Eigentlich sollte ein Arzt oder Therapeut vor jeder Behandlung Vorbereitungszeit haben, um eine vielleicht umfangreiche Krankengeschichte samt Diagnosen oder Therapien von Kollegen nachlesen zu können. Zu Beginn der Sitzung mit dem Patienten wäre man dann schon auf dem neuesten Stand und könnte sich ganz dem Patienten widmen. Die Realität sieht bekanntlich vielfach anders aus. Meist wird gleichzeitig zum Patientengespräch die Krankengeschichte nachgelesen. Zeit- und Effizienzdruck stehen oft im Vordergrund, das Eingehen auf den Patienten bleibt auf der Strecke.

Künftig könnte eine intelligente, automatische Datenaufbereitung dem Behandlungspersonal helfen, Zeit zu sparen und sich besser auf die Patienten zu konzentrieren. Alle wichtigen Informationen – und nur die wichtigen Informationen – sollen dann auf einen Blick zur Verfügung stehen. Ein Projekt, das in dieser Hinsicht neue Lösungen schaffen soll, heißt "Smaragd" und bringt Wissenschafter der Med-Uni Graz, der Uni Graz, der JKU Linz, der Uni Wien, der Forschungsunternehmen Know Center und Synyu sowie der IMC-Fachhochschule Krems, bei der auch die Projektleitung liegt, zusammen.

Die Forscher arbeiten, unterstützt von der Förderagentur FFG und des Technologieministeriums, an einer Anwendung, die auf den Krankenhausinformationssystemen aufbaut und Gesundheitsdaten exemplarisch für Physio- und Ergotherapeuten aufbereitet. Die Therapeuten sollen, schon bevor der Patient in den Behandlungsraum kommt, relevante Daten aus der Krankengeschichte übersichtlich zusammengefasst auf dem Bildschirm haben.

Datenströme anzapfen

Die erste Schwierigkeit dabei liegt bereits im Anzapfen der spitalsinternen Datenströme. "In den heimischen Kliniken gibt es viele zum Teil sehr unterschiedliche Lösungen", erklärt Projektleiterin Mona Dür, die den Studiengang Angewandte Gesundheitswissenschaften an der IMC-FH Krems leitet. Administrative Patientendaten – etwa zur Dauer eines Spitalsaufenthalts – und Diagnosen, die internationalen Klassifikationsschlüsseln folgen, seien darin zumeist sehr strukturiert vorhanden. Pflegeinformationen wie Fieberkurven oder Entzündungsparameter sind gut erfasst. "In den Systemen ist zwar viel angelegt, die Daten sind aber nicht immer nutzerfreundlich – und auch nicht einfach exportierbar für die Nutzung in anderen Systemen – verfügbar", resümiert die Forscherin.

Noch schwieriger ist die Auswertung bei handschriftlichen Aufzeichnungen, die in vielen Spitälern noch mehr als die Hälfte der Dokumentationen ausmachen. Zudem gebe es viele formale Aspekte, die es zu berücksichtigen gibt. Dür: "Verschiedene medizinische Begriffe sind immer wieder unterschiedlich abgekürzt. Auch das macht die Auswertung schwieriger."

Auf der anderen Seite steht die Frage, welche Informationen die Therapeuten eigentlich genau benötigen? Welche Informationen sind für die aktuelle Behandlung wichtig? In einer typischen Therapieanbahnung erklärt der Patient sein Befinden samt akuten Problemen, während sich der Therapeut nebenher durchliest, ob es aktuelle Befunde gibt, die es zu berücksichtigen gilt. "Gibt es neue Röntgenbilder zu einer rheumatoiden Arthritis, sieht man sich darin die Entzündungswerte an", gibt Dür ein Beispiel. Im Moment sind die Forscher des Projekts dabei, die für die Therapeuten relevanten Informationen zu systematisieren. Teil der Aufbereitungen sollen jedenfalls visuell schnell erfassbare Informationen sein. "Die Abbildung eines Handgelenks könnte etwa die Information beinhalten, wie weit es zuletzt beweglich war", veranschaulicht Dür.

Gespräch entlasten

Auch die Informationen, die direkt vom Patienten kommen – aktuelle Schwellungen, aktive Entzündungen oder Begleiterkrankungen –, könnten neu erhoben werden und etwa schon im Warteraum per Tablet abgefragt werden. Auch diese Daten würden in eine automatisierte Übersicht einfließen. Das direkte Gespräch mit dem Patienten könnte dann durch diese Art von Informationsbeschaffung entlastet werden.

Der Weg, der vom Krankenhausdatensatz zur Aufbereitung auf dem Schirm des Physiotherapeuten führt, ist lang. Es braucht Machine-Learning-Algorithmen, die die Informationen in Arztbriefen in ihrem Kontext erkennen und extrahieren. Es braucht ein algorithmisches Verständnis davon, was überhaupt zusammengefasst werden kann und was ungekürzt und original vorliegen muss. Es braucht eine umfassende juristische Begleitung, die Datenschutz- und Haftungsfragen behandelt. Und natürlich muss es jederzeit möglich sein, von der Übersicht den Originalzusammenhang der Daten anzusteuern. Das Informationssystem soll zudem auch mit der elektronischen Gesundheitsakte Elga kompatibel sein.

In dem bis 2021 laufenden Projekt werden anhand von Testdaten aus den Krankenhäusern erste Komponenten des Systems pilotiert. In einem möglichen Folgeprojekt könnten diese zusammengeführt und in der Praxis erprobt werden. (Alois Pumhösel, 5.4.2020)