Das Tiroler Skigebiet Ischgl gilt mittlerweile in internationalen Medien als große europäische "Corona-Drehscheibe". Doch es ist nicht das einzige heimische Skigebiet, von dem aus sich das Virus ausgebreitet hat. Touristen und auch Schulklassen, die Ende Februar und Anfang März auf Österreichs Pisten unterwegs waren, fuhren mit dem Virus nach Hause. Am letzten Ski wochenende, als rundum schon alles her untergefahren wurde, ist in Aprés-Ski-Bars noch ordentlich gefeiert worden.

In den Aprés-Ski-Bars und Almen ist das Wochenende vor dem frühzeitigen Saisonschluss noch begossen worden.
Foto: Guenter Standl

Drei Tage später, am 18. März, einem Mittwoch, wurden das Gasteiner- und das Großarltal sowie Flachau unter Quarantäne gestellt. Erst am vergangenen Dienstag kamen mit Altenmarkt, Zell am See und Saalbach-Hinterglemm drei weitere Skiorte dazu.

Einige der ersten Fälle in Salzburg kommen aus Skigebieten. Am 4. März wird in Obertauern eine Kölnerin positiv getestet, einen Tag später im Pinzgauer Ort Saalbach-Hinterglemm eine britische Reisegruppe unter Quarantäne gestellt. Ein 61-jähriger Brite soll das Virus aus Italien mitgebracht haben. Die daraufhin vom Land gesetzten Maßnahmen wirken besonders bemüht, das Virus vom Saalbach fernzuhalten. Der Ort ist in der engeren Auswahl für die alpine Ski-WM 2025..

Ungewöhnliche Krankheitsverläufe

Die Gruppe wird – ohne den Bürgermeister zu informieren – in eine alte Pension nach Piesendorf gebracht. Laut Daily Mail sei den Briten mitgeteilt worden, dass sie "nicht mehr in Saalbach bleiben können". Sie hätten nur 15 Minuten Zeit zum Packen gehabt. Vom Land Salzburg hieß es, von einer überstürzten Abreise könne keine Reden sein. Die Gruppe sei so lange in Salzburg gewesen, weil Großbritannien seine Landsleute erst zurücknehmen wollte, wenn sie negativ sind.Zu diesem Zeitpunkt hatten sich schon andere Skiurlauber in Saalbach angesteckt.

Die finnische Zeitung Ilta Sanomat berichtet von einem Tennistrainer, der mit 20 Personen in Saalbach war. Zurück in Finnland wurde er krank und ließ sich am 7. März testen. Er und zwei weiterer Mitglieder der Skigruppe waren positiv. Von einer diesbezüglichen Meldung der finnischen Gesundheitsbehörden weiß man beim Land Salzburg nichts.

Karl Schnell, Sprengelarzt in Saalbach und ehemals FPÖ-Politiker, geht davon aus, dass das Virus schon weit länger im Tal ist, als bisher angenommen. Er habe, wie andere Arztkollegen auch, in dieser Wintersaison schon früh viele Grippefälle gehabt, die ungewohnt verlaufen seien. Den Patienten sei es "über ungewöhnlich lange Zeit klinisch schlecht gegangen". Das Virus sei von außen durch Gäste ins Tal gekommen, ist sich Schnell sicher. Durch den Gästewechsel sei das aber nicht aufgefallen. Ein Phänomen, dass es in Tourismusgebieten auch bei anderen Viruserkrankungen wie Influenza oder Brechdurchfall gebe: Kaum habe man eine Welle halbwegs überstanden, komme eine neue Gästeschicht.

Restlsaufen und Freibier

Auch im Skigebiet Snow Space Salzburg haben sich bereits früh Urlauber angesteckt. Sieben Schüler und fünf Lehrer aus Bayern, die in der letzten Februarwoche in Wagrain auf Skikurs waren, haben sich mit dem Coronavirus infiziert. Am 17. März wurden sie positiv getestet, die Schule in Kulmbach nördlich von Bayreuth musste schließen. Der Schulskikurs der Linzer HTL hat ebenso mit neun infizierten Schülern und einer Lehrkraft geendet. Sie waren bis 14. März in Bad Gastein.

Nun ist der Pongau mit 377 positiv getestete Personen der am stärksten betroffene Bezirk Österreichs außerhalb Tirols. Die Salzburger Skiorte stehen als Virusherd weniger im Fokus. Durch den wöchentlichen Bettenwechsel sind infizierte Urlauber aus dem Fokus gerückt.

In Saalbach-Hinterglemm, Wagrain und Schladming hieß es in einigen Lokalen noch Abfeiern bis zur Neige. Drei Tage später wurden erste Skiorte unter Quarantäne gestellt.
Foto: Michael Amme

Während aber Ischgl zumindest die Aprés-Ski-Bars nach Corona-Fällen am 10. März gesperrt hat, wurde in Salzburg und der Steiermark noch bis zuletzt gefeiert. Ein Pub in Saalbach etwa verkündete am Freitag (13. März) das Ende der Wintersaison "zum Schutze unsrer Gäste und Mitarbeiter" und lud gleichzeitig zum "Restl saufn" am Samstag. Eine Alm in Wagrain lockte am abschließenden Sonntag die Gäste noch mit Freibier ab 14 Uhr.

Auch in der steirischen Top-Skiregion Schladming/Hauser-Kaibling wurden bis zur bitteren Neige, bis Sonntagabend (15. März), die Becher geleert, wurde das Saisonende gefeiert. Dies zu einem Zeitpunkt, als die Republik längst die Rollläden dichtmachen wollte. Schon fünf Tage zuvor hatte die Bundesregierung dringend gebeten, die sozialen Kontakte zu minimieren. Die Fußball-Bundesliga hatte ihren Spielplan ausgesetzt, Universitäten und Schulen den Shutdown beschlossen.

