Blühende Kastanien sieht man in den Bundesgärten derzeit nur von außen.

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"Augarten. Geöffnet 1775, Joseph II. Geschlossen 2020, E. Köstinger." Ein kleines Schild mit diesem bissigen Scherz war in den letzten Tagen an den verschlossenen Gittern des Wiener Augartens zu sehen. Es spielt darauf an, dass die Bundesgärten – im Gegensatz zu den von der Stadt Wien verwalteten Parks – aufgrund des Coronavirus geschlossen wurden.

Über derartige Scherze lässt sich zwar streiten, aber es gibt durchaus Fragen, die sich in dem Zusammenhang auftun: Wer bestimmt, auch in der gegenwärtigen Coronakrise, wem wo wie viel Platz zur Verfügung steht? Und was bedeutet der Verlust des öffentlichen Raums für eine Stadt?

Drinnen und draußen kein Platz

Zuerst einmal wird deutlich, dass jene, die ohnehin in beengten Verhältnissen leben, die Ausgangsbeschränkungen ungleich härter treffen. Zum Beispiel jene 215.000 Kinder zwischen 0 und 14 Jahren, die vor allem in Städten in beengten Wohnverhältnissen leben. Es ist schwieriger zu Hause zu bleiben, wenn man dort nicht einmal ein eigenes Zimmer zur Verfügung hat.

"Der Quadratmeteranteil sinkt mit den Stockwerken. Im Erdgeschoss leben Familien zum Teil auf 40 Quadratmetern", sagt Soziologin und Kulturwissenschaftlerin Cornelia Dlabaja. Nicht selten wohnen dort jene, die jetzt als Helden des Alltags gefeiert werden. "Zum Beispiel die unterbezahlte Pflegekraft oder der Marktstandler aus Syrien, der auch jetzt elf Stunden dort steht", sagt Dlabaja. Adäquater Wohnraum sei derzeit vor allem für die Mittelschicht gewährleistet. Für Migranten und Arbeiter sehe es oft anders aus.

Es ist dann der öffentliche Raum als Ausweichort, der schmerzlich fehlt. "Wenn Menschen gebeten werden in ihren Wohnungen zu bleiben werden problematische Verhältnisse von Wohnraum zu öffentlichen Raum deutlicher", sagt die Stadtplanerin und Architektin Gabu Heindl. Man müsse sich schon vergegenwärtigen, was Quarantäne bedeute, wenn Alleinerzieherinnen im Wohnzimmer schlafen müssen und das Kinderzimmer nicht größer als acht Quadratmeter sei. "Es ist zynisch dann zu sagen: Geht’s doch in den Garten raus!"

Unterschied zwischen Stadt und Land

Viele der ganz großen Gärten halten jedenfalls mit Stand Freitagnachmittag weiterhin geschlossen. Der Bund will seine Parks mit ihren 230 Hektar an Fläche – darunter auch der Schönbrunner Schlosspark – nicht öffnen, man befürchtet weitere Ansteckungsgefahr. Das betonten Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP), die in puncto Öffnung von einem "völlig falschen Signal" sprach, sowie Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne), der zu schmalen Eingänge ins Treffen führte.

"Damit agiert die Bundesregierung scheinheilig", befindet Heindl. "Wenn sogar riesige Gärten zu gefährlich sind, warum werden dann nicht alle Flüchtlingslager sofort evakuiert? Warum werden Obdachlose nicht in Hotels untergebracht? Das sollte zusätzlich zur Öffnung jedenfalls passieren."

Die Wiener Grünen bemühen sich nun darum, einige Straßenzüge für Fußgänger zu öffnen, was die engen Platzverhältnisse auf Gehsteigen ausgleichen soll. An dieser Diskussion wird auch der massive Unterschied zwischen Stadt und Land deutlich, was das Erleben der Ausgangsbeschränkungen betrifft. Für besonders ärgerlich hält Heindl die Tatsache, dass der Bund selbst es ist, der der Bevölkerung die Grünzonen vorenthält, und dass es nicht etwa Flächen sind, die durch Privatisierungen ohnehin schon zu halb öffentlichen Bereichen mit Securityregulierung geworden sind.

Öffentliche Definitionsmacht

Denn auch andernorts ist der Zugang beschränkt: Will man sich derzeit etwa die Füße im Prater vertreten, sollte man seine Route nicht über den Wurstelprater mit seinen stillgelegten Attraktionen wählen. Es könnte sein, dass einem ein Security mitteilt, dass Durchgehen dort derzeit "nicht erwünscht" sei. Auch am Rande der angrenzenden Kaiserwiese, die zusammen mit dem Wurstelprater von der "Prater GmbH" verwaltet wird, finden sich Schilder, auf denen zu lesen ist, dass der "Aufenthalt im 'Wiener Volksprater' vorerst aus "Sicherheitsgründen nur MitarbeiterInnen und Sicherheitsorganisationen" erlaubt sei.

In anderen Städten wie London zeige sich aktuell, wie mühselig es ist, über derartige Flächen wieder öffentliche Definitionsmacht zu gewinnen, beschreibt Heindl, die dortige Situation. Darin stecke aber auch etwas, was man aus der aktuellen Krise lernen könnte: "Wien sollte diesen Weg keinesfalls gehen."

Öffentlicher Raum

Gestritten wird derzeit im Wesentlichen darüber, was gefährlicher ist: ein falsches Gefühl der Sorglosigkeit oder mangelndes psychisches Wohlbefinden. Der Schutz der Bevölkerung steht auf der einen Seite, Bewegungsfreiheit auf der anderen. So oder so kommt das öffentliche Leben, auch mit freien Grünflächen, derzeit notgedrungen weitgehend zum Erliegen. Was bedeutet das für eine Stadt und seine Bewohner?

Die Stadt hat damit ihr wesentliches Charaktermerkmal, den öffentlichen Raum, verloren und verbleibt als Ansammlung von Häusern und Straßen. Die wenigen, die noch öffentlich sichtbar bleiben, sind die viel beschworenen Systemerhalter. Und diejenigen, die in den letzten Jahren immer weiter an den Rand gedrängt wurden: Obdachlose, Suchtkranke, Bettler. Der öffentliche Raum fehlt auch als Ort von Versammlungen, von politischer Vernetzung.

Menschen im Mittelpunkt

Expertinnen erkennen aber auch eine Chance, dass aus der gegenwärtigen Krise politische Veränderung entsteht – auch, was Städteplanung angeht. Dlabaja und Heindl haben einige Vorschläge parat: etwa autofreien Straßen, mehr Grünraum und leistbares Wohnen. "Als Standard sollte sich etablieren, dass man in der Planung immer den Menschen in den Mittelpunkt stellt", sagt Dlabaja. Das bedeute auch: Keine bloß monofunktionale und oftmals auf das Kommerzielle beschränkte Nutzung von Straßenzügen.

Sich etwas Stadtleben auch in der Krise zu behalten, könne möglich sein. Zumindest glaubt Heindl das: "Wir sind in der Stadt geübt, anonym unter vielen zu sein und trotzdem Abstand zu halten, also einzeln in der Menge zu sein." Das nicht sehen zu wollen, zeuge von wenig Sinn für Urbanität. (Vanessa Gaigg, 4.4.2020)