffentlichen Raum hätten im Kampf gegen die Covid-19-Verbreitung wenig Sinn, sagt sie – denn es gebe keine Belege, dass sich etwa auf Gehsteigen Coronaviren in gefährlicher Konzentration befinden.

Das habe mit dem Verbreitungsweg des Erregers zu tun: "Die Ansteckung erfolgt durch enge Kontakte von Mensch zu Mensch, durch Husten, Niesen und Sprechen. So gelangt das Virus durch den Mund oder über die Augen auf die Schleimhäute des Gegenübers", erläutert die Hygienikerin.

Virus verteilt sich rasch in der Luft

Auch Schmierinfektionen sind möglich, etwa wenn eine infizierte Person in ihre Hand hustet und diese anschließend einem Zweiten gibt, etwa zur Begrüßung. Abstand halten und häufig mit Seife mindestens 20 Sekunden lang die Hände waschen unterbricht diese Übertragungswege, wie derzeit breit kommuniziert wird.

Hustet, niest oder spricht eine angesteckte Person hingegen auf offener Straße in die Luft, so fällt nur ein Teil der ausgestoßenen Viruslast zu Boden, der Rest verteilt sich rasch und wird dadurch stark verdünnt. Um sich damit zu infizieren, "müsste sich jemand auf den Gehsteig legen und so versuchen, direkten Kontakt mit den eigenen Schleimhäuten herzustellen", sagt Suchomel.

Corona auf Flächen infektiös?

Auch sei unklar, wie infektiös auf den Boden oder andere Flächen gefallene oder geschmierte Coronaviren tatsächlich sind. Zwar wurde in einer vieldiskutierten, im renommierten New England Journal of Medicine veröffentlichten Untersuchung festgestellt, dass der Erreger bis zu einem Tag auf Karton, bis zu zwei Tage auf rostfreiem Stahl und bis zu drei Tage auf Plastik überlebt. "Doch erhoben, ob er dann auch noch ausreichend infektiös ist, wurde nicht."

Suchomel weist außerdem auf die derzeitige weltweite Knappheit an Desinfektionsmitteln hin. Derlei Substanzen würden dringend in den Spitälern sowie in der Lebensmittelproduktion benötigt. Um Ressourcen zu sparen, sollten daher unnötige Desinfektionsmaßnahmen tunlichst vermieden werden.

Psychologische Gründe

Denn auch wenn sie aus fachlichen Gründen gegen das großflächige Desinfizieren ist, ganz ausschließen will sie nicht, dass sich die Politik in Österreich doch irgendwann dazu entschließt. Sollten die Fallzahlen und damit die Angst steigen, könne eine solche Maßnahme aus psychologischen Gründen gesetzt werden.

Auf diesen Faktor weisen auch Kritiker der Straßendesinfektion in Italien hin. Bürgermeistern, die derlei in ihrer Gemeinde anordnen, werfen sie überdies Populismus vor. Diese spielten sich als Retter vor der unsichtbaren Gefahr auf, wüssten aber selbst genau, dass die Maßnahme nichts bringe.

Uneinheitliche Praxis in Italien

In Italien wurde die Desinfektion des öffentlichen Raums schon vor fünf Wochen diskutiert, als dort die Corona-Epidemie ausbrach. Zu einem eindeutigen Resultat kam man nicht – jede der 8000 Gemeinden im Land macht, was sie gerade für richtig hält. In Rom und Neapel wird gelegentlich punktuell desinfiziert, in den von der Epidemie ungleich stärker betroffenen Städten Mailand und Bologna hält man nichts davon.

Eine Richtlinie oder Weisung der Regierung in Rom existiert nicht. Der nationale Sanitätsrat hat lediglich festgestellt, dass die Reinigung und Desinfektion der Straßen und Gehsteige bei der Bekämpfung des Coronavirus nichts bringe, weil sich der Erreger nicht über die Schuhe, sondern über die Luft ausbreite. Den Lokalbehörden, die auf eine Desinfektion nicht verzichten möchten, empfahl die Zentralbehörde, kein Wasserstoffperoxid zu verwenden, da dieses in hoher Konzentration schädliche Wirkungen entfalten könne.

Gründliches Bozen

Ein einheitliches Vorgehen gibt es nicht: Einzelne Kommunen, wie etwa Bozen, desinfizieren mehr oder weniger alle Straßen und Plätze, andere beschränken sich auf Orte, wo trotz der Ausgangssperre noch ab und zu Menschen in größerer Anzahl auftauchen: auf die Gehsteige vor Apotheken und Lebensmittelläden sowie vor Banken und Postämtern.(Irene Brickner, Dominik Straub aus Rom, 2.4.2020)