In der Schladminger Region wurden freilich erst am folgenden Montag die Gondeln stillgelegt. Dies obwohl selbst Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer (ÖVP) noch zwei Tage zuvor in der Kleinen Zeitung eindringlich gewarnt hatte: "Die Situation ist krisenhaft. Jetzt ist Schluss mit lustig"..

Häusliche Quarantäne

Warum Schützenhöfer als Eigentümerrepräsentant der im Mehrheitsbesitz des Landes stehenden Skibetriebe die dortigen Anlagen aber dennoch bis Sonntag durchlaufen ließ, ist sicher aufklärungswürdig. Eine diesbezügliche STANDARD-Anfrage blieb unbeantwortet. In sozialen Medien wurde die Untätigkeit der steirischen Regierung an diesem kritischen Wochenende jedenfalls heftig kritisiert.

In schwedischen Medien erschien übrigens bereits am 11. März, etwa im Aftonbladet, ein Bericht, wonach ein 63 Jahre alter Radiologe, der zusammen mit einer Gruppe von zehn Personen in Schladming auf Urlaub war, infiziert worden sei.

Der Fall der Skiregion Schladming/Hauser-Kaibling ist insofern brisant, als dort eine junge Kellnerin, die in einer stark frequentieren Bar arbeitete, am 13. März positiv auf Covid-19 getestet wurde. Wie der Katastrophenreferent der Bezirkshauptmannschaft Liezen, Christian Gebeshuber, im Gespräch mit dem STANDARD präzisiert, seien noch an diesem Freitag "sofort nach telefonischer Nachricht des Falls, die betroffene Kellnerin abgesondert und jene Personen kontaktiert worden, die mit ihr Kontakt hatten". Ihnen allen wurde häusliche Quarantäne verordnet. Zeitgleich wurde auch bekannt, dass ein oberösterreichischer Gast positiv diagnostiziert und danach nach Oberösterreich überstellt wurde.

Ernst Fischbacher, Bürgermeister der nahe liegenden Gemeinde Ramsau, wo die Corona-Erkrankung der Kellnerin diagnostiziert worden war, stellte seine Gemeinde umgehend unter Quarantäne. Die hob die BH aber wenig später auf. Mit der Begründung, Fischbacher sei dazu nicht befugt.

"Ich hätte Alarm geschlagen"

Der Geschäftsführer der Hauser-Kaibling-Bahnen, Klaus Hofstätter beteuert, dass er von dem Coronafall der Kellnerin "keine offizielle Information" erhalten habe. "Hätte ich etwas davon gewusst, hätte ich sofort agiert und Alarm geschlagen."

Katastrophenreferent Gebeshuber meint sinngemäß, dass man in der Region mit einem blauen Augen davongekommen sei, "wir hatten mit mehr gerechnet".

Der Ramsauer Bürgermeister Fischbacher hingegen vermutet, dass ein großer Teil der Fälle in der Steiermark nicht aufscheine, sondern in Oberösterreich, woher ein Großteil der Skifahrer gekommen sei, "aufschlägt. Mich wundert aber trotzdem sehr, dass wir hier im Bezirk so geringe Fallzahlen haben. Die Dunkelziffer ist sicher viel höher. Es ist halt eine Frage der Testungen." Es müsse auch bedacht werden, dass sich von Tirol ausgehend ein Infektionskreislauf gedreht habe. "Die Skilehrer und auch die Entertainer sind ja von Tirol kommend in den Skigebieten herumgezogen und waren sicher auch hier in Schladming", sagt Fischbacher.

Schneekristalltarife

Corona-Hotspot wie Ischgl: Diesen Schuh will man sich auf der Vorarlberger Seite des Arlbergs nicht anziehen. Tatsächlich gehen im Nobelskiort Lech Gerüchte über zumindest verdächtige Krankheitsbilder schon in den ersten Märztagen um. Am 17. März wurde nach zunächst zwei und dann fünf positiven Testergebnissen die gesamte Region mit den Gemeinden Lech, Klösterle, Warth und Schröcken für zwei Wochen (bis 3. April) unter Quarantäne gestellt.

Die Unausweichlichkeit der Maßnahme war schon Tage vorher, aber spätestens seit 13. März klar, als die Tiroler Seite des Arlbergs um St. Anton dicht machte. Zwar wurden die Liftverbindungen auf Vorarlberger Seite flott gekappt, in Lech/Zürs endete die Wintersaison offiziell aber erst am 15. März. Dafür wurde eine vor der Saison erst ab 18. März in Aussicht gestellte Ermäßigung der Lifttarife vorgezogen – ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Im Tirolerischen sitzen jetzt nicht wenige Schelme. Der Lecher Bürgermeister Ludwig Muxel (ÖVP) verteidigte die sogenannten "Schneekristall-Tarife" damit, dass schließlich nicht alle Liftanlagen zur Verfügung standen. Und am Nachmittag des 14. habe zumindest der Liftbetrieb geendet.

Dass die Konsequenzen überwiegend in den Herkunftsländern der Gäste zu sehen sind – die ersten beiden Märzwochen gelten in der Region etwa als Hamburger Wochen –, bewiesen 288 Tests an Personen mit Symptomen, die am Dienstag in den Vorarlberger Arlberg-Gemeinden genommen wurden. Nur 5,9 Prozent (17 Personen) waren positiv, die Quarantäne endete daher Freitag um Mitternacht. (Siegfried Lützow, Walter Müller, Thomas Neuhold, Stefanie Ruep, 4.4.2020)