Daheimbleiben lautet die Devise in Corona-Zeiten. Das ist auch eine neue Herausforderung für Wohngemeinschaften, in denen plötzlich nicht mehr nur gewohnt, sondern auch gearbeitet wird. Wie WGs in Zeiten von Social Distancing funktionieren – und von der Chance, sich neu kennenzulernen.

Wohnen und arbeiten derzeit zusammen in Selbstquarantäne in Wien-Hernals: Michel, Juli, Wally, Fuxi und Ju.
Foto: Michel Mehle

Neu zusammengewürfelte WG: "Nur Hühner fehlen uns noch"

"Die WG meiner Freundin war immer schon meine Traum-WG, weil hier alle so lieb und harmonisch miteinander umgehen. Kurz bevor die Ausgangsbeschränkungen in Kraft getreten sind, bin ich aus meiner Wohnung hierhergezogen, damit ich weiterhin mit meiner Freundin und ihren Mitbewohnern Zeit verbringen kann. Der Freund einer Mitbewohnerin ist dafür auch extra aus München hergekommen.

Derzeit wird in vielen Haushalten Bananenbrot gebacken – so auch in Michel Mehles WG.
Foto: Michel Mehle

So wohnen und arbeiten wir derzeit zu fünft in dieser etwa 120 Quadratmeter großen Wohnung im 17. Bezirk. Unser Garten ist ein großes Glück. Hier werkeln wir zusammen. Die Hochbeete sind aufgefrischt, Wirsing, Tomaten und Minze angebaut. Wir entwickeln uns also zum Bauernhof, nur die Hühner fehlen noch. Und wie in so ziemlich jedem Haushalt wird auch bei uns derzeit wahnsinnig viel Bananenbrot gebacken. Wir nutzen die Zeit auch zum Putzen, das hatte sich die Wohnung wirklich schon verdient.

Seit einigen Tagen stehen wir als WG unter Quarantäne, weil eine Mitbewohnerin krank wurde. Sie wurde getestet. Jetzt warten wir auf das Ergebnis. Aber keine Sorge: Essenstechnisch sind wir noch gut versorgt. Heute Abend gibt es Linseneintopf. Mit dem Kochen wechseln wir einander immer ab. Dann schauen wir gemeinsam Filme.

Eine Herausforderung ist beim Wohnen zu fünft, die Privatsphäre und die Grenzen eines jeden zu respektieren – und derzeit vielleicht noch ein wenig mehr aufeinander zu schauen.

Ja – man ist nie allein. Aber daran gewöhnt man sich. Für mich wäre es unvorstellbar, jetzt allein zu wohnen. Ich bin dankbar dafür, dass ich jeden Tag Menschen sehe – und zwar nicht nur virtuell."

Michel Mehle wohnt in einer Fünfer-WG im 17. Bezirk.


Familien-WG in Meidling: Franziska, Thomas, Veronika, Bryan.
Foto: Zoidl

Familien-WG: "Nur das Fensterputzen verschieben wir"

"Für neugierige Fragen hat unsere Familien-WG – bestehend aus mir, meinem Mann, meiner Schwester und ihrem Freund – immer schon gesorgt. Spätestens nach unserer Hochzeit wurden mein Mann und ich immer öfter gefragt, wann wir denn endlich allein in eine Wohnung ziehen würden. Aber warum sollten wir? Unsere WG ist ein eingespieltes Team, wir verstehen uns ausgezeichnet. Außerdem sind wir abends und am Wochenende so gut wie nie alle zu Hause. Es ist die für uns perfekte Wohnform.

Und das ist sie auch und gerade während der Corona-Krise, obwohl wir von einem Tag auf den anderen zu viert und ohne einen Schreibtisch im Homeoffice saßen. In unserer 80 Quadratmeter großen Wohnung fand jeder einen Platz, auch wenn es sich dabei – in meinem Fall – nur um einen wackligen, nie zuvor benutzten Schachtisch handelt.

