Antikes Theater: Sklavenmaske für eine Komödie aus dem 2. Jahrhundert vor Christus.

Imago / Andreas Neumeier

Die Maske hat ihren Ursprung in rituellen bzw. kultischen Handlungen, die der spirituellen Verbindung mit den Göttern sowie der Natur bzw. dem Universum dienten. Als sogenanntes zweites Gesicht begründet die Maske eine eigene Wesenseinheit und damit eine magische Kraft, auf deren Wirkung man bis heute in Volkskultur und Brauchtum (Perchten) vertraut. Auch die Künste machen von jeher von dieser Energie Gebrauch, beginnend mit dem antiken Theater und seinen Tragödien- und Komödienmasken (weitere Künste siehe unten).

Die ältesten Masken gehen auf Kulturen von vor 13.000 Jahren zurück, gehauen aus Stein. Spätere Masken entstanden aus Tuch, Pflanzen, Federn, Holz, Leder oder Papyrus. Gold gab es nur in Ausnahmefällen: etwa die Totenmaske des altägyptischen Pharaos Tutanchamun. Schamanische Masken (oft Tiere) sind in Höhlenzeichnungen bereits seit der Jungsteinzeit überliefert.

Der Glaube an die Wesenskraft der Maske ist in allen mit ihr vollzogenen Riten und Praktiken zentral. Mit ihr werden Naturkräfte personifiziert oder Hilfsgeister simuliert, wobei der jeweilige Träger die Daseinsform gänzlich wechselte. Er wurde auch mit seinem restlichen, nicht maskierten Körper jemand anderer.

Überdeutliche Züge

Diese Vorstellung der Anverwandlung übernahm auch das aus dem religiösen Kult um den Gott Dionysos entstandene griechische Theater der Antike, dessen Piktogramm (lachendes und weinendes Gesicht) das Theater an sich symbolisiert. Auch wenn im europäischen Theater heute vor allem popkulturelle Referenzen auf den Bühnen im Vordergrund stehen – etwa jüngst eine pinke Gorillamaske in Elfriede Jelineks Schwarzwasser im Akademietheater –, so haben im asiatischen Raum klassische Masken bzw. maskenhafte Make-ups bis heute ihren festen Platz.

Im antiken Theater, einer Massenveranstaltung von tausenden Menschen, war das Tragen einer Maske mit überdeutlichen Gesichtszügen insofern obligat, als mit ihr – bis in die letzte Reihe der Arena – sowohl Alter, Stand als auch Geschlecht (nur männliche Schauspieler) lesbar werden mussten. Wobei die Gattung der Komödie mit 44 Typengesichtern jene der Tragödie (28 0Typen) an Vielfalt überragte (links: Sklave in der Komödie).

Alecchino & Colombina

Wesentliche Impulse setzten erst wieder die Masken der Commedia dell’arte im 16. Jahrhundert, ebenfalls auf Typen zugeschnitten. Als Halbmasken erlaubten sie es dem Darsteller, immerhin einen Teil seiner eigenen Mimik einzusetzen. Zu den berühmtesten Figuren gehören Arlecchino, der freche Mann von naiver Fröhlichkeit, oder Colombina, die dominante und lebenslustige Frau aus der Unterschicht.

In der Renaissance wurden schließlich Maskenspiele populär, die sich oft aus einem Totenkult entwickelten; auf diese geht auch der Salzburger Jedermann zurück. Erst das bürgerliche Theater im 19. Jahrhundert mit seiner Hinwendung zum individuellen Schicksal hat die Maske im europäischen Theater verdrängt. Sie erfährt aber durch Regisseurinnen wie Susanne Kennedy gerade ein Revival. (Margarete Affenzeller, 4.4.2020)

Sängerin SIA hat die Haarmaske schön. Foto: Josh Edelson

POPMUSIK

In manchen musikalischen Genres herrscht ein größeres Maskenaufkommen als in anderen. Metal und Hardrock, Hip-Hop und – warum auch immer – EDM sind besonders maskenanfällig. Fragt man aber nach der Aufgabe, die die Maske erfüllt, wird es schnell genreunabhängig.

Die politische Maske findet sich zum Beispiel bei den feministischen Punk-Rockerinnen Pussy Riot, die öfters in Skimasken auftreten. Politisch ist aber auch, wenn eine Popkünstlerin wie SIA einige Zeit lang ihr Gesicht unter riesigen Perücken verbirgt, um die Popindustrie wegen ihrer Fixiertheit auf das Aussehen von Frauen zu kritisieren.

