Es dauere einige Wochen, bis ein geschlossenes Theater wie das Burgtheater wieder hochgefahren werden könne, sagt Direktor Martin Kušej. Hier ein Archivbild

Foto: APA/Herbert Neubauer

Das Burgtheater ist geschlossen, die Mitarbeiter sind auf Kurzarbeit. Direktor Martin Kušej hat sich in sein Haus nach Kärnten zurückgezogen, wo er neben vielen Videokonferenzen seine Inszenierung der Maria Stuart bei den Salzburger Festspielen vorbereitet. Ob diese überhaupt stattfinden, ist ungewiss.

STANDARD: Derzeit sieht es so aus, als ob die Theater länger geschlossen bleiben. Welche Signale bekommen Sie?

Kušej: Wir bekommen dieselben Signale wie der Rest der Republik – und sitzen wie alle anderen vor den TV-Geräten, um aus den Presseerklärungen der Regierung unsere Schlüsse zu ziehen. Und wie allen anderen bleibt uns nichts anderes übrig, als die weitere Entwicklung geduldig abzuwarten.

STANDARD: Aber ich nehme an, Sie spielen unterschiedliche Szenarien durch.

Kušej: Eines zeichnet sich immer klarer ab: Der Abstand zum noch Möglichen wird immer kleiner. Es gibt bei unserer Planung Vorläufe, die sich nicht verkürzen lassen. Unsere Festwochen-Koproduktion 2020 oder Das Ende ist gefährdet, ebenso die Premiere von Maria Stuart mit den Salzburger Festspielen, da diese Produktionen demnächst ihre Proben aufnehmen müssten.

STANDARD: Haben Sie noch Hoffnung, in dieser Saison aufsperren zu können?

Kušej: Meine strategische Überlegung ist, einen scharfen, wenn auch radikalen Schnitt zu machen und im Herbst mit voller neuer Kraft zu starten. Selbst wenn wir den Spielbetrieb jetzt wieder hinbekämen, glaubt doch keiner, dass die Theater sofort wieder voll sein werden!

STANDARD: In diesem Fall hätten Sie insgesamt acht Premieren absagen müssen. Können diese im Herbst nachgeholt werden?

Kušej: Es wird ein Kraftakt für uns alle werden. Aber wir brauchen die Inszenierungen für unser Repertoire, und meine Erfahrung aus unseren ersten Monaten hat mir gezeigt, dass wir das miteinander wuppen werden. Zentral wird sein, ob wir noch vor dem Sommer proben dürften. Und es werden viele weitere Aspekte von Bedeutung sein: Stehen Regieteams zu späteren Zeitpunkten noch zur Verfügung? Kommen wir mit verkürzten Probenzeiten zu einem guten Ergebnis? Und wie ist das Ensemble in einem späteren Zeitraum einsetzbar? Die kommende Saison ist bereits geplant, die Besetzungen für vier Spielstätten sind ein hochkomplexes Gebilde! Fragen über Fragen, die meist ineinandergreifen ...

STANDARD: Wie viel Vorbereitungszeit für das Hochfahren des Theaters brauchen Sie?

Kušej: Eine Wiederaufnahme von Proben kann im Grunde recht schnell geschehen. Aber für einen echten Spielbetrieb brauchen wir ein paar Wochen. Unser Spielplan für Mai und Juni würde auch von den Reisemöglichkeiten, der Öffnung von Grenzen und den aktuellen Quarantänebestimmungen abhängen, denn viele unserer Gäste reisen aus dem Ausland an.

STANDARD: Die Bundestheater haben Kurzarbeit angemeldet. Welche Verluste fährt Ihr Haus dennoch ein?

Kušej: Das lässt sich derzeit nicht exakt feststellen. Mit der Einstellung des Spielbetriebs entgehen uns wöchentlich im Schnitt Einnahmen über ca. 230.000 Euro. Hinzu kommen Verluste bei Mieteinnahmen oder ausfallende Gastspieleinnahmen. Sollten wir einzelne Produktionen absagen müssen und nicht nachholen können, müssen wir bis dato angefallene Kosten tragen, ohne später mit diesen Projekten Einnahmen generieren zu können. Wir erhoffen uns durch die Ausgleichszahlungen der Kurzarbeit jedoch, einen großen Teil der Einnahmenausfälle wettmachen zu können.

STANDARD: Und der Rest? Wird der Bund zur Gänze einspringen?

Kušej: Das wird man alles erst sehen, wenn die endgültige Abrechnung fertig ist. Diese hängt davon ab, wann ein Spielbetrieb wiederaufzunehmen ist. Unser Austausch mit der Bundestheater-Holding ist intensiv und vertrauensvoll.

STANDARD: Falls die Politik nicht alle Ausfälle kompensieren wird: Rechnen Sie damit, dass Sie wieder empfindlich sparen müssen?

Kušej: Nach dem Finanzskandal wurde das Haus auf Herz und Nieren geprüft, und es wurden massiv Einsparungen gemacht, an diesen Schrauben können wir nicht noch weiterdrehen. Im Übrigen werden wir bereits im aktuellen Dreijahresplan bei weiterhin fehlender Valorisierung der Basisabgeltung im Jahr 2021/22 nicht mehr positiv bilanzieren können. Wie sollte noch mehr Sparen also gehen?

STANDARD: Die jetzige Situation trifft frei arbeitende Künstler ungleich härter als Künstler mit Festanstellung. Fühlen Sie eine besondere Verantwortung?

Kušej: Ja, zweifellos haben wir hier eine Mitverantwortung gegenüber den freischaffenden Künstlerinnen und Künstlern, speziell bei unseren Gästen. Grundsätzlich können wir das aber nicht komplett auffangen. Es gibt klare vertragliche Regelungen, nach denen wir bei einer kurzfristigen Absage 100 oder sonst 50 Prozent vergüten. Darüber hinausgehend loten wir zusätzliche Kulanzmöglichkeiten aus.

STANDARD: Gibt es künstlerische Pläne, die über die Lesungen von Ensemblemitgliedern auf Ihrer Homepage hinausgehen?

Kušej: Neben den täglichen Lesungen werden ab der Osterwoche bis zum Ende der Corona-Maßnahmen Aufzeichnungen der letzten 60 Jahre aus der Edition Burgtheater zu sehen sein. Den Auftakt machen Schönherrs Glaube und Heimat aus dem Jahr 2001 am Karfreitag sowie Schnitzlers Anatol von 1961 am Ostermontag. Erfolgreich läuft inzwischen auch jeden Dienstag unser Impro-Workshop Action des Burgtheaterstudios im digitalen Raum.

STANDARD: Welche Themen rücken für Sie durch Corona in den Vordergrund?

Kušej: Freiheit – Grenzen, Nähe – Distanz, Solidarität – Egoismus. Natürlich aber vor allem zutiefst menschliche Gefühle wie Unsicherheit und Angst und zu welchen Verwerfungen und Konflikten das führt. (Stephan Hilpold, 4.4.2020)