Um neun Uhr vormittags schreiten wir nun also vom Frühstückstisch ins Homeoffice. Dann herrscht Ruhe, wenn nicht einer von uns – ich nenne keine Namen! – stundenlang laut telefoniert. Oder bei einem anderen – wieder keine Namen! – eine Videokonferenz mitten in der Küche stattfindet, durch die für uns andere der einfache Gang auf die Toilette zum akrobatischen Abenteuer wird.

Sport zu viert in der Wohnküche? Geht sich aus.
Foto: Zoidl

Was wir nach Woche drei zu Hause gelernt haben: In unserer Wohnküche ist locker Platz für vier Yogamatten und die dazugehörigen Sportler. Zumindest, wenn man die Choreografie im Video-Workout ein wenig kreativ auslegt. Darin haben wir mittlerweile Übung, Sport machen wir täglich. Danach essen wir zu Abend (glücklicherweise ist ein WG-Mitglied sehr kochbegeistert) und schauen Filme.

Diese Rituale geben unserem Tag Struktur. Auch für das Wochenende gibt es schon eine lange To-do-Liste, die wir abarbeiten. Größtenteils: Das Fensterputzen werden wir wieder verschieben. Vielleicht ja auf das nächste Wochenende."

Franziska Zoidl ist Redakteurin im Immobilien- und Gesundheitsressort des STANDARD.


Stephan, Lena, Jo und Philip sind seit vielen Jahren befreundet.
Foto: Pramer

Seit 15 Jahren befreundet: Und plötzlich ist alles wieder wie 2014

"Noch bevor der erste Umzugskarton (nicht) ausgepackt war, waren wir schon ein eingespieltes Team. Immerhin kannten wir vier einander seit zehn Jahren, als wir 2014 zum Studieren nach Wien zogen. In den ersten Tagen haben wir Raufasertapeten in nächtlichen (später bereuten) Aktionen heruntergerissen und die mit der weltweit dunkelsten Holzfurnier ausgestattete Küche mit gemeinsamen Fotos wohnlich gemacht. Einkaufs-, Koch- und Putzplan gab es nie, trotzdem funktionierte alles – irgendwie.

Kurze Begegnungen in der Küche endeten in langen Gesprächen und noch längeren Nächten. Gemeinsam Abend gegessen haben in einem solch zuverlässigen, täglichen Rhythmus, dass wir uns selbst schon fast spießig fanden (nur bei Gorgonzola flüchtete ich). Wir hatten es uns so bequem gemacht, dass wir die fremde Stadt zunächst links liegen ließen.

Das Bild aus 2014 haben die vier vor kurzem nachgestellt – mit Quarantäne-Ausrüstung.
Foto: Pramer

Irgendwann streckten wir dann doch die Fühler aus, erschlossen neue Freundeskreise, entwickelten uns getrennt weiter. Die Wege im Flur kreuzten sich immer seltener, und stundenlange Kochorgien wichen lieblosen Nudeln. WG-Abende wurden zunehmend mit dem Terminkalender auf dem Schoß geplant.

Mit den Ausgangsbeschränkungen schalteten wir von einem Tag auf den anderen wieder in den "Modus anno 2014". Brettspiele und Serien sind unsere neue Hauptbeschäftigung, und die Frage, wann wir uns eigentlich nichts mehr zu erzählen haben, ist bislang nicht mehr als ein Running Gag. Auch kulinarisch versuchen wir uns wieder gegenseitig zu übertrumpfen. Wenn es Gorgonzola gibt, setzte ich eben meinen Mundschutz auf."

Philip Pramer ist Redakteur im Ressort Edition Zukunft des STANDARD.


Alles fing mit einer zu großen Wohnung an: Die WG von Peter Bleier gibt es – in unterschiedlicher Zusammensetzung – seit 26 Jahren.
Foto: Bleier

Wohnen mit Alt und Jung: "Ich weiß jetzt, was spoilern heißt"

"Angefangen hat alles, weil ich einmal eine viel zu große Wohnung mietete. Wenig später, ich lehrte damals an der TU Wien, wurde ich auf wohnungssuchende Austauschstudenten aufmerksam und bot ihnen kurzerhand ein Zimmer bei mir an. Das ist inzwischen 26 Jahre her. Seitdem habe ich 30 bis 40 verschiedene Mitbewohner gehabt, viele waren Jahrzehnte jünger als ich.