Die Anonymitätsmaske, auch bekannt als "Ich bin nicht meine Künstlerpersona"-Maske, trägt zum Beispiel der Hip-Hop-Künstler MF Doom. Ursprünglich legte er sie sich zu, um nach dem Tod seines Bruders den Schmerz zu verbergen. Auch den französischen Helmis Daft Punk gelang gut, relativ anonym zu bleiben. Man weiß zwar, wie sie wirklich aussehen, es interessiert aber keinen. Das trifft auch auf den Produzenten Marshmello zu. Künstler wie der Rapper Cro tragen Masken, um klarzustellen, dass sie erst auf der Bühne zum wilden Tier (äh, Panda) werden.

Da sind wir auch schon bei der Marketing-Maske, die vor allem für Wiederkennungswert sorgt. Oft ist sie bunt, schräg und eher unpolitisch. Sowohl Kiss rocken sie in Form der Gesichtsbemalung als auch der House-Produzent deadmau5. (Amira Ben Saoud, 4.4.2020)

Politisch: Vier-Meter-Maske von Daniel Knorr. Foto: Imago / Maike Boeschemeyer

KUNST

Als Picasso 1907 afrikanische Masken in einer Pariser Ausstellung sah, war er angeekelt. Er wollte schon gehen, doch etwas Magisches schien ihn zurückzuhalten. Kurz darauf stellte er sein Gemälde Les Demoiselles d’Avignon fertig. Die maskenartigen Gesichter der Frauenfiguren lassen unterschiedliche Interpretationen zu, ihre fragmentierten Züge sind schwer lesbar – sie wurden zu Ikonen des Kubismus.

Als Motiv in der Kunst wurde die Maske immer wieder aufgegriffen. Ende des 19. Jahrhunderts erlebte sie eine Blütezeit – stets auf ihren Ursprung in der Antike verweisend (Revival: Medusa von Böcklin).

Von afrikanischen und ozeanischen Plastiken inspiriert, feierte die Maske dann mit den Pionieren der Moderne um die Jahrhundertwende ein fulminantes Comeback in Europa: Malerei und Bildhauerei nutzten sie, um Gesichtsstudien durchzuführen (Rodin), der Abstraktion näherzukommen (Derain) und Emotionen auszudrücken (Nolde). Die Fragmentarisierung des Gesichts, das Herzeigen und Verbergen, setzt sich in expressionistischen (Schmidt-Rottluff), dadaistischen (Taeuber-Arp, Höch) sowie surrealistischen (Oppenheim) Motivwelten fort.

In der zeitgenössischen Kunst bezieht sich die Maske wieder auf ihren antiken Ursprung, spielt mit Identitäten (Sherman) und Geschlechterrollen (Siem). Zunehmend politisiert sie sich, hinterfragt anonyme Autoritäten (von Bismarck), unsere Freiheit (Knorr) und Existenz (Wearings). Wer sind wir wirklich? (Katharina Rustler, 4.4.2020)

Das Leatherface aus "The Texas Chainsaw Massacre". Foto: Viennale

FILM

Mit dem Mund-und-Nasen-Schutz, der gegenwärtig auf unseren Straßen Passanten in ein Heer von Medizinern verwandelt, wurde im Kino schon Unbehagen verbreitet. Im Thriller Paper Mask gelingt es einem Möchtegernarzt dank dieses Utensils, bis in die heiligen Kammern des Operationssaals vorzudringen ...

Masken lösen im Kino ein hermeneutisches Dilemma aus. Wer sich hinter einer Maske versteckt, hat in der Regel etwas zu verbergen – meist sein wahres Gesicht, "den geometrischen Ort der inneren Persönlichkeit", so der Kulturphilosoph Georg Simmel. Ein neues Gesicht, eine Maske, ändert alles. Jim Carrey wird in Die Maske (The Mask) zum komischen Comic-Grünspecht. Eines der Meisterwerke der Filmgeschichte, Georges Franjus Les yeux sans visage (Augen ohne Gesicht) spielt hingegen mit der Tragik: Der versehrten Édith Scob wird von ihrem Vater, einem Schönheitschirurgen, ein leeres Maskengesicht übergestülpt – inzwischen näht er ihr ein neues. Almodóvars Die Haut, in der ich wohne hat davon reich zitiert.

Der Horrorfilm hat das Potenzial der Befremdung, das in der Maske liegt, für eigene Serien genützt: Mike Myers aus Halloween, das Leatherface aus Texas Chainsaw Massacre oder die an Munch angelehnte Ghost-Face-Maske aus Scream. Die Maske taugt allerdings auch fürs Heroische. Louis Feuillades Filmserie Les vampires (1915) schickte mit der schwarz vermummten Irma Vep einen Prototyp los, der noch in Superhelden-Blockbuster nachhallt. (Dominik Kamalzadeh, 4.4.2020)