Um einen Eindruck von den Zuständen in den Krankenhäusern New Yorks zu vermitteln, lässt der Klinikverbund Mount Sinai Ärzte und Pfleger per Podcast zu Wort kommen – unter ihnen etwa Jessica Montanaro, leitende Krankenschwester auf der Intensivstation des Mount Sinai Morningside in Manhattan:

"Unser erster Patient, der an Covid-19 erkrankt war, wurde bereits durch einen Tubus beatmet, als meine Schicht begann. Dann kam der zweite Patient an diesem Tag. Er hatte in einem Bett auf dem Flur gelegen, dann kam er auf die Intensivstation. Die Angst stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er redete mich mit meinem Namen an. Er fragte: ‚Jessica, sind Sie fertig mit dem Blut abnehmen? Es ist eine Menge Blut, das Sie da rausziehen.‘ Dann sagte er: ‚Jessica, werden Sie mir helfen zu atmen? Ich kriege keine Luft.‘

Podcast: Warum die Katastrophe in den USA absehbar war.

Der Todkranke macht sich Sorgen um die Tochter

Während ich mich um ihn kümmerte, rief seine Tochter auf seinem Handy an, eine Frau in den Zwanzigern, um ihm zu sagen, dass sie positiv auf das Virus getestet wurde. Er hatte nun also nicht nur Angst, weil er nicht wusste, was mit ihm passieren würde. Nun quälte ihn auch noch die Sorge um seine Tochter. Ich habe darauf geachtet, sein Handy so zu platzieren, dass er jederzeit mit seinen Angehörigen telefonieren konnte.

Als ich am nächsten Tag zur Schicht kam, hing er schon an vier Schläuchen. Es brach mir das Herz, weil sich sein Zustand so schnell verschlechtert hatte.

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Die Krankenhäuser des Mount-Sinai-Verbunds in New York City sind Hotspots der Corona-Krise. Ende März erhielten sie zahlreiche dringend benötigte Zusatzbetten.
Foto: Spencer Platt/Getty Images/AFP

Einer der letzten Tage war besonders hart. Wir mussten einen unserer leitenden Ärzte nach Hause schicken, weil er sich angesteckt hatte. Als Nächstes erfuhren wir, dass ein Kollege in einer anderen Klinik unseres Verbunds, ein Mann in den Vierzigern, an einem Beatmungsgerät angeschlossen verstorben war. Es war niederschmetternd. Wir haben uns zu einer Schweigeminute versammelt, danach war jeder erst einmal von der Rolle.

Panikattacke einer Krankenschwester

Dass unsere Kollegen krank nach Hause geschickt werden, dass sie sterben und wir jetzt mittendrin sind, das ist wie im Krieg. Ich versuche stark zu sein, weil ich ein Team zu leiten habe. Ich frage meine Leute oft, wie es ihnen geht. Wenn Sie so wollen, messen wir gegenseitig unsere emotionale Temperatur. Neulich litt eine Schwester unter einer schlimmen Panikattacke. Ich habe sie für anderthalb Stunden nach draußen geschickt, andere haben ihre Patienten in der Zeit übernommen.

Wenn man auf einer Intensivstation arbeitet, weiß man ja, dass man sehr, sehr traurige Dinge erleben kann. Wie die meisten Intensivstationen, gerade in einer Stadt wie New York, haben wir für den Fall geübt, dass wir es plötzlich mit vielen Schwerverletzten zu tun haben. In so einem Fall rechnest du mit zwanzig Patienten, vielleicht auch etwas mehr. Für kurze Zeit wird es sehr heftig, es kann furchtbar werden, aber dann haben wir es im Griff. Diesmal aber ist kein Ende in Sicht. Der Strom der Kranken reißt nicht ab, der Zustand von so vielen verschlimmert sich, überall muss künstlich beatmet werden. Stirbt ein Patient, nimmt sofort der nächste seinen Platz ein. Es hört einfach nicht auf."

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Die Mount-Sinai-Klinik in Manhattan.
Foto: REUTERS/Brendan Mcdermid

Ein anderes Mal erzählt Peter Shearer, Chefarzt an der Mount-Sinai-Klinik in Brooklyn. In seinem Krankenhaus starben zuletzt täglich rund zehn Menschen an Covid-19: "Wir haben jetzt mehr Stellen für Palliativpflege. Wir können viel intensiver mit den Angehörigen reden. Anfangs war dafür kaum Zeit, denn vergangene Woche (in der vierten Märzwoche, Anm.) ging alles so schnell. Niemand hatte Zeit, um mit einer Familie darüber zu sprechen, ob zum Beispiel Beatmungsgeräte noch hilfreich sind.

Inzwischen gelingt es uns besser, solche Gespräche zu führen – etwa darüber, was wir über die Krankheit wissen und was die Patienten in den nächsten 24 Stunden erwartet. Normalerweise sind die nächsten Angehörigen ja um das Krankenbett versammelt– da kann man einfacher reden. Nun mussten wir uns anfangs mit dem Telefon behelfen, das fühlte sich schon sehr eingeschränkt an. Die Leute wussten nicht, wie sie entscheiden sollen, weil sie die Menschen, die sie lieben, nicht sahen. Mittlerweile hängen wir iPads in die Zimmer, sodass man sich über die Video-App Zoom sehen kann. Das ist ein großer Unterschied.

Dutzende Tote im Kühllaster

Ende März haben wir begonnen, Tote in einem Kühllaster aufzubewahren. Ich glaube, es liegen inzwischen 40 Leichen in diesem Laster. Die Bestattungsunternehmen kommen nicht nach. Es ist nicht so, dass wir jedes Mal warten, bis zehn Menschen gestorben sind, um dann die Bestatter zu rufen. Deren Kapazitäten reichen nicht aus. Neulich sprach ich mit einem unserer Lungenärzte. Ein Patient, den er seit über 20 Jahren kannte, lag in unserem Krankenhaus. Es fühlte sich an, als spendete ich einem Menschen Trost, dessen guter Freund gerade gestorben ist. Das ist ein Kollege, dessen Augen normalerweise funkeln, wenn er lächelt. Diesmal war sein Blick einfach nur stumpf. Ärzte wollen Leben retten. Wenn einem die Leute wegsterben, geht es dir unglaublich an die Nieren." (Frank Herrmann, 6.4.2020)