Derzeit wohnen eine angehende Lehrerin und ein Boku-Student bei mir, auch mein Sohn ist nach einem Auslandsaufenthalt wieder eingezogen. Mir ist es wichtig, sie Mitbewohner und nicht Mieter zu nennen, weil eine Zweck-WG sind wir nicht. Es sind Menschen, mit denen ich mein Leben teile. Eine Familie, die man sich selbst aussuchen kann, ohne Widerlinge, die man nicht leiden kann, aber dennoch auf Familienfeste einladen muss.

Die Jungen gehen jetzt einkaufen, dafür werden sie auch bekocht.
Foto: Bleier

Trotzdem waren wir bisher ein loser Verband, gemeinsame Essen gibt es eher selten und spontan. Zum Ausbruch aus dem Elternhaus gehört es eben dazu, sich nicht an regelmäßige Verpflichtungen zu halten.

Seit den Ausgangsbeschränkungen verbringen wir natürlich mehr Zeit miteinander. Ich habe seit drei Wochen das Haus nicht mehr verlassen, die Jungen gehen einkaufen, ich bekoche die anderen dafür. Bei den Gesprächen zwischen den Generationen kann man viel voneinander lernen, etwa über Verhaltensweisen und Ausdrücke. Ich weiß jetzt zum Beispiel, was spoilern heißt."

Der pensionierte Architekt Peter Bleier wohnt mit Studenten.


Hannah und Sarah wohnen erst seit zwei Wochen zusammen.
Foto: Liedl

Zweier-WG in Wien-Hietzing: "Wir fühlen uns schon wie ein altes Ehepaar"

"Meine Mitbewohnerin Sarah und ich sind schon lange befreundet. Vor zwei Wochen bin ich bei ihr eingezogen. Zuvor war ich mehrere Monate beruflich in Griechenland. Ich kam also mit meinem Reisekoffer vom Flughafen direkt zu ihr. Mein ursprünglicher Plan war, dass ich dann meine Möbel und meine Kleidung von meinen Eltern in Oberösterreich hole, wo ich meine Sachen zwischenzeitlich gelagert hatte. Aber dem kam Corona in die Quere.

Darum lebe ich jetzt weiter aus meinem kleinen Köfferchen, aus dem ich in den letzten Monaten in Griechenland gelebt habe. In meinem Zimmer stehen bisher nur die Ausziehcouch meiner Mitbewohnerin, ein Kleiderschrank und ein Küchensessel. Sonst ist es bisher sehr leer bei mir. Und Ikea liefert leider erst wieder frühestens in einem Monat.

Das Wohnzimmer dient derzeit auch als Homeoffice.
Foto: Liedl

Mir hilft das gemeinsame Wohnen derzeit dabei, in meinen Alltag Normalität und Struktur zu bringen. Wir frühstücken gemeinsam, arbeiten dann im Wohnzimmer, essen gemeinsam zu Mittag und verbringen auch den Abend gemeinsam. Manchmal machen wir Sport, wir schauen Filme oder quatschen.

Wir gehen jeden Tag spazieren – aber meistens getrennt voneinander. Das mache ich immer schon nach dem Mittagessen. Die Zeit draußen nutze ich, um mit Freunden und Familie zu telefonieren.

Am Wochenende kochen wir gemeinsam, unlängst machten wir zum Beispiel ein Pancake-Breakfast. Bei uns dreht sich derzeit vieles rund ums Essen. Und ums Spazierengehen. Ein bisschen fühlen wir uns nach zwei Wochen schon wie ein altes Ehepaar. Konflikte gab es bisher nicht. Aber vielleicht drehen wir in drei Monaten durch."

Hannah Liedl wohnt in einer Zweier-WG in Wien-Hietzing. (4.4.2020)