Wenn Italiens Straßen und Gassen wegen der strengen Ausgangsbeschränkungen leer sind, bekommt das auch die Straßenprostitution massiv zu spüren.

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Man kann wegen des Coronavirus sterben, ohne eine Lungenentzündung zu haben: nämlich an Hunger", erklärt Gloria. Die junge Nigerianerin kam vor drei Jahren nach Italien – und landete bald in der Provinz Padua auf dem Straßenstrich. Jetzt sitzt sie zusammen mit drei anderen ausländischen Prostituierten am Tisch einer Suppenküche der Caritas. Seit der Einführung der strikten Kontaktsperre in Norditalien am 8. März ist ihr Einkommen auf null gesunken.

"Wir haben Hunger, wir können unsere Miete nicht bezahlen, viele von uns sind bereits obdachlos und schlafen in Pappkartons", berichtete Gloria in diesen Tagen der Zeitung LaRepubblica. Sie und ihre Berufskolleginnen werden von der Corona-Epidemie gleich auf dreifache Weise getroffen: Vor der Verhängung der Quarantäne-Maßnahmen trugen sie ein hohes Ansteckungsrisiko; dann verloren sie ihr gesamtes Einkommen; und nun haben sie als "clandestini" – als "Illegale" – kein Anrecht auf staatliche Hilfe.

In den Fängen der Mafia

Laut amtlichen Schätzungen, die wohl deutlich zu niedrig liegen, arbeiten in Italien 120.000 Frauen als Prostituierte. 55 Prozent von ihnen sind Ausländerinnen und halten sich ohne gültige Papiere im Land auf. Die meisten befinden sich in den Fängen der Mafia oder anderer Ausbeuter. Der Jahresumsatz der illegalen Prostitution wird auf rund vier Milliarden Euro geschätzt.

Aus Angst vor einer drohenden Ausweisung oder aus Scham trauen sich die meisten Frauen nicht, sich bei den Behörden zu melden, um wenigstens ein Dach über dem Kopf zu erhalten. So bleibt tausenden Frauen und Transsexuellen aus der Branche derzeit nur der Gang zu karitativen Organisationen. "Es ist schwer zu sagen, wie viele von ihnen Hunger leiden", sagt Luca Facco, Direktor der Caritas von Padua. Fest stehe aber, dass das Coronavirus das "Kundenprofil" seiner Suppenküche auf den Kopf gestellt habe. "Allein bei uns haben sich gestern – an einem einzigen Tag – acht Prostituierte gemeldet, die nichts zu essen hatten. Das ist noch nie vorgekommen, weder im Krieg noch während der Finanzkrise von 2008."

Hunger und Scham

Die große Not der Frauen bestätigt auch Pia Covre, die in Padua ein Komitee zur Verteidigung der Bürgerrechte der Prostituierten gegründet hat: "Seit Tagen erhalte ich hunderte Anfragen von Frauen, die hungern", sagte sie der Repubblica. Ein Problem bestehe auch darin, dass die meisten Prostituierten beim Ausbruch der Epidemie kaum oder gar keine Ersparnisse gehabt hätten, da sie einen großen Teil ihrer Einnahmen ihren Ausbeutern geben müssen. Covre will nun einen Hilfsfonds gründen, der von ehemaligen Freiern gespeist werden könnte. Es klingt nach Wunschdenken.

Auch in Bergamo und Brescia, den beiden von der Epidemie am schwersten betroffenen Städten in der Lombardei, stehen Prostituierte im vorgeschriebenen Abstand von eineinhalb Metern vor den Caritas-Einrichtungen. Filippo Monari, Direktor der Caritas von Brescia, denkt beim Anblick der Wartenden auch an all jene Frauen und Bedürftigen, die sich schämten, um Hilfe zu bitten und sich deswegen nicht einmal bei der Caritas melden würden: "Die Herausforderung besteht darin, den Hunger dieser Unsichtbaren zu stoppen, bevor er sie tötet – wie ein obszönes Virus." (Dominik Straub aus Rom, 3.4.